Erstellt am: 29. 7. 2011 - 16:08 Uhr
Fußball-Journal '11-76.
Bundesliga, Meisterschaft und der Cup, der ÖFB und das Nationalteam, das europäische Geschäft, der Nachwuchs und die vielen Irrsinnigkeiten im Umfeld: Das Fußball-Journal '11 begleitet nach dem Jahr 2010 auch 2011 wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Skandalisierungen und Stillhalte-Abkommen, die den heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen.
Heute mit dem ersten von wahrscheinlich etlichen Journalen zur heute abend startenden U20-Fußball-WM.
Die bisherigen Journale zur U20-WM:
Fußball-Journal '11-68; Was kann der heute fixierte U20-Kader für Kolumbien?
Fußball-Journal '11-64: Über jene Übeltäter und Prügelwerfer, die die einzige österreichische WM-Teilnahme für die nächsten Jahre ganz bewusst behindern.
Fußball-Journal '11-56: Steinschlag auf dem Weg nach Kolumbien.
Fußball-Journal '11-39: Eine erste Auswahl für die WM in Kolumbien, oder: die Schmerzen des Andreas Heraf.
Fußball-Journal '11-34: Ausflug nach Cartagena. Die U20-WM beginnt heute Nacht.
Fußball-Journal '11-20: Die jungen Legionäre tragen die ÖFB-Nachwuchsteams.
Fußball-Journal '11-4: Zu früh ins Ausland. Über das Doppelpass-Spiel von Medien und Fußball-Akteuren.
Fußball-Journal '11-1: Projekt-Opfer. Wie die Bildungs-Krise sich auch im Nachwuchs-Fußball niederschlägt.
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Und hier noch als PS eine Reaktion zu den letzten Journalen: ein APA-Kollege fragt beim ÖFB-TD Willi Ruttensteiner (auch U20-Delegationsleiter) alle hier zuletzt angefallenen Kritikpunkte (gängelnde Trainer-Ausbildung oder Cup-Modus mit B-Teams) durch - und erntet ausschließlich defensive, mutlose Antworten.
Jetzt hat sich auch noch Marco Djuricin verletzt - der Stürmer, der das entscheidende Spiel zur Qualifikation für diese WM mit seiner Energie herumgerissen hatte. Djuricin ist nach Alaba, Knasmüllner, Holzhauser und dutzenden anderen der xte Ausfall für das vielleicht einzige Weltturnier in diesem Jahrzehnt, das ein österreichisches Fußball-Team wird miterleben dürfen.
Die WM beginnt heute, Ortszeit 14:30 in Medellin, Kolumbien. Und die ÖFB-Auswahl ist auch heute dran: die sieben Stunden Zeitverschiebung eingerechnet um 0 Uhr 30.
Für einige selbsternannte Größen des heimischen Fußballs (die schon einen Meter hinter der Grenze keine Sau mehr kennt) ist das nur ein Kinderkick, der sie in ihrer wichtigsten Beschäftigung, der ökonomischen Ausbeutung der ohnehin nur dezenten Ressourcen in der heimischen Szene, stört. Für einige andere ist diese Teilnahme ein Ereignis, das über alle Vereins-Erfolge der letzten Jahre zu stellen ist. Und für die 20 oder 21 sportlichen Teilnehmer werden die nächsten drei Wochen mehr Weichen stellen als ihnen aktuell noch bewusst ist - es wird ihr Leben verändern.
Herafs Kolumbianer folgen Gludvatz' Kanadiern
Und das nicht nur, wenn dieser U20 das gelingt, was die U20 anno 2007 schaffte - nämlich ins Semifinale zu kommen. Der Erfolg der Gludovatz-Truppe in Kanada war (und ist es immer noch), der die doch enttäuschende Heim-Euro 08 und das seitdem kontinuierlich an jeglichem Niveau verlierende Nationalteam irgendwie erträglich macht.
