Erstellt am: 22. 7. 2011 - 10:27 Uhr
Biting my initials into your neck
Ich mag Morrisseys Werk, das mit der Person ist eine andere Sache, aus zwei Gründen. Es ist eine unaufgeregte, schlummernde Verehrung, die ich für sein Werk hege, die mich aber doch in der ersten Reihe Bitte! Bitte! schreien ließ, als um die Konzertreview Vergabe ging.
Grund eins, warum ich sein Werk schätze, ist ein universeller Grund, den ich wahrscheinlich mit vielen Menschen teile. Die bittere Logik des sozialen Ausschluss und die Angst sein Leben und seine Lieben zu verpassen, hat er in unzählige Metaphern und Analogien gefasst. Ein sprachliches Schreckenskabinett der Teenage Angst und des Ekels angesichts der grobschlächtigen Brutalität unserer Umwelt durchschreiten wir in vielen The Smiths oder Morrissey Songs. Sehr schön gestern, die mir in diesem Zusammenhang passend erscheinende Darbietung von One Day Goodbye will be Farewell:
Just look at me a savage beast I got nothing to sell and when I day I want to go to hell
niko ostemann
Alle Fotos von Niko Ostermann
Morrissey verleiht in seinem Werk einigen der Zu- und Umstände, die ich für unumstößliche Wahrheiten halte, Ausdruck. Manchen seiner Aussagen und Provokationen kann ich nicht folgen, ich kann sie nicht einordnen, sie verstören mich.
Morrissey ekelt sich vor Menschen, nicht vor Individuen, aber vor der Masse. Ich hab mir aus einigen seiner Nummern eine resignative Überlebensstrategie abgehört. Versuch sowenig wie möglich dich mit Menschen auseinanderzusetzen, die dich anwidern, nicht mit dem Kopf gegen Wände, die man nicht einreißen kann. Lieber etwas Privatzynismus als eine gebrochene Nase. Morrissey spricht oft aus einer sarkastisch resignierten Position, aber wenn es um Meat is Murder geht, spürt man die enthusiastische Unmittelbarkeit. Morrisey und Lisa Simpson sind bei dieser Frage zwei gute Geister, Seite an Seite.
Morrissey hat als Teenager, für mich als Teenager gelitten. Es gab eine Zeit, in der es mir auch als das einzig tragbare und Mögliche erschien, angesichts des Ekels vor der Welt da draußen, in meinem Zimmer zu sitzen und zu lesen, andere zu suchen, die in Worte zu fassen können, warum die Zustände unerträglich sind. Ich hab es nie für mich ganz ausformulieren können, Morrissey schon. Ich finde die Welt heute um keinen Deut weniger ekelhaft als mit 14 aber meine Ablenkungsstrategien sind besser, mein Hedonismus perfektionierter.
niko ostemann
Es gibt auch einen konkreten Grund für meine Verehrung: Die rührendste Szene, die ich jemals bei einem Konzert gesehen habe, ereignete sich vor über 10 Jahren bei einem Konzert des Herrn M.
Ein dicker Typ, jemand dem man es glaubt anzusehen, dass er es im Leben nicht so leicht hat, springt auf die Bühne und umarmt Morrissey. Die Securitys reißen ihn aus dieser Umarmung und Morrissey springt nach um den dicken Herrn nun seinerseits zu umarmen und die Securities mit den Worten „away you ugly evil men“ zu verscheuchen.
Natürlich ist es eine Posse, natürlich nicht fair gegenüber den zwei Typen, die ihren Job machen, aber es erschafft ein wunderschönes Bild, Rührung und Emphase. Das Idol, das seinem Fan nachspringt und für den dicken Herrn, war es wohl die Öffnung des Himmelreichs. Ich war erstaunt als die allwissende Müllhalde Wiki mir, nachdem ich zehn Jahre dieses Bild in meinem Herzen getragen hab, verriet, dass solche Vorfälle mehr oder weniger Routine bei Morrissey Konzerten sind.
So etwas ist gestern übrigens nicht passiert. Solide im Mittelteil war der Meinungskanon unter meinen Lieben.
niko ostemann
Aber beginnen wir doch am Anfang. Ich hab mich selber dabei erwischt eine unerträgliche Streberin zu sein, weil ich um Punkt acht als die Klingel drei Mal läutete auf meinen Platz stürmte und drei Minuten später wieder hinausstürmte, weil ich mich nicht mit der Vorband den Heartbreakers auseinander setzten konnte und wollte.
Ich hänge mehr oder weniger unmotiviert mit