Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Journal 2011. Eintrag 143."

Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

27. 7. 2011 - 17:54

Journal 2011. Eintrag 143.

"Fremdes Land". Das Buch zum Kontrollwahn. Die Security-Demokratie als Roman.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit aktuell aufgeworfenen Fragen zu Demokratie und Sicherheit und einem zufällig aufgetauchten Roman zum Thema.

Siehe dazu auch Was Breiviks "Vienna School of Thought" ist und wer seine "Brethren" sind und Schockstarren und andere strategische Seltsamkeiten. Was die österreichischen Reaktionen auf Oslo erzählen.

Es passt ganz gut in die aktuelle Debatte, das Buch, das mir ein Facebook-Bekannter vorigen Donnerstag empfohlen hat. "Kennst du das 'Fremdes Land' von Thomas Sautner über einen postdemokratischen Security-Staat?" fragt der Gerald und bringt mich (nach weiteren Einschätzungen auf Nachfrage) dazu, es noch am Samstag zu kaufen.
Gelesen hab ich es heute, am Küchentisch.

Es passt ganz gut in die aktuelle Debatte, die sich vieler orten, vor allem aber auch in Österreich aus Anlass (oder auch Vorwand) des Massakers in Oslo, entsponnen hat.
Gibt es eine Möglichkeit mit diesen Gefahren umzugehen. Und, wenn ja, ist eine Verschärfung der sicherheitspolitischen Maßnahmen die Lösung.

Österreich sagt ja.
Die Innenministerin schwelgt in der Vision von Gesetzesverschärfungen, Kanzler und Vizekanzler wollen alle Präventions-Möglichkeiten ausschöpfen.

Die Breiviks dieser Welt würden weiterhin unterhalb jeglichen Radars durchfliegen und unentdeckt bleiben - der Politik geht es aktuell nur um lässiges Dastehen einerseits bzw. um die Ausweitung der Kontroll-Mechanismen, die Österreich dem klassischen Überwachungsstaat (nach UK-Vorbild) wieder einen Schritt näherbringen.

Industriell geförderter Kontroll- und Sicherheits-Wahn

Da reichen einander ganz handfeste wirtschaftliche Argumente (die seit 9/11 boomende Sicherheits-Industrie basiert ja, wie die Dotcom-Blase, auf Nichts, existiert als Lösung für rein virtuelle Ängste) und handfeste ideologische Argumente (Kontrolle) freundlich die Hände.

Der Standard hat die Reaktionen der heimischen Spitzen denen der Betroffenen, der norwegischen Verantwortungsträger, entgegengestellt - um zu zeigen, wie man hysterisch, verantwortungslos und niederen Instinkten folgend bzw. verantwortungsvoll und politisch weitsichtig reagiert.

In einer jetzt schon legendären Rede des norwegischen MP Stoltenberg spricht der nicht von einer Ausweitung der Kampfzone, sondern davon, dass die einzige Antwort, die eine Demokratie auf Gewalt geben kann "noch mehr Demokratie" lautet und "noch mehr Menschlichkeit" - mit einer Einschränkung: "keine Naivität". Keine Naivität im Umgang mit Fundamentalisten jeglicher Art.

Vom heutigen, strategisch durchaus glorios gesetzten Trick der Ablenkungs-Debatte, in der ein durchgeknallter Hinterbänkler das Opferlamm gibt, auf dessen politischer Entsorgung die FPÖ sich wieder ein sauberes Image verschafft, soll hier nicht die Rede sein. Das sei den kurzgreifenden Facebook-Statusmeldungs-Empörern vorbehalten.

Diese Einstellung, was die Nutzlosigkeit von Security-Maßnahmen angeht, trifft sich mit der ersten sinnhaften Meinungsäußerung des konservativen Spektrums, das nach seiner Schockstarre endlich wieder aufgewacht ist: das offene Ansprechen der Probleme, die deutliche Ablehnung von Verschleierung und Gehässigkeit.

Und da ist sie schon, die Security-Demokratie, in Romanform

Und plötzlich ist der Mann, der noch vor kurzem von allen (naja, es gab Ausnahmen...) als peinlich hingestellt wurde, selbst für den Falter der große Hoffnungsträger der Regierung. Weil er genau diese differenzierte Sprache gefunden hat; und es - noch als einziger - auch glaubhaft nach außen vertritt.

In diese Stimmung passt Fremdes Land wirklich optimal hinein. Der Zeitgeschichtler und Ex-Journalist Thomas Sautner hat es im Herbst letzten Jahres veröffentlicht und beschreibt darin, durchaus kolportagehaft und reißerisch (aber ich nehme an, er schreibt für jene, die sich über diesen Zugang an ein Thema, das sie sonst nie angehen würden, annähern können) eine nicht weit in die Zukunft gedachte Security-Demokratie.

Da sind überall Überwachungs-Chips, formatierte Feelgood-Pills, da gibt es eine blockwartemäßige Volks-Security, Moslem-Ghettos, Terror in der U-Bahn, und eine (in einer Person fokussierte) Nebenregierung, die der Politikern nur einen schmalen Handlungs-Streifen überlässt, und natürlich die Vertreter der Industrie-Lobby, dessen Vorgaben man besser einhält.

Sautner überhöht den Sicherheits- und Kontrollwahn, dessen kreuzdoofe Fratze wir gerade wieder stündlich erblicken, fast schon sarkastisch - aber keine einzige seiner Erfindungen, Ahnungen oder Projektionen ist unrealistisch. Ich schätze, dass 90% der in "Fremdes Land" beschriebenen Technologien so oder so ähnlich zum Einsatz kommen werden, morgen oder übermorgen.

Buchcover zu Thomas Sautners Neuling "Fremdes Land"

Aufbau Verlag

Fremdes Land von Thomas Sautner ist im Aufbau-Verlag erschienen.

Eine postdemokratische Version von 1984, auf österreichisch

Allein das macht das Buch zu einem Zeitdokument, noch dazu zu einem sehr österreichischen.
Natürlich ist Fremdes Land letztlich eine Version von 1984 durch den Thesen-Fleischwolf von Colin Crouch und seiner Postdemokratie gedreht. Und seine Beschreibung politischer Spins, Manipulation mittels Umfrage oder Volksentscheid, haben nichts von SF, sondern sind weniger wild als die Gegenwart.

In diesem Zusammenhang ist der 2. Teil der Falter-Aufdecker-Geschichte über die Vorgänge in österreichischen Medien-Boulevard nämlich schon fast weiter.

Fremdes Land zeigt eben nur eine der möglichen Zukünften, die blühen, wenn aktuelle Strömungen weiter ungehindert fließen werden. Aber genau dafür ist Science Fiction ja auch da.