Erstellt am: 22. 7. 2011 - 11:45 Uhr
Mehr Hunger, weniger Hilfe
Mehr als elf Millionen Menschen sind derzeit von einer großen Dürreperiode am Horn von Afrika betroffen. Zigtausende Menschen sind bereits verhungert, Tendenz steigend. Denn nicht nur das kriegsgebeutelte Somalia oder das bitterarme Äthiopien sind betroffen, mittlerweile hat sich die Krise auch auf Kenia ausgeweitet. Die Vereinten Nationen haben die Lage erst vor einigen Tagen offiziell zur "Hungersnot" erklärt – zuvor galt der Status "Notstand". Laut UNO werden 7,9 Milliarden Dollar an Hilfsgeldern benötigt - doch selbst ihrer eigenen Institution zur Bekämpfung des Hungers, dem World Food Programme (WFP), fehlt nach eigenen Angaben eine halbe Milliarde US-Dollar für die Soforthilfe. Aufgrund mangelnder finanzieller Unterstützung musste das WFP sogar schon in früheren Hilfsprogrammen in Äthiopien die Rationen für Hungernde kürzen. Zugleich haben sich die Nahrungsmittelpreise beispielsweise im Osten Äthiopiens seit Februar dieses Jahres verdoppelt.
Franziskus Forster ist Mitgründer von AgrarAttac, einer Inhaltsgruppe von Attac zu Themen der globalen Landwirtschaft, Welthandel und Ernährung aus sozial-ökologischer Perspektive. Forster ist auch aktiv im „Climate-Justice-Movement“ und nahm u. a. am „Klima- und Antirassismuscamp in Hamburg“ 2008 sowie an den Protesten in Kopenhagen 2009 teil.
"Grundsätzliches Problem in der Nahrungsmittelhilfe ist, dass sie eigentlich immer zu spät kommt", sagt Franziskus Forster von Attac. "Sie kann immer erst im nachhinein reagieren. Im aktuellen Fall gibt es schon seit einem Jahr die Prognosen, dass es zur Hungersnot kommen würde. Und es ist auch nicht erste Krise dieser Art. Es gilt also, endlich daraus zu lernen."
Das WFP hat die größte Hilfsaktion aller Zeiten angekündigt. Eine Luftbrücke soll eingerichtet werden, um kalorienangereicherte Kekse und andere Lebensmittel in das Krisengebiet zu bringen. Auch das dafür nötige Geld, rund 200 Millionen Euro, ist beim WFP aber nicht vorhanden. Der Betrag erscheint wie eine Lappalie im Vergleich mit hunderten Milliarden Euro für die Rettung von Banken aufgrund der Finanzkrise. Gerade jene Krise sei es aber auch, die sich jetzt so negativ auf die ohnehin stets zu spät kommenden Nahrungsmittelhilfeprogramme auswirkt, sagt Forster: " Weil Regierungen aufgrund der Finanzkrise weltweit Kürzungen vornehmen. Gerade in der Hungerbekämpfung wird dann gespart. Eine neue Tendenz ist zum Beispiel, dass die öffentliche Lagerhaltung abgeschafft wurde. Sie hat immer als Puffer gedient, um Hungerkrisen ganz unmittelbar zu bekämpfen - oder auch um Preise zu regulieren."
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Die Nahrungsmittelhilfe ist also schlechter geworden, nicht besser. Gleichzeitig verschärfen sich aber die globalen Ursachen für den Hunger: Eine davon ist die Konzentration des Nahrungsmittelmarktes auf immer weniger Konzerne. "Gerade im Lebensmittelsystem ist die Marktkonzentartion und damit die Machtkonzentration sehr, sehr hoch. Je mehr die Landwirtschaft im Weltmarkt integriert ist, umso mehr gelangt sie auch unter die Kontrolle von Konzernen. Das ist ein zunehmender Trend."
In der aktuellen Krise besonders betroffen sind Flüchtlinge aus Somalia, die derzeit zahlreich über die kenianische und die äthiopische Grenze strömen. Allein das kenianische Flüchtlingscamp Dadaab muss bereits über 380.000 Menschen versorgen. Zur Zeit kommen aber über 1000 neue Flüchtlinge pro Tag an.
Zunehmende Abhängigkeit der Bevölkerung entstand am Horn von Afrika auch durch jahrelanges sogenanntes Land Grabbing: Reiche Firmen aus Industrie- und Schwellenländern kaufen große Landflächen. Das aber bewirkt, dass Dürreperioden in der Region schwerwiegendere Folgen haben, als früher: In der Vergangenheit führten die Menschen bei Dürre ihre Tiere in andere, regenreichere Gebiete. Weil das Land jetzt irgendwelchen Firmen oder Großkonzernen gehört, ist die Mobilität verloren gegangen. Dürreperioden wirken sich negativer aus, und die lokale Bevölkerung wird - bei steigenden Weltmarktpreisen - immer abhängiger von Importen. "Gleichzeitig wird auch über die Krisenbearbeitung versucht, immer mehr Gewinne zu machen", sagt Forster. "Und zwar von einigen wenigen Akteuren. Hier setzt auch die Kritik von sozialen Bewegungen an, die es bei uns, aber auch in den betroffenen Ländern gibt: Sie treten für das Konzept der Ernährungssouverinität ein, das eine neue Vision der Landwirtschaft entwirft. Eine Vision, in der Wert gelegt wird auf das Recht, selbst zu bestimmen, wie die Produktion, die Konsumption und die Verteilung von Nahrungsmitteln auszusehen hat. "
Derzeit aber verschärfen sich die Ursachen für Hungerkatastrophen noch: In den Industrieländern steigen sowohl der Fleisch-, als auch der Biosprit-Konsum – beides treibt die Weltmarktpreise für Nahrung in die Höhe. Und auch die Finanzmärkte interessieren sich zunehmend für Agrarrohstoffe, das heizt die Spekulationen an: Eine Investmentfirma warb 2008 sogar mit der Frage: "Freuen Sie sich über steigende Preise?" Nachhaltige Nahrungsmittelhilfe muss heissen, jene Strukturen zu verändern, in denen mit dem Hunger Profite gemacht werden.