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Robert Zikmund

Wirtschaft und Politik

27. 7. 2011 - 15:05

„Engagiert Euch!“

In seinem Nachfolgebuch zum millionenfach gelesenen Traktat „Empört Euch!“ gibt Stéphane Hessel Anleitungen für eine bessere Gesellschaft.

In Somalia sind aktuell rund eine Million Kinder vom Hungertod bedroht, aber auch in anderen, nicht im Krieg befindlichen afrikanischen Ländern stirbt jeden Augenblick ein Mensch an vermeidbaren Folgen der Unterernährung. Gleichzeitig machen die größten transnationalen Konzerne in diesen Ländern Milliarden-Geschäfte, zwingen etwa ganzen Staaten den Kauf ihres überteuerten Saatgutes auf oder betreiben „Landgrabbing“ – und haben damit kraft ihrer „unsterblichen“ Existenz eine Machtfülle erreicht, die über jener von einzelnen Nationen steht.

Stephane Hessel

AFP

Stéphane Hessel. Widerstandskämpfer und Mitverfasser der allgemeinen UNO Deklaration der Menschenrechte

Währenddessen bricht in den entwickelten Staaten zunehmend der sogenannte „Mittelstand“ weg, da der Konsum durch weniger Kaufkraft gefährdet ist, wurde und wird zunehmend kreditfinanziert. Das führtzu einer gigantischen Verschuldung fast aller Staaten und Kommunen, auch in den reichen Ländern. Als Folge davon akkumuliert immer mehr Vermögen in immer weniger Händen. In einer Welt, wo 1% der Bevölkerung etwa 40% des Vermögens hält und trotz Ressourcen zur Ernährung von rund 12 Milliarden Menschen alle paar Sekunden ein Kind stirbt, läuft, wie nicht nur Jean Ziegler meint, einiges schief.

Kapitalistische Schieflage

Doch zeitgleich sind große Teile der entwickelten Welt noch immer von der Alternativlosigkeit eines nicht regulierten freien Marktes überzeugt, so wundert es auch nicht, wenn in Tageszeitungsforen zu Somalia zu lesen ist, den Westen treffe keinerlei Schuld.

Da der Glaube an die Kräfte des Strebens nach Gewinnmaximierung fast schon was religiöses hat, ist auch die Diskussion so mühsam.So meinte unlängst Washington Korrespondent Hanno Settele in der Zeit im Bild zu den Republikanern, die sich vehement gegen Steuererhöhungen für Superreiche stemmen: „Es ist schwierig mit religiösen Fundamentalisten zu argumentieren.“

Vor dem Engagement die Empörung

Der Zustand der aktuellen wirtschaftlichen Verteilung von Gütern und Dienstleistungen auf unserem Planeten, den Autoren wie Ziegler oder Noam Chomsky als „größte intellektuelle Schande der aufgeklärten Menschheit“ bezeichnen, hat auch einen über 90jährigen Mann vor knapp einem Jahr dazu bewegt eine kleine Kampfschrift zu verfassen.

Stéphane Hessel verfasste mit dem wenigen Seiten starken Büchlein „Empört Euch“ einen Text, der sich an Kiosken und anderen kleinen Läden in Frankreich, aber auch anderswo in Europa, millionenfach verkaufte – für knappe drei Euro.

Darin beschwört Hessel, selbst ehemaliger Kämpfer der französischen Resistance gegen die Nazis und später Mitverfasser der allgemeinen UNO Deklaration der Menschenrechte, den Geist des Widerstandes und das Motiv der Empörung.

Wo bleiben Ökologie und Menschlichkeit?

Gegen die Unterordnung aller sozialen, ökologischen und schließlich menschlichen Bedürfnisse und Interessen, wie Liebe, Kooperation und Zusammenhalt, unter das Diktat von Zahlen. Der Fortschritt der Welt könne sich nicht am Shareholder Value der 500 größten Konzerne messen lassen, so Hessel

"Wir leben unter zu viel Druck von Finanz, von Wirtschaft, von Macht. Und die Jungen haben das nicht mehr gern, sie sind die Opfer davon. Und wenn ein Opfer plötzlich fühlt, dass es nicht richtig ist, dass es noch Opfer sein soll, dann kann es sich schon empören. Wir haben ja auf Französisch einen anderen Ausdruck, für uns haben wir gesagt "Indignez vous", also die Würde, die ist irgendwie verloren gegangen - und das empfinden die Jungen als etwas, das sie nicht mehr annehmen wollen."

Empörung in Spanien und Nordafrika

Dieses Motto nahm etwa auch die spanische Jugendprotestbewegung von Barcelona und Madrid dankbar auf, so konnte man auf zahlreichen Transparenten und Fahnen Hessels Motto lesen: „Empört Euch!“. Aber auch in Nordafrika war es vor allem die Jugend, die sich nicht mehr länger in den Fatalismus etablierter Machtgefüge drängen ließ, ein Umstand, der Hessel hoffen ließ und lässt.

"Das ist natürlich für mich etwas Wunderbares. Ich hatte ja keine Ahnung, dass dieses kleine Büchlein, dieser Appell, dieser Ruf an die Jugend - zu sagen, seid doch vorsichtig, macht doch was ihr wollt - dass das plötzlich in Nordafrika zu einem ganz neuen und unvorhersehbaren Appell geworden ist, das ist natürlich ein reiner Zufall, aber ich und meine Freunde waren natürlich ganz verblüfft!"

Da bloße Entrüstung und Empörung aber nur der Ausgangspunkt für künftiges Handeln sein kann, legt Hessel nun mit „Engagiert Euch“ die Nachfolgeschrift vor.

Buchcover: "Engagiert Euch!"

Ullstein Verlag

„Engagiert Euch“, von Stéphane Hessel, ist im Ullstein Verlag erschienen und wurde von Michael Kogon aus dem Französischen übersetzt.

Darin führt er über 41 Seiten ein Gespräch mit dem Autor Gilles Vanderspooten, die Themen schließen nahtlos an Empört Euch an, auch wenn hier der Fokus auf die notwenige Ökologisierung ein weniger stärker betont wird. Hessel schildert, warum er nicht an gewaltvolle Umstürze und Weltrevolutionen glaubte und beschreibt nach wie vor die Vereinten Nationen als wichtigstes Gefäß für die anstehenden, globalen Herausforderungen.

Außerdem bekennt er sich in diesem Nachfolgebuch recht eindeutig zu einer politischen Idee:

„Ich habe mich seit jeher als Sozialist betrachtet, weil ich hier meine Vorstellung von sozialer Gerechtigkeit beheimatet fühle. Aber den Sozialisten fehlt es an Schwung. Ich erhoffe mir eine mutige, wenn nötig aufsässige Linke, die visionär und freiheitlich denkt, und dazu in den Institutionen genügend Grüne, die darauf achten, dass die Lebensgrundlagen auf unserem Planeten bewahrt werden.“

Neben Ansätzen für den ökologischen Turnaround skizziert Hessel noch fragmentarisch Alternativen zum gegenwärtigen Spiel der sogenannten freien Kräfte des Marktes. Einfältige Geister, die als einzige „Alternative“ stets den Kommunismus sowjetischer Prägung an die Wand malen, dürfte das überraschen.

„Unsere Welt ist nur noch ein Schatten ihrer selbst“.

Schließlich kommt er, auf die Gefahr weiterer und schlimmerer Krisen angesprochen, zum Schluss:

„Erforderlich ist eine von allen Staaten der Welt getragene Regulierungsstrategie, die unter genügend Druck aus der Weltbevölkerung dann auch tatsächlich umgesetzt wird. Unsere Welt ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Sie ist seit der Weltkrise aus den Fugen geraten, von den großen Profiteuren des internationalen Finanzsystems destabilisiert. Sie muss so schnell wie möglich in eine Welt übergeführt werden, die gerecht ist, in der alle gleich und jeder frei ist.“

Und auch wenn Hessels Glaube an die gewählten politischen Institutionen – die ja oft mit den erwähnten Profiteuren eng verstrickt sind (so bezahlt etwa jene Finanzindustrie den Wahlkampf beider US-Parteien) – ein wenig naiv wirkt ist er dennoch aus seiner Biographie heraus verständlich.

Und ein bisschen naiver Idealismus könnte dieser Welt, als Gegengewicht zum resignativen Zynismus, vielleicht ganz gut stehen – nicht nur auf der Placa de Catalunya in Barcelona.

Schon am Umschlag des Buches wird klar worum es geht: Die Verletzung der Menschenrechte und die Zerstörung der Umwelt geht uns alle an. In diesem Buch versucht der 93jährige Hessel Anleitungen zu geben, wie sich jeder Einzelne konkret für eine bessere Gesellschaft stark machen kann.

Nichts weniger.