Wer sich nicht mehr so recht an damals erinnern kann, möge sein Gedächtnis doch hier bei ballverliebt.eu auffrischen; tag under Prödl, Madl, Suttner, Hinum, Hackmair, Kavlak, Simkovic, Junuzovic, Harnik, Okotie, Hoffer - aber auch Gludovatz und Schweitzer.
Diesmal, 2011, gibt es ein deutlich höheres Bewusstsein, was die Vorbereitung betrifft - und auch eine deutlich höhere Anzahl von selektionierbaren guten Spielern. Und auch das ist ein direktes Erbe des Erfolgs von 2007.
Auch wenn Andreas Heraf, der den Jahrgang 91 direkt von Gludovatz (nach dessen Wechsel zu Ried) übernahm und da (wegen der gegenseitigen Antipathie der beiden) seither eine "Wer nicht für mich ist, ist gegen Österreich"-Politik fuhr - die letztlich dazu führte, dass eine qualitätvollere Mannschaft als die vorort Befindliche daheimsitzt. Aber das war in den letzten Journalen ohnehin ausreichend thematisiert.
Die vorbauende Ausreden-Kultur der ÖFB-Verantwortlichen
Was am Tag des Anpfiffs der WM dringen festzuhalten ist: Herafs intensive Arbeit an der vorauseilenden Ausrede. Seine Flip-Chart-Präsentation bei der Abschluss-PK in Wien ist jetzt schon legendär. Heraf malte da die Vorbereitungs-Tage und die Vorbereitungsspiele, die die Gruppen-Konkurrenten hatten, an die Tafel
öfb
Dass Österreich in seinen beiden Vorbereitungs-Trainingslagern im März und Juni (dazwischen brachte der ÖFB leider nix zustande) nur ein Spiel (im März gegen Grödig) absolvierte (also im Juni gar nicht testete) kann Heraf nur sich und dem eigenen Haus anlasten.
Blöde Hitze, blöde Schwüle, blöde Höhe, blöde Lose
Der ÖFB-Kader in Kolumbien
1 – Samuel Radlinger (Hannover/D, Tormann)
2 – Richard Windbichler (Admira, Innenverteidiger)
3 – Emir Dilaver (Austria, an sich defensives Mittelfeld, hier wohl Linksverteidiger)
4 – Lukas Rotpuller (Austria, Innenverteidiger)
5 – Michael Schimpelsberger (Rapid, dort Rechtsverteidiger, hier wieder Innenverteidiger)
6 – Tobias Kainz (Heerenveen/NED, defensives Mittelfeld)
7 – Kevin Stöger (Stuttgart/D, offensives Mittelfeld)
8 – Robert Gucher (Kapfenberg, Mittelfeld, Sechser und Achter)
9 – Andreas Weiman (Aston Villa, Stürmer)
10 – Radovan Mitrovic (Utrecht/NED, Stürmer, im letzten Moment für den verletzten Djuricin nachnominiert - sofern die FIFA zustimmt)
11 – Daniel Offenbacher (Salzburg, Mittelfeld-Allrounder)
12 – Christoph Riegler (St. Pölten,Tormann)
13 – Marcel Ziegl (Ried, eigentlich ein Zehner, hier Außenverteidiger)
14 – Patrick Farkas (Mattersburg, an sich rechtes Mittelfeld, hier Rechtsverteidiger)
15 – Lukas Rath (Mattersburg, Linksverteidiger, hier Innenverteidiger)
16 – Georg Teigl (Salzburg, Mittelfeld-Allrounder)
17 – Marco Meilinger (Salzburg, Mittelfeld-Allrounder)
18 – Christian Klem (Sturm, linke Außenbahn)
19 – Daniel Schütz (Innsbruck, rechte Außenbahn)
20 – Robert Zulj (Ried, Stürmer)
21 – Philip Petermann (Parndorf, Tormann)
Diese jungen Herren spielen heute nacht in Cartagena, um halb eins ihr erstes Match in der Gruppe E gegen Panama.
