Erstellt am: 28. 7. 2011 - 16:27 Uhr
Frauen in der Neonazi-Szene
Die Rechtsextremen sind längst nicht mehr an ihrem Aussehen zu erkennen. Die Neonazistin von heute hat genauso biederes graues Kostüm an, wie mittelalterliche Tracht und Flechtfrisur oder trägt schwarzen Kapuzenpulli und rosa Haare, wie es Anfang der 2000er Jahre die autonomen Nationalen von der Kameradschaft Tor Berlin vormachten.
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Das Buch „Mädelsache – Frauen in der Neonazi-Szene“ beschränkt sich nicht auf die Beschreibung von etablierten rechten Parteien oder Neonazi-SchlägerInnentrupps. Es hat den Anspruch einen Blick hinter die Kulissen der „Front der Frauen“ in Deutschland zu bieten und widmet sich daher recht umfangreich den Frauen in verschiedensten rechten Organisationen.
Die sechs Kapitel stellen zunächst die etablierten rechten Organisationen wie NPD und „Gemeinschaft deutscher Frauen“ vor, widmen sich dann den so genannten Freien Kräften, braunen Netzwerken und heidnisch-völkischen Siedlungsprojekten. Im letzten Kapitel werden Strategien zum Umgang mit rechten Frauen diskutiert.
Widersprüche: „autonom“ genauso wie „national“
Die Kameradschaft Tor, genauso wie die Mädelgruppe wurden 2005 verboten. Es gibt sie also offiziell nicht mehr.
Die „Mädelgruppe“ der autonomen Nationalen der „Kameradschaft Tor Berlin“ etwa hat sich die missmutige Comicfigur „Emily the Strange“ zur Ikone gewählt. Provokation mittels Street Art wie Graffiti hat dort ebenso Platz wie die Verwendung von Anglizismen - die neue Form des Neonazitums soll modern und cool und nicht angestaubt und ewiggestrig daherkommen.
Die Kameradschaft Tor Berlin machte es politisch und in privaten Wohngemeinschaften vor. So gab es in den Zimmer nicht nur regelrechte Schreine mit Hitlerbüsten und Hakenkreuzfahnen, sondern daneben auch CD Sammlungen mit Hip-Hop der Plattenfirma „Aggro Berlin“.
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Musik mit schwarzen Ursprüngen und gleichzeitiger NS-Wahn, ein Auftreten gegen die eigenen Autoritäten bei gleichzeitigem Führerkult. Diese scheinbar widersprüchliche Mischung hat für viele junge Frauen, die bei den autonomen Nationalen mitmachen, den Geruch des Rebellischen.
Im Buch kommen einige Aussteigerinnen zu Wort. Eine erzählt, sie hätte damals bewusst eine Mädelgruppe gründen wollen, da sie es satt hatte, dass viele junge Frauen nur wegen der Typen dabei waren und wieder weg waren, sobald die Beziehung beendet war. Sie versammelt vielmehr Frauen, „die nicht bloß die ‚Freundin eines Kameraden‘ sein möchten, sondern auch auf der Straße, in Kommunen und Vereinen als Teil der ‚Kämpfenden Front‘ anerkannt werden wollen.“
Die Mädelgruppe fühlt sich als Vorreiterin der weiblichen „Pop-Neonazis“. Sie betreiben auf eigenen Faust Anti-Antifa-Aktivitäten wie Störaktionen bei Gedenkveranstaltungen. „Es gab Frauen in der Szene, die waren deutlich fanatischer und gewaltbereiter als die Männer“, erinnert sich Aussteigerin Johanna.
Gemeinsam bedeutet nicht gleichberechtigt
Genau mit diesen Ansinnen stoßen die „Mädels“ aber an die Grenzen ihrer Bewegung. Eine Aussteigerin erzählt, ihr sei das schmerzlich klar geworden, als Frauen nicht zu einer Demo mitgehen durften, wo Ausschreitungen erwartet wurden. Auch sonst hatte sie recht schnell erkannt, dass die Mädchen und jungen Frauen vor allem organisieren und Kaffee kochen, aber sonst im Hintergrund bleiben sollten.
Eine Tendenz, die sich durch alle rechten Organisationen durchzieht, konstatiert das Buch "Mädelsache":
Trotz ihrer steigenden Präsenz, ihres Fleißes und ihrer Unverzichtbarkeit stellen weibliche Kader keine eigenen Forderungen auf, sondern verinnerlichen politische Feindbilder wie Emanzipation, Feminismus und Gender Mainstreaming. Intern existiert eine latente Frauenfeindlichkeit, auch wenn anderes beteuert wird.
Ähnliches beobachten die AutorInnen beim NPD-Parteitag am 15. Jänner 2011. Zum Beispiel bei Gitta Schüßler, als einzige weibliche Landtagsabgeordnete der NPD, die derzeit formal mächtigste rechte Frau Deutschlands:
Während des NPD-Parteitags sucht die zurzeit einzige weibliche NPD-Landtagsabgeordnete Gitta Schüßler aus Sachsen indes nicht den großen Auftritt. […] In Dresden hält die Zwickauer Kauffrau als Abgeordnete Reden, tritt selbstsicher auf. In Berlin dagegen bleibt sie die gesamte Veranstaltung über unauffällig. Im dezenten grauen Kostüm sitzt sie in einer der hinteren Reihen still neben ihrem Ehemann, einem NPD-Kommunalpolitiker.
Christoph Links Verlag
Akribisch recherchierte Reportage
Die Autorinnen Andrea Röpke und Andreas Speit haben mehrere Jahre in der rechten Szene recherchiert und teilweise an Veranstaltungen teilgenommen. Deswegen bietet ihr Buch über die üblichen ExpertInnenmeinungen und Auflistungen hinaus reportagehafte Elemente: der NPD-Wahlkampfauftakt, ein Bericht vom sogenannten Trauermarsch im niedersächsischen Bad Nenndorf, bei dem die „Opfer der Besatzer“ beklagt werden oder Besuche in Landstrichen in Mecklenburg-Vorpommern, wo sich aufgrund niedriger Immobilienpreise und mangelndem antifaschistischem Engagement immer mehr rechte Siedler einfinden.
Akribisch werden auch die verschiedensten Akteurinnen aufgelistet, ihre Tätigkeiten und ihr Auftreten charakterisiert. Das Spektrum ist breit: Es reicht von Lokal- und Kommunalpolitikerinnen von NPD und DVU über die rechte Liedermacherin Karin Mundt oder die 83-Jährige Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck.
Ganz in weiß ist die Dame gekleidet, Bluse und Hose sitzen akkurat. Die grauen Haare sind zum Dutt hochgesteckt. […] Sie gehört zu den Frauen der Szene, die sowohl bei Vereinen, die sich der politischen Bildung verschrieben haben, aktiv sind als auch die provokative Auseinandersetzung bewusst suchen. Ursula Haverbeck ist eine fanatische Überzeugungstäterin.
Die mehrfach wegen Wiederbetätigung Verurteilte wird bei einem so genannten Trauermarsch im niedersächsischen Bad Nenndorf begleitet, wo Neonazis angebliche Verbrechen der Besatzungsmächte betrauern.
Viele Details – wenig Einordnung
„Mädelsache - Frauen in der Neonazi-Szene“ bietet eine sehr umfassende Zusammenschau über die Frauen in den rechten Szenen, aber auch über die unterschiedlichen Szenen in Deutschland ganz allgemein. Indem die Fakten durch die Reportage-Elemente verwoben sind, entsteht ein Bild, der/die LeserIn kann sich Schauplätze und AkteurInnen vorstellen.
Da es aber so viele Namen und Details sind bleibt oft das Große und Ganze auf der Strecke. Eine Einordnung in Relationen und Zahlen gibt es bestenfalls im Speziellen, dies wäre aber immer wieder hilfreich, anstatt alles gleichwertig nebeneinander stehen zu lassen.
Umgekehrt macht es diese genaue und umfassende Beschreibung aber aus, dass man sich bildlich vorstellen kann, wie Frauen in der Neonazi-Szene operieren. Und es macht deutlich, dass nicht nur sehr vereinzelte SpinnerInnen - wie das jetzt bei Anders Breivik versucht wird abzutun - rechtsnational denken und vor allem auch handeln. Gerade beim Kapitel über die Siedlungspolitik, wo beschrieben wird, wie Neonazis „nationale Dörfer“ schaffen und dort Kinder und Jugendliche in paramilitärische Feldcamps in rechtem Gedankengut schulen, läuft es einem mehr als einmal kalt über den Rücken.