Erstellt am: 23. 7. 2011 - 21:34 Uhr
Journal 2011. Eintrag 140.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.
Heute mit dem, was mir die Nachricht von Amy Winehouse' Tod über uns erzählt.
1
Unlängst, in einer sehr präzisen arte-Doku über das Leben von Janis Joplin wurde natürlich auch deren früher Tod thematisiert, bar jeder "only the good die young"-Schmonzette, ohne falsches Pathos.
Richtig unerwartet, meinten die unromantischen Zeitzeugen, sei das gewesen, weil sich die unsichere weiße Frau mit der irrwitzigen schwarzen Bluesstimme gerade in einer Phase der Konsolidierung befunden hatte, in jeder Hinsicht, privat und beruflich.
Und letztlich war es das viel zu stark verschnittene Heroin gewesen, das Joplin, die schon wusste, was sie sich zumuten konnte, das Leben gekostet hatte.
2
Vor einigen Wochen, als ein paar alte und neue Hippie-Imitatoren im Rahmen der "Schule für Dichtung" die 40. Wiederkehr des Todes von Jim Morrison feierten, der ein paar Monate nach Joplin starb, gab es ganz ähnliche Geschichten: der dubiose Dealer (ein Mann von französischem Adel) hatte den Doors-Gott mit zu starkem H versorgt; auch dieser Tod letztlich ein Unfall, weil man die Grenzbereiche noch nicht richtig ausgelotet hatte. Über den Tod von Jimi Hendrix ein paar Monate danach, gibt es ganz ähnliche Geschichten.
3
Heute wären diese Schicksale nicht möglich: Drogenkonsum, egal ob in Form dieser illegalen Rauschmittel oder in Form legalisierter oder halblegaler Aufputscher oder Niederdrücker, ist keine Landkarte mit weißen Flecken mehr, sondern ein durchorganisierter Topos, an dem weniger die organisierte Kriminalität als vielmehr die kapitalistischen Marktkräfte verdienen.
Denn dieser unaufgeregte Umgang garantiert soziale Unauffälligkeit und Angepasstheit, und ist somit Teil der Leistungsgesellschaft, die sich ja in allen wesentlichen Bereichen mit Leistungssteigerern schmückt. Egal, ob es sich um Trickster wie Lance Armstrong, koksende Politiker oder ökonomische Entscheider ohne Schlafnotwendigkeit handelt.
Überraschungseffekte wie das unerwartet harte Heroin, das Joplin und Morrison tötete, gibt es heute kaum noch.
4
Das ganze ist mit der fast zeitgleich stattfindenden Serie der Toten im Formel I-Zirkus vergleichbar: von Mitte der 60er bis Mitte der 80er starben über 30 Fahrer in Rennen oder Trainings. Seit nach dem Tod des besten Fahrers aller Zeiten, Ayrton Senna, die Regulative massiv geändert wurden, keiner mehr.
Und da setzt dann ein gruseliger Gedanke ein.
Die Formel 1 ist nicht nur deshalb so fad, weil sie so bieder, so schumacher-vettelig ist, sondern auch weil es keine reele Gefahr mehr gibt.
Die war da, lastend und überdeutlich spürbar. Wenn ihr es literarisch verarbeitet haben wollt, dann lest Wolf Haas' großartiges Formel 1-Buch. Wer sich der Formel 1 aussetzte, in den 60ern, 70ern und Anfang der 80er, der setzte sich dem Tod aus; oder zumindest der Beschäftigung damit. Tatsache.
5
In der Rockmusik, die zeitgleich zur Formel 1 einen vergleichbaren Gründer-Mythos erlebte, war das durchaus ähnlich. Auch da bogen viel zu schnelle Sound-Piloten viel zu wild in ungeahnt schlitternde Kurven und setzten sich, ihre Körper und ihr Bewusstsein realen Gefahren aus. Syd Barrett, Brian Jones, die Manson-Morde, der tote Bursche aus Altamont, Keith Moon... alles Piloten, die in viel zu schnellen Autos auf viel zu ungesicherten Kursen unterwegs waren und dabei vor den Augen der ganzen Welt etwas Extravagantes darbieten mussten.