In der Nacht von Montag auf Dienstag, um drei, gibts das zweite Spiel gegen Brasilien in Barranquilla.
Und in der Nacht von Donnerstag auf Freitag, auch wieder um 3 ist Anpfiff gegen Ägypten - dann wieder in Cartagena.
Alle Spiele live in ORF eins.
Die Achtelfinals (und da die vier besten Dritten der sechs Gruppen weiterkommen, sind die Chancen nicht so schlecht) finden dann ab in der Nacht von übernächstem Dienstag auf Mittwoch statt.
Das Best-of derer die nicht dabei sein können:
David Alaba (Bayern), Moritz Leitner (Dortmund), Aleksandar Dragovic (Basel), Christoph Knasmüllner (Inter), Raphael Holzhauer, Alexander Aschauer (Stuttgart), Toni Vastic, Dominic Burusic (Bayern), Richard Strebinger, Marco Djuricin (Hertha), Bernhard Janeczek (Gladbach), Kevin Krisch (Werder), Manuel Sutter (St. Gallen), Marcel Büchel (Siena), Marcel Ritzmaier (PSV), Dejan Stojanovic (Bologna), Philipp Prosenik (Chelsea), Michael Gregoritsch (Kapfenberg), Martin Hinteregger, Stefan Hierländer (Salzburg), Florian Kainz (Sturm), Günther Arnberger, Remo Mally (Austria), Gernot Trauner (LASK), Andreas Tiffner (Vienna), Luca Tauschmann (Hartberg), Muhammed Ildiz (Wacker Innsbruck), Stefan Lainer (Grödig).
So klingen die Zahlen natürlich eindringlich und bauen vor.
Und das tut der Coach umfassend. In einem Interview singt er ein eigentlich unerhörtes Klagelied: "Wir haben das in jeder Hinsicht schlechteste Los gezogen. Wir haben das blödeste Los gezogen mit der Schwüle und der Hitze. Wir haben das blödeste Los gezogen, wenn wir dann in die Höhe müssten. Wir haben das blödeste Los gezogen mit unseren Gegner, die alle aus heißem Klima kommen. Wir haben das blödeste Los gezogen, das Panama der erste Gegner ist, die nur herüberfahren und da sind. Wir haben das blödeste Los gezogen, dass in unserer Gruppe der Sieger gegen einen anderen Zweiten spielt, und nicht gegen einen Dritten. Und wir haben das blödeste Los gezogen, dass unser Zweiter nicht gegen einen anderen Zweiten spielt, sondern gegen einen Gruppensieger."
Das Gegenteil dieser Suada ist wahr.
1
Fakt ist: an Hitze kann man sich /recht rasch) gewöhnen - Höhenmeter hingegen brauchen Zeit. Für das schmale ÖFB-Budget, das offenbar die spätestmögliche Anreise garantiert ist Cartagena (ebenso wie Barranquilla ein Küstenort) das beste, ja, das einzig spielbare Los gewesen. Heraf/der ÖFB sind also ungeheure Glücksritter. Ein Los in jede andere Gruppe hätte sie gekillt.
2
Fakt ist, dass Österreich als letzter Anreisender in einer Höhen-Gruppe gar keine Chance hätte, so aber - nach zwei Wochen prinzipieller Eingewöhnung - zumindest eine kleine Chance hat sich zu akklimatisieren.
3
Fakt ist: bei einer Fußball-Weltmeisterschaft ist die Gefahr, dass die Gegner aus Ländern kommen, in denen Hitze normal ist, immer groß: Südamerika, Südeuropa, Afrika... Bei der letzten WM galt das für sechs von acht Viertelfinalisten. Wir haben es also mit einem Autovertreter-Schmäh-Argument zu tun.
4
Fakt ist: Panama ist nicht deswegen gefährlich, weil "die nur rüberfahren müssen" - erstens sollte sich Heraf einmal über die unfassbaren Verkehrs-Verbindungen zwischen den Nachbarn informieren, ehe er so einen Unfug redet; und zweitens ist Panama gefährlich, weil die das Turnier ernst nehmen und umgekehrt wissen, dass die anderen Gegner genau das bei ihnen unterlassen werden. Das Panama-Problem liegt nicht im Transport, sondern im Kopf.
5
Fakt ist: jede Spekulation über ungünstige Vorablose ist, das zeigt die 2007er-WM, wo wir als Gruppen-Zweiter dem Zweiten der Gruppe mit Mexico und Portugal zugelost hatten -. aber prompt Gambia bekamen, reine Makulatur; und peinlich. Auch mit dem Congo, Uzbekistan oder Neuseeland, wie bei der eben verklungenen U17-WM war nicht zu rechnen, also unterlassen das echte Sportsleute einfach.
Travnicek im Ausland...
Fakt ist auch, dass niemand Heraf diese Offensichtlichkeiten entgegenhält. Das hat nicht nur damit zu tun, dass kaum jemand über den Bereich Panama/Kolumbien Bescheid weiß (ich habe da auch nur das Glück, dass meine Freundin dort jüngst forschungsreisend unterwegs war und dass ich dadurch auch einen in Cartagena lebenden und lehrenden Österreicher kenne) und deswegen alles schlucken muss, was an Infos kommt.
Deshalb habe ich auch Kenntnis über absurde Details, die sich anlässlich der Quartiersuche der Delegation manifestiert haben (und erschreckend an Travnicek im Ausland erinnerten) und scheinbar noch nicht abgelegt wurden.
... und das Heraf-Umschulungs-System
Sportlich gilt es vor dem ersten Österreich-Spiel vor allem eines festzuhalten - während Gludovatz 2007 für jedes Spiel eine frische Taktik mit verändertem System entwickelte (und das auch an die Spieler, die er zur Verfügung hatte anpasste), zieht Heraf ein 4-3-3 durch - das allerdings auch erst bei der chaotisch verlaufenen EM-Endrunde (im Vorjahr in Frankreich) "passiert" ist.
Diesem System ordnet Heraf seine Spieler unter.
Und das ist angesichts der Tatsache, dass ihm mit Alaba, Holzhauser, Knasmüllner und Djuricin genau die Spieler fehlen, die das wollten (meine These ist ja, dass es diese Kicker waren, die auf dem Platz etwas Sinnhaftes aus zu vagen Vorgaben gestaltet haben - Heraf bestreitet das entschieden) und auf die das zugeschnitten war.
Dazu kommt das (auch schon vielfach angeschnittene) Problem, dass Heraf (einfach weil er zuviele Spieler frühzeitig entsorgt oder vergrätzt hatte) ganze Bereiche nicht mit Akteuren besetzen kann, die diese Position auch im Klub spielen, sondern kurzfristig umbesetzt als wäre er Schlingensief.
Die Abwehr etwa wird heute wohl von vier Leuten gebildet, die diese Position beim Verein nicht spielen. Und wir wissen, wieviele Testspiele die U20 heuer durchlaufen hat - richtig; eines, das gegen Grödig im März.
Das sind Umschulungs-Maßnahmen wie sie sich nicht einmal das AMs durchzuführen traut.
Aber - kumma mit kane Ausreden mehr!
Aber, halt, stop, retour!
Letztlich mache ich hier grad dasselbe wie Heraf in seinem klagenden Interview: ich finde Gründe dafür, warum alles schiefgehen muss.
Aber das ist zu billig.
Und österreichische Teams, vor allem junge, sind gern dann am Stärksten, wenn die Ausgangs-Bedingungen nicht gerade sehr hervorragend sind. Weil sie ja in Österreich, in einem Klima des "Mir ham ja ka Chance!" groß geworden sind und aus ihrer bisherigen Karriere-Erfahrung wissen, dass nur die wütende Erhebung über diese eingefahrenen Bahnen etwas Großes möglich macht.
Und das trau ich auch dem Rest-Kader, der heute um halb eins unserer Zeit in Cartagena gegen Panama einlaufen wird, zu.