Erstellt am: 23. 7. 2011 - 13:46 Uhr
Die Wahrheit angesichts eines blutigen Wabbelhaufens
Das Auftauchen einer spindeldürren Person im Minirock verursacht im verschlafenen Dörfchen Sonokrom Aufsehen. Sie sei die Freundin eines Ministers heißt es. Als sie dann kreischend aus der Hütte eines gewissen Kofi Atta rennt, ist's mit der Ruhe endgültig vorbei. Wenige Stunden später taucht ein mehrköpfiger Polizeitrupp auf, um das, was da in Kofi Attas Hütte verwest, zu untersuchen.
Das Ding, das auf Kofi Attas Matte lag, wabbelte. Es war schwarz und glänzte, aber als der große rote Polizist etwas näher kam, waren das Fliegen, tausende und abertausende. Ich drehte mich um und zog die Matte von Kofi Attas Tür, und die Fliegen zogen alle raus, bis auf eine, die immer noch ihre Kreise machte. Die Sonne strömte in den Raum und wir sahen alle, was auf der Matte war. Es sah, wenn ich das so sagen darf, wie eine gehäutete Antilope aus, hatte aber keine Knochen und war so rot wie die Monatsblutung einer Frau.
Unionsverlag
„Die Spur des Bienenfressers“ hat zwei Erzählstränge: da ist einerseits der Ich-Erzähler Yaw Poku, ein Jäger voller Weisheiten, der zwischen den Polizisten und den Dorfbewohnern vermittelt, da er Englisch spricht. Dass eine gemeinsame Sprache aber noch lange keine Verbindung zwischen Menschen schaffen muss, ist eine Erkenntnis, die Nii Parkes mit viel Witz zum Ausdruck bringt. Die Dörfer in Ghana befänden sich außerhalb der postkolonialen Ordnung, sagt er in einem Interview mit der BBC, Gesetze hätten hier einfach keine Wirkung. Die Menschen hätten keine Angst, also auch keinen Respekt vor der Polizei.
Wäre dies der einzige Schauplatz, wäre das Buch bloß eine entrückte Darstellung afrikanischer Dorf-Mysterien. Doch Nii Parkes bindet in diesen Erzählstrang die Betrachtungen eines weiteren Mannes ein: Kayo wird in den Kriminalfall gezogen. Er ist Forensiker, hat in London studiert und arbeitet nun für den despotischen Betreiber eines Chemielabors in Accra. Seit Monaten versucht er eine Stelle bei der Polizei zu bekommen.
Nii Parkes war Artist-in-Residence bei BBC, Writer-in-Residence an der California State University in Los Angeles und für den Booktrust sowie Champion des Farrago UK Poetry Slam. Er ist 1974 in Großbritannien geboren, aufgewachsen in Ghana. 2009 ist sein erster Roman „The Tail of the Blue Bird“ auf Englisch erschienen, der vor kurzem in einer Übersetzung von Uta Goridis unter dem Titel „Die Spur des Bienenfressers“ im Unionsverlag auf Deutsch erschienen ist.
Es war erst 10 Uhr 03, aber er freute sich schon auf sein Bier nach der Arbeit. Ohne seine Freunde wäre er schon lange übergeschnappt. Mit ihnen konnte er gegen das System wettern, und das tat gut. Sein bester Freund Nii Nortey lachte mit ihm, unter vier Augen jedoch gab er Kayo den guten Rat, dass er, wenn er für die Polizei arbeiten wollte, die richtigen Leute kennenlernen und bestechen musste. Kayo hatte seine Schwierigkeiten mit diesem Konzept. Musste er jemanden bestechen, um einen Job zu kriegen, für den er bestens geeignet war? Das System war ihm bekannt, aber wie konnte man jemanden bestechen und danach mit dieser Person zusammenarbeiten?
Nii Parkes geistvolle Analyse von politischem Machtmissbrauch und seine Vermischung von unvereinbaren Welten machen das Lesevergnügen dieses Buches aus: Kayos westliches Rechtsverständnis prallt auf den Ungehorsam der Landbevölkerung, die ihrerseits das Auftauchen eines wabbrigen, blutverschleimten, fliegenumschwirrten Etwas in einer Hütte metaphysisch mit dem Groll der Ahnen zu erklären versucht. Oder, wie es der Jäger Yaw Poku ausdrückt: der Mensch hat einen Plan, die Vorfahren haben ihren, und manchmal passen sie einfach nicht zusammen.
„Die Spur des Bienenfressers“ ist – philosophisch betrachtet – eine Parabel auf das, was man als Wahrheit bezeichnet. Letztlich ein Gebilde, das nicht zu konstruieren ist. Oder, wie es Nii Parkes ausdrückt:
Marianne San Miguel
"Ich bin der Meinung, dass Mythen und Geschichten zu einer vollständigeren Wahrheit führen können als wissenschaftlicher Vernunftglaube allein. Wir können nicht einer Wissenschaft, deren Lehrsätze auf Leerstellen gründen, die als Konstanten bezeichnet werden, einen so hohen Stellenwert zusprechen, ja sie sogar als einziges Erklärungsmodell für die ungelösten Rätsel der Welt betrachten – dafür ist die Menschheit viel zu komplex."