Genauso wie jeder, der die alte Formel I, die im Bewusstsein echter Lebensgefahr stattfand, miterlebt hat, die aktuelle Formel 1 einfach nur als lächerlichen und billigen Abklatsch empfinden kann, genauso können auch die, die Rock'n'Roll als etwas Lebensgefährliches erlebt hatten, schwer mit der Jetzt-Zeit umgehen.
6
Nur hin und wieder blitzte wieder so etwas wie ein Gefahrenmoment auf. Als sich HipHop zu einer echten Gegengewalt entwickelte, als Public Enemy Staatsfeinde waren; und als sich Kurt Cobain die Kugel gab.
Die rohe Kraft die populäre Musik entwickeln kann, lässt sich nicht ohne echte Gefahr, ohne durchgeknallte Grenzgängerei erreichen. Die gibt es natürlich überall, bei den Aphex Twins aller Bereiche und Genres - aber nicht mehr mitten im Mainstream des Geschehens.
Und selbst wenn dann Figuren auftauchen, die diese Klischees bedienen, haben sie's schwer.
7
Kann noch jemand die xte Doherty-Geschichte hören? Wieder verhaftet worden, weil Schmiere gestanden bei einem Einbruch. Wieder jemandem, bei dem er untergekommen ist, Geld geklaut. Wieder eine Einweisung, wieder ein Entzug, wieder Abbruch.
Pete Doherty ist, das nehme ich an und ich hätte auch Belege dafür, ein tatsächlich in einem unsicheren Gefährt auf unbeleuchteter Strecke losbrausender Sturzpilot, ein Jim Clark seiner Zunft. Weil er aber nur noch eines von ganz wenigen, ein Einzeltäter ist, gilt er aber als Geisterfahrer. Und damit auch irgendwie als armer Trottel.
8
Der armen Amy Winehouse wird es wohl ähnlich gegangen sein. Über die weiß ich ja zu wenig, deren interpretatorisch sicher anspruchsvoller Soul-Zugang hat mich nie wirklich interessiert, klasse, aber restaurativ.
Das Umfeld, die Männer/Prügel/Drogen/Abbruch-Geschichten strotzen auch nicht vor Ungewöhnlichkeit, auch weil es Geschichten sind, die jede besseres Biopic über die alten Helden (egal ob Ray, Tina oder Johnny) eh schon erzählt hat. Oder, noch schlimmer, die Whitney Houston-Story.
Und auch in ihrem Fall kam sofort das Bild der ein bissl lachhaften Geisterfahrerin daher.
9
Ich erinnere mich an einen Bericht des ZDF-Kulturmagazins Aspekte (das einen Kulturbegriff von 75jährigen pensionierten Studienräten hochhält) von vor ein paar Wochen: Winehouse war gerade in Belgrad gestolpert, und die Aspekte-Redaktion entblödete sich nicht ein zwei oder drei Jahre altes Winehouse-Interview vorzuführen, dass sie schon bei der ersten Frage abbrechen musste, weil sie (allzu offensichtlich) voll drauf war und weder ihre Augen noch ihrs Stimme unter Kontrolle hatte.
Das, was früher einmal Anlass zu Sorge gegeben hätte, das, was in mythischen Erzählungen als Gefahr und damit als klassisch-dramatisches Narrativ gedient hätte, taugt nur mehr zur Lächerlichmachung.
10
Und das sagt mir eines: nicht die Kamikaze-Fahrer, nicht die mit den Untiefen ihrer Seelenqual kämpfenden Stars und nicht das Gefahren-Moment ist aus unseren Leben verschwunden - wir sind schlicht und ergreifend unfähig damit umzugehen.
Wir können einander die Geschichten von Gefahr und Überwindung, Scheitern und Wachsen nicht mehr erzählen.
Wir können einander ja schon länger kaum noch Geschichten erzählen, ohne dabei an Eigennutz zu denken.
Wir müssen diese Gefahren-Momente, der neuen Verwertungslogik der Skandalisierung gehorchend, lächerlich machen und abtöten.
Mit Amy Winehouse ist heute nach langer Zeit wieder einmal eine Formel 1-Pilotin gestorben. Die öffentlichte Streckenführung wird das nicht beeinflussen.