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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

25. 7. 2011 - 17:09

Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs

Biedere Chickflicks waren gestern: "Bridesmaids" ist ein irre komisches, anarchisches und berührendes Filmwunder.

Zugegeben, ich verstehe sie einfach nicht, diese Idee von der narkotisierenden Unterhaltungskost, die einen einfach nur ruhigstellen und von den Härten des Lebens ablenken soll.

Dabei gehöre ich weder zu jenen lustfeindlichen Zeitgenossen, die hemmungslosen Eskapismus grundsätzlich verdammen noch zu den Vertretern eines bildungsbürgerlich wertvollen Kinos. Ganz im Gegenteil, kreist mein persönlicher Filmbegriff doch um sinnliche Erfahrungen und befreiende Gefühlsausbrüche, bis hin zur rauschhaften Realitätsflucht.

Nur mag ich mich halt auch nicht mehr pflanzen lassen von stupiden Fließband-Drehbüchern aus Hollywood oder sonstwoher, die neben ihrer formelhaften Struktur auch noch mit Grundschullektionen in Sachen Moral nerven.

Ich will ein Entertainment-Kino, das mich zwar überwältigt, aber dennoch auf Augenhöhe ernst nimmt, auch wenn die Inhalte höchst unernst daherkommen.

Womit wir zu einem der weiteren großartigen Filme in diesem ohnehin jetzt schon fantastischem Kinojahr kommen. Wenn "Hanna" und demnächst wohl "Super 8" aufregende Beweise sind, dass sich aus dem maskulin besetzten Sci-Fi-Action-Genre noch Herz- und Hirnerschütterndes herausholen lässt, dann muss man nach "Bridesmaids" den diffizilen Bereich der Chickflicks neu denken.

Bridesmaids

UIP

Als Mann, den militarisiertes Bubenkino von der Festplatte anödet und der sich bei Jason Stathams Faustgefechten entsetzlich langweilt, traue ich mich ebenso erbarmungslos über romantische Komödien für dezitiert weibliche Zielgruppen zu urteilen.

Sehr viele davon sind, mit Verlaub, der letzte Dreck. Allerdings zuckerlrosa eingefärbter Dreck, der allen Frauen, die sich gerne in Märchenwelten mit galanten Prinzen wegbeamen, wie ein edles Dessert verkauft wird.

Tatsächlicher Schmutz, wenn wir schon im Bereich des Unrats und der Abfälle bleiben, hat in diesem aseptischen Genre naturgemäß wenig zu suchen. Und nicht nur in diesem Punkt ist die neue Komödie aus dem Hause Judd Apatow ganz anders. "Bridesmaids" lässt uns beispielsweise am Besuch von sechs Frauen in einem Luxus-Brautmode-Laden teilhaben, die kollektiv eine brutale Lebensmittelvergiftung erwischt haben. Und wer sich unlängst bei "Hangover 2" schon dachte, dass sich die Grenzen des Mainstreamkinos mittlerweile ganz schön dehnen lassen, wird bei dieser Szene nach Luft schnappen.

Dabei ist Paul Feigs Comedy-Meisterwerk so viel mehr als Gross-Out-Klamauk oder bloß eine feminine Variante der verkaterten Horror-Bachelor-Party von Todd Phillips. Dem Spezialisten für charmanten Außenseiterhumor ("Freaks and Geeks", "Walk Hard") gelingt es, inmitten der ärgsten Bruhaha-Momente, eine Wärme und Tiefe entstehen zu lassen, von der auch viele Autorenfilmer nur träumen können.

Bridesmaids

UIP

"Bridesmaids" (den doofen deutschen Titel "Brautalarm" vergessen wir auf der Stelle) erzählt die Geschichte der leicht verhuschten Annie (Kristen Wiig), die gerade durch eine geballte Thirtysomething-Krise stolpert.

Nachdem ihr kleiner Konditorladen sich in der Rezession ebenso vertschüsste wie der Freund und die gemeinsame Wohnung mit ihm, teilt sie sich mit einem ungustiösem britischen Geschwisterpaar eine WG. Und mit einem arroganten Womanizer, der "Mad Men" Jon Hamm verblüffend ähnlich sieht, gelegentlich die Matratze. Den in ihrem Alter etwas unwürdigen Verkäuferinnenjob in einem Schmuckladen verdankt sie ihrer Mutter.

Kein Wunder, das Annies Selbstwertgefühl am Nullpunkt gelandet ist. Als dann ihre beste Freundin Lilian (Maya Rudolph) plötzlich von bevorstehenden Heiratsplänen redet, friert ihr schnell das Lächeln ein.

Denn nicht nur verabschiedet sich die einzige Person, mit der sie Freud und Leid teilt, demnächst aus ihrem Leben, sie hat als Brautjungfer auch noch den geballten Zeremonien-Stress vor sich. Und der nimmt, dank einer überambitionierten Organisatorinnen-Konkurrentin, wahrhaft beängstigende Dimensionen an.

Bridesmaids

UIP

Allerspätestens an dieser Stelle muss man aufhören, irgendwelche Handlungsstränge zu verraten. Ich flüstere jetzt hier nur noch verschwörerisch allen Eingeweihten zu: Die Flugzeugszene! Die britischen Mitbewohner! Die Schmuckladenkonfrontationen! Die freiwilligen Verkehrsübertretungen! Und natürlich die Brautkleidprobe!

"Bridesmaids" reiht einen komödiantischen Höhepunkt an den nächsten, aber alle diese oftmals hysterischen Vignetten werden ohne eine Sekunde falscher Hektik inszeniert, voller kleiner Details. Und vor allem ergibt sich aus dem Feuerwerk der Sketche ein Gesamtbild, das viel mehr ist als die Summe der Teile.

Es ist, wie viele der Geniestreiche des vielschichtigen Götterproduzenten Apatow, dies eine Geschichte des tiefen Fallens und des Wiederaufstehens, unter der Schicht von diversen Körperflüssigkeiten ruht eine Saga von Freundschaft, Liebe und Mut. Du liebe Güte, ich habe am Schluss fast soviel geweint wie bei "Tree Of Life", so schön ist dieser superlustige Film.

Dass keine Sekunde lang dämliche Moralpredigten aufkommen und der (nicht nur) amerikanische Traum böse persifliert wird, verdankt sich der außerordentlichen Kristen Wiig, die nicht nur in der Hauptrolle brilliert, sondern auch als Drehbuchautorin, neben Annie Mumolo. Aber vor den Vorhang muss man das ganze einzigartige Ensemble bitten, von Rose Byrne über die unglaubliche Melissa McCarthy bis hin zum selten lässigen Chris O'Dowd.

Eine dringende Empfehlung also an dieser Stelle, etwaige Vorurteile zu überwinden. "Bridesmaids" ist die Antithese zu "Sex & The City" & Co, ein irre komisches, anarchisches und berührendes Filmwunder.

Szenenbild aus Bridesmaids: 6 Frauen in einer Boutique stehend

NBC