Erstellt am: 27. 7. 2011 - 18:20 Uhr
Riot Grrrl Revisited
"Ich weiß, was wir lostreten wollten und ich weiß, dass wir tatsächlich etwas losgetreten haben , aber was genau passiert ist, weiß ich wirklich nicht. Und ich glaube nicht, dass es dir irgendjemand wirklich sagen kann.", sagt Tobi Vail, Musikerin unter anderem bei der prototypischen Riot Grrrl Band Bikini Kill, Labelmacherin und Autorin.
Riot Grrrl ist ein komplexes Thema, das nun im Ventil Verlag erschienene Buch „Riot Grrrl Revisted“ versucht, auf den Punkt zu bringen, was Riot Grrrl war (und ist):
"In den Neunzigern ereignete sich etwas in der Popkultur, das es so vorher noch nicht gegeben hatte. Frauen machten in der Öffentlichkeit Lärm. Riot Grrrls machten sogar derart viel Radau, dass selbst die Mainstream Medien von ihnen Notiz nahmen. Zum ersten Mal in der Musikgeschichte waren Frauen die Anführerinnen einer popkulturellen Bewegung, und zwar nicht als Einzelkämpferinnen, wie zuvor noch im Punk, sondern als Gemeinschaft von Gleichgesinnten."
Horowitz/Hanna
"In her kiss, I taste the revolution", hieß es im Song "Rebel Girl" von Bikini Kill, der Band von Kathleen Hanna, heute bei Le Tigre und verheiratet mit Beastie Boy Adam "Ad Rock" Horowitz.
Diese Songzeile stellen Katja Peglow und Jonas Engelmann ihrem Buch "Riot Grrrl Revisted - Geschichte und Gegenwart einer feministischen Bewegung" voran, gefolgt von einem Zitat von Kurt Cobain: "The future of rock belongs to women". Nächste Seite: "Für Ari Up und Poly Styrene".
Alles andere als "typical girls":
- Robert Rotifer über Poly Styrene, 1967-2011
- Ein Nachruf auf Ari Up
Das Buch ist also den beiden britischen Punk-Veteraninnen gewidmet, die erst unlängst gestorben sind, Poly Styrene von X-Ray Spex im Frühjahr und Ari Up von The Slits letzten Herbst - beide gerade einmal um die 50 Jahre alt. Dass Katja Peglow, Journalistin und Kulturwissenschafterin aus Essen, und Jonas Engelmann, Literaturwissenschafter aus Mainz, das Buch diesen beiden Frauen widmen, zeigt sehr schön, dass Riot Grrrl schon vor dem quasi popgeschichtlich festgemachten Termin, der auf Anfang 1990er Jahre lautet, begonnen hatte.
Ventil Verlag
Der Titel - "Riot Grrrl Revisited - Geschichte und Gegenwart einer feministischen Bewegung" - deutet er wissenschaftlich trockene Analyse auf etwa 200 Seiten an? Ja, und nein.
Insgesamt schaffen es Katja Peglow und Jonas Engelmann zusammen mit anderen AutorInnen das Ganze recht kompakt und einfach lesbar darzulegen, die Riot Grrrl Story zu erzählen, samt griffigen Kapitel-Titeln wie "There's A Riot Going On", "Race & Riot", "Do It Like A Lady" (von den Wienerinnen Vina Yun und Silke Graf), "Sisterhood Is Forever" oder "Grrrls Who Play Guitar".
Aber auch auf die jüngere Vergangenheit - "Riot Grrl Is Not Dead: Eine Spurensuche in den Nullerjahren" - und die Gegenwart wird nicht vergessen - mit dem Kapitel "Brave New Girls". In Kurzporträts werden Beth Ditto, die New Yorkerin Marnie Stern, die Britin Kate Nash oder die Riot-Grrrl-Supergroup Wild Flag beschrieben. Letztere bestehen aus Carrie Brownstein und Janet Weiss von Sleater-Kinney, Mary Timony von Helium und Rebecca Cole von den Minders. Die sehr hübschen Zeichnungen zu den Frauen kommen übrigens von Maren Karlson.
New Girl On The Block
Gevinson
Aber auch Tavi Gevinson wird als neues Riot Grrrl entdeckt - Tavi, die Mode-Bloggerin aus Texas, die noch immer erst 13 Jahre alt ist oder so, aber mit ihrem grauen Großmutter-Haar und den riesigen Brillen und den Oma-Schuhen (post-) Riot-Grrrl kompatibel ist. Fashion & Feminism ist schließlich auch das Thema ihres Blogs Style Rookie. Bei den großen Modeschauen sitzt sie vorne mit dabei, neben Beth Ditto, und diese ist es ja, die schließlich Riot Grrrl eine neue Dimension gegeben hat. Sie hat - nach mehreren Riot Grrl inspirierten Frühwerken - erreicht, was den Riot Grrls der 90er verwehrt blieb, der große Mainstream-Erfolg.
Noch zu Tavi Gevinson: Sie bekam den Feminist Sweater von Kathleen Hanna, und das ist ja so etwas wie ein Riot Grrrl Ritterschlag. Schließlich ist Kathleen die Königin der Riot Grrl Bewegung. Wenn dieses Wort da überhaupt herpasst. Königin? Königin? First Lady of Riot Grrrl hört sich schon besser an. Aber was, sie war ja ohnehin bloß "Anführerin wider Willen", wie wir nebst vielen anderen Dingen in "Riot Grrrl Revisited" auch erfahren.
Ladyfeste, Körperpolitik und Huggy Bear
Wie es zu den "Ladyfesten" kam, erzählt dieses Buch, genauso wie von Körperpolitik: "It´s a Big Fat Revolution", ein Artikel der Amerikanerin Nomy Lamm, der 1995 veröffentlicht wurde, in "Listen Up. Voices From the Next Feminist Generation", damals erschienen bei Seal Press in Seattle.
Die britische Riot Grrrl Szene wird beschrieben - mit Huggy Bear als die führende Band. Aber auch die britische Twee-Pop-Connection mit K Records in Olympia, Washington wird gut erzählt, und dass Bands wie Shampoo und dann schließlich die Spice Girls die saubere Riot-Grrrl-Variante der großen Popindustrie bildeten.
Katja Peglow und Jonas Engelmann haben sehr sorgfältig Artikel zusammengetragen und ausgewählt, neben Nomy Lamm auch etwa von der Amerikanerin Marisa Meltzer ("When She Went To School In Olympia"), die unter anderem die Co-Autorin vom 2007 erschienenen Buch "How Sassy Changed My Life" ist. Marisa Meltzer studierte am Evergreen State College von Olympia, Washington, jener Riot-Grrrl-Kaderschmide, und lebt heute in, na ja, in Brooklyn, wo sonst?
"Das Evergreen State College ist jene Art von Uni, die weder Noten noch richtige Hauptfächer anbietet. [...] und das Chili in der größten Cafeteria ist immer vegan. Wie es der linksliberale Ruf vermuten lässt, hat die Universität seit ihrer Gründung 1967 jede Menge Sonderlinge und Freaks angezogen: Hippies, Slacker und Punks..."
Sassy?
Love
Sassy wer? Sassy was? Sassy war eine (kurze) Zeit lang die wohl coolste Zeitschrift in den Staaten. Kurt und Courtney waren auch am Cover, mit Baby Frances Bean. Aber Courtney war doch die Erzfeindin von Kathleen? Nannte sie immer Ratte, nicht wahr? Und dann musste Courtney gerichtlich verordnet anger management machen, weil sie Kathleen geohrfeigt hatte? Ja, so konnten sie auch sein, die legendären Riot Grrrl Tage.
P.S.: Kurz aber fein: The late great Martin Büsser und sein Treffen mit Courtney Love: "A Love Letter - Courtney Love über Riot Grrrl".
"Riot Grrrl Revisited" scheut sich auch nicht, neben all der Euphorie wie etwa von Corin Tucker von Sleater-Kinney: "Zum ersten Mal in meinem Leben erlebte ich, wie Feminismus in eine emotionale Sprache verwandelt wurde. Dass ich dabei zusah, wie sich diese Gedankengänge und Ideen mit persönlichen Inhalten vermischten... Dass sich junge Frauen, die quasi noch im Teenageralter waren, das einfach getraut haben, hat die Leute umgehauen. Und mich ganz besonders", auch eine Kehrseite zu zeigen, ja, ganz schön hart ins Gericht zu gehen mit der Riot Grrrl Bewegung.
"Die ganze Riot Grrl Szene war ein ziemliches Geklüngel. Auch wenn 'Jedes Girl ist ein Riot Grrrl' ein verbreiteter Spruch auf Stickern war, so war doch die Ironie, dass es, wie in vielen Subkulturen, eine klare Trennung zwischen Insidern und Outsidern gab. In diesem Sinne hat Riot Grrrl einige der problematischen Aspekte der Mainstream-Girl-Kultur übernommen, einschließlich einem Punkt [...]: dem Gefühl, dass es populäre und unpopuläre Mädchen gibt.[...]Die Cliquenhaftigkeit von Riot Grrrl wurde noch verschärft durch die Tatsache, dass die meisten Mädchen, die sich von Riot Grrrl angesprochen fühlten, unsicher waren und in der ständigen Angst lebten, irgendwo nicht dazuzugehören", so Marisa Meltzer.
Hit It Or Quit It
Hopper
Und Jessica Hopper, die 1992 sechzehn Jahre alt war und das Zine Hit It Or Quit It herauszugeben begann:
"Riot Grrrl ist von selber implodiert. Riot Grrrl war zänkisch und es gab eine Reihe unausgesprochener Regeln und Hierarchien. [...] Es war auch völlig unorganisiert. [...]. Allen war klar, dass Riot Grrrl nicht auf Dauer angelegt war."
Zine? Da schlagen wir doch gleich nach im Riot-Grrrl-Lexikon von "Riot Grrrl Revisited": "Wichtigstes Austausch- und Informationsmittel zur Verständigung innerhalb der Riot-Grrrl-Szene im Prä-Internetzeitalter. Werden meist in Eigenregie geschrieben, fotokopiert und in kleiner Auflage verbreitet. [...] Zuletzt spendete Kathleen Hanna ihre Sammlung der NYU."
X-Girl, Rebel Girl & die Grether Schwestern
"Riot Grrrl Revisited. Geschichte und Gegenwart einer feministischen Bewegung" ist im Ventil Verlag erschienen.
Weiters im Riot-Grrrl-Lexikon: Begriffe und Namen wie X-Girl (die Bekleidungslinie von Kim Gordon), Rebel Girl, Queercore, Yoko Ono, Parole Trixi. Ach, Parole Trixie, ein Wiedersehen/Lesen mit den beiden deutschen Riot Grrrls schlechthin: Kerstin und Sandra Grether. Nach längerer Pause machen die beiden heute wieder zusammen Musik. Da werd ich doch gleich im Netz nach Doctorella, ihrem neuen Projekt, suchen.