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Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

23. 7. 2011 - 22:34

Der geruchlose Crash

Amy Winehouse hat sich selbst zugrunde gerichtet. Komplizen gibt es trotzdem genug.

So um 2003 herum muss es gewesen sein, kurz vor oder nach dem Erscheinen ihres ersten Albums „Frank“, da erzählte mir ein Journalistenkollege von seinem Interview mit Amy Winehouse in einem Pub in Camden Town. Er war einigermaßen schockiert, obwohl er schon einiges erlebt und selbst probiert hat.

Winehouse war ihm als das reinste Crack-Wrack erschienen, mit Wunden an den Armen und blutig abgewetzten Knöcheln an den Händen. Das könne nicht lange gutgehen, sagte er damals.

Als sie zwei Jahre darauf mit ihrer Retro-Soul/Neo-Girl-Pop-Konfektion „Back to Black“ den britischen Medienmainstream saturierte, musste ich immer an diese Beschreibung denken.

Und hier liegt mein Problem: Kollege Jordan hat grundsätzlich völlig recht, wenn er bei mir anruft und bei mir die britische Perspektive zum Tod von Amy Winehouse bestellt. Das Problem ist nur, dass ich in dieser Hinsicht mutwillig ignorant bin.

Die Selbstzerstörung der Amy Winehouse war nämlich jahrelang (ca. 2007 bis 2009) eine in der britischen Medienöffentlichkeit derart penetrant mit dem dreckigsten Voyeurismus inszenierte Posse, dass mir als einzige halbwegs würdige Reaktion auf ihre systematische, heuchlerische Ausbeutung nur das konsequente Nichtkonsumieren dieser Reality-Seifenoper einfiel.

Ihre Musik mag mich letztlich nicht so berührt haben wie so viele andere, aber ihre Stimme war unzweifelhaft ein Phänomen, siehe zum Beispiel diese Performance beim Mercury Prize 2007, in der sie den Geist der jungen Aretha Franklin auf ihrer Zunge tanzen lässt und dabei auch noch den spannenden Zaubertrick fertigbringt, nackte Emotionalität mit einem unterschwelligen Zynismus zu vereinen.

Als eines der vielen erfolgreichen Produkte der von der Musikindustrie betriebenen Rennpferdzucht namens BRIT School in Croydon, südlich von London (neben Kolleginnen wie Adele, Katy B, Katie Melua oder Kate Nash) hatte sie wohl schon als Teenagerin mehr als genug über dieses Spiel gelernt – und war dennoch offenbar naiv genug, mit dem Hit-Song "Rehab", der wohl nur Leute amüsieren konnte, die nie mit einem Junkie oder einem/einer AlkohlikerIn befreundet waren, just jenes Biest zu füttern, das sie später so vorhersagbar verschlingen sollte.

Jetzt, wo die Krokodilstränen schon zu fließen begonnen haben und ein gewisser Teil der absehbaren Trauerarbeit gewiss bereits an die Presswerke delegiert wurde, sollten wir uns jedenfalls an das einst von der Plattenfirma lancierte "Help Amy escape from rehab"-Videospiel erinnern. Ein makabrer Mordsspaß damals.

Amy Winehouse

Amy Winehouse

Das einzige, was heute Abend auf Amy Winehouse' Website zu sehen ist

Und während ich auf den sozialen Netzwerken unser internationalen Internetprovinz überall gut gemeinte Wortmeldungen lese, die versuchen, die Betroffenheit über Norwegen mit der Betroffenheit über Amy Winehouse in Verbindung zu bringen, fällt mir gerade auf, dass der Tod einer Sängerin in direktem Zusammenhang mit diesem anderen großen britischen Drama der letzten Wochen, dem Abhörskandal im Murdoch-Imperium steht.

Weil es dabei nicht nur um die Schuld der glurenden Journaille oder der - auch im Fall von Amy Winehouse - korrupt als Informationsquelle agierenden Polizei, sondern eben auch um die Komplizenschaft des Publikums im obszönen Zurschaustellen und Fertigmachen öffentlicher bzw. öffentlich gemachter Personen geht. Und das übrigens nicht nur im Boulevard:

Neulich nach Winehouse' desaströsem, abgebrochenen Gig in Belgrad postete ausgerechnet der der Nonkonformisten-Rolle verhaftete alte Kritikerguru Everett True unter dem Titel
this is why we have YouTube: Amy Winehouse drunk in Belgrade einen Mitschnitt ihres Zusammenbruchs im Bühnenlicht.

Darunter schrieb er:

"I really like Amy.
Even so, the above is a fairly compelling argument for why the Internet can be so fun. A few years back, we’d have had to rely on a few shocked word-of-mouth reports and tried to gauge for ourselves whether exaggeration was involved. Now we get to witness the car crashes without any of the unpleasant smells."

Zur Ausnahme, weil's heikel ist, die Übersetzung:

“Ich mag Amy wirklich.
Trotzdem, das Obenstehende (der Youtube-Link zum Konzertmitschnitt) ist ein ziemlich schlagendes Argument dafür, warum das Internet so lustig sein kann. Vor ein paar Jahren hätten wir uns noch auf ein paar schockierte, auf Hörensagen beruhende Berichte verlassen und selbst abschätzen müssen, ob da Übertreibung mit im Spiel war. Jetzt können wir Augenzeugen der Autounfälle sein, ohne die unangenehmen Gerüche.“

Später fügte ET noch hinzu, er habe den Post geschrieben, während er die Kinder ins Bett gebracht hätte und sei sich eh bewusst, dass Videos kein objektives Dokument und sehr wohl auch zur Übertreibung fähig seien. Aber was in meinen Ohren nachklang, war der erstaunlich brutale Satz mit den "car crashes".

Wo lag hier eigentlich der Unterschied zu den von Murdochs The Sun veröffentlichten Videos von Amy beim Crack-Rauchen? Oder zu dem von Murdochs News of the World veröffentlichten Video, in dem Amy einen rassistisch-homophoben Auszählreim singt? Oder zu den von der spießig-rabiaten Daily Mail veröffentlichten Innenaufnahmen ihrer Nasenlöcher?

Gut, da war die Tatsache, dass es sich um ein öffentliches Konzert gehandelt hatte, aber der fiese Thrill war doch derselbe. Jemand anderem beim Scheitern zuzusehen, während man selbst gerade die Kinder ins Bett bringt.

Verzichten wir hier also auf eine Chronologie von Amy Winehouse' Beziehungsdramen. Zählen wir von mir aus ihre fünf Grammys ab, anerkennen wir bzw. vergeben wir (je nach Geschmack) ihre Verdienste als Wegbereiterin von Nachfolgerinnen wie Adele, Duffy oder Rumer und ärgern wir uns über die Verschwendung eines Menschenlebens und über die Vorhersagbarkeit des von Martin Blumenau in seinem heutigen Journal beschriebenen immer gleichen Spiels.

Aber bitte keine Theorien übers Sterben mit 27. Das riecht schon viel zu faul nach demselben alten Faszinosum, das nun wirklich keiner mehr braucht.

PS: Während ich das hier fertig schreibe, veröffentlicht Everett True gerade seinen Nachruf und verdrückt eine Träne für Amy, nicht weil sie tot sei, sondern wegen der Schönheit, die sie mit uns geteilt habe.

Vor dem geruchlosen Crash.