Erstellt am: 28. 7. 2011 - 17:12 Uhr
Journal 2011. Eintrag 144.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.
Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute nochmal mit einer Frage, die sich aus dem Osloer Attentat ergibt.
Siehe dazu auch: Journal 2011. Eintrag 141, Was Breiviks "Vienna School of Thought" ist und wer seine "Brethren" sind
Journal 2011. Eintrag 142, Schockstarren und andere strategische Seltsamkeiten. Was die österreichischen Reaktionen auf Oslo erzählen.
Journal 2011. Eintrag 143, 'Fremdes Land'. Das Buch zum Kontrollwahn. Die Security-Demokratie als Roman
In österreichischen Medien grassiert dieser Tage, das zeigen Status-Meldungen von (betroffenen oder informierten) Journalisten auf Twitter oder Facebook, wieder einmal die als Zensur wahrgenommene Selbstzensur. Denn Belege dafür, dass die Kirche oder ihr nahestehende Mächte wie Raiffeisen, Teile der VP ua, es den von ihnen kontrollierten Medien untersagt haben, den Fall Breivik in irgendeinen Zusammenhang mit dem christlich-fundamentalistischen Background des Täters zu bringen, gibt es nicht. Ängste wie diese verselbstständigen sich aber rasch zu Tatsachen - und deshalb geschieht es dann wirklich nicht.
Unverständlicherweise.
Denn gerade die Amts-Kirche (und auch die seit Oslo ins Bedrohungsszenario erstinkludierten konservativen Kreise) sollten zu den ersten gehören, die genau diesen Aspekt aufarbeitet. Um ein Konzept zu entwickeln, um gewappnet zu sein, wenn die Kreuzritter-Welle überschwappt. Der offene Umgang nach norwegischem Vorbild ist aber, das war hier gestern schon Thema, hierzulande einfach keine Option: In Österreich verlässt man sich auf die unseligen Geschwister Hysterie und Verdrängung.
Wie tickt das neue radikale Fundamental-Christentum?
Breivik (und auch der Großteil seiner Bündnisgenossen in den einschlägigen Blogs) hat keineswegs das Selbstbild eines Neonazi (diese Schiene befindet sich auf einem absterbenden Ast), sondern als konservativer Revolutionär, der auf Basis eines in ultrarechten, aber sehr aktiven Kirchenkreisen (die Pius-Brüder und Konsorten) gepflogenen Intensiv-Katholizismus vorkonzilianischer Prägung argumentiert.
Das hat viel mit dem Fundamentalismus, der in den USA aktuell über die Tea Party in die dort traditionelle Hasskultur einsickert.
Das hat aber auch viel vom militanten Djihadismus, der antireflektiven und stockreaktionären Form des aggressiven Islamismus; dem absoluten Feindbild der neuen, selbsternannten Kreuzritter.
Wie so oft orientieren sich Verschwörungs-Praktiker an verwandten Mechanismen, auch wenn sie inhaltlich das Gegenteil vertreten - das absolutistische, totalitäre Format reicht um sie magisch anzuziehen; selbst wenn die Tools vom Todfeind stammen.
Der Umgang mit zu Weltbildern geronnenen Ressentiments
Das Weltbild des norwegischen Attentäters - so ist auch die brillante Analyse von Volker Weiß im Spiegel übertitelt - entspricht dem der Djihadisten, und die Religion, besser: die Instrumentalisierung eines fiktiven, ja folkloristischen, hochrabiaten Christentums ist die Basis.
Die radikalen Islamisten, die rechtsradikalen neuen Kreuzritter und auch die Vertreter eine Rechtsaußen-Kirche sind sich in den zentralen ideologischen Fragen einig: Ablehnung der Moderne, Ablehnung des "weichen" Liberalismus, Ablehnung der Emanzipations-Bestrebungen von Frauen und Minderheiten, egal ob sexueller oder anderer Natur, aktive Bekämpfung anderer Religionen und Ideologien, Forcierung des Säkularismus, einer Ständegesellschaft, die Wiederentdeckung von Mythen, die den Nationalismus und das "christliche Abendland" stärken etc. Fazit: die durch zuviel Input an Kulturverfall erkrankte Welt muss an einer stockkonservativen, verschüttete Werte zurückholenden Revolution gesunden.
Weiß nennt das "zum Weltbild geronnene Ressentiments".
Die rechtspopulistischen Parteien können diese teilweise höchst weltfremde Folklore nur bis zu einem bestimmten Punkt teilen: Teilbereiche wie Frauenrechte und die bequemmachenden Errungenschaften der Moderne sind für sie ebenso irreversibel wie für die Mehrheitsgesellschaft, ideologisch aber trifft man sich auf breiter Front.
Die Talibanisierung der christlichen Rechten
Und da wie dort liegen die Ursprünge in der Religion, besser: deren radikaler Interpretation (Stichwort: deutlich sichtbare Gebetsbänder). Die Differenzen der Europäer beschränken sich auf den Umgang mit dem alten Antisemitismus - aber auch da werden die Rechtspopulisten durchlässiger (Stichwort: die von Sabaditsch-Wolff organisierte Israel-Reise).
In Deutschland, wo die Grenzen zwischen Neonazismus und Radikalkonservatismus stärker sind, ist die Hinwendung der ultrarechten Think Tanks zu einem christlichem Fundamentalismus stärker zu spüren. Weiß konstatiert eine Tendenz den "liberalen Protestantismus wieder durch einen glaubensstärkeren Katholizismus zu ersetzen".
Europaweit lässt sich nun durchaus von einer "Talibanisierung der christlichen Rechten" sprechen. Und so blöde die Tempelrittersprüche vom himmlischen Königreich, dem Kreuzzug oder dem Heiligem Krieg auch klingen - genau da müsste die Kirche, vor allem die Katholische, jetzt ansetzen.
Beschäftigung & Erklärung statt Distanzierung & Schweigen
Und zwar ginge es nicht darum sich wortreich zu distanzieren, sondern Erklärungs-Modelle für die Zweckentfremdung von alten christlichen Mythen anzubieten. Oder, noch besser: sie selber entsprechend zu interpretieren, also Klartext über das tatsächliche Wesen der Kreuzzüge anzubieten.
Da braucht auch niemand auf ein Zeichen aus Rom zu warten - das obliegt jeder nationalen Bischofskonferenz. Und genau diese Gremien und ihre Reaktion sind jetzt gefordert - auch um den Fundamentalisten, die für eine aus dümmlichen Kriegsspielen entnommene Version eines "christlichen Abendlands" morden, die eitlen Referenzen zu nehmen und ihre Rolle zuzuweisen.
Und das kann keine Hauptrolle sein - ganz im Gegenteil.
Das hätte wesentlich mehr Wirkung als der halbgare Versuch, die Diskussion rund um die Osloer Attentate von ihren religiösen bzw katholischen Bezügen zu entkoppeln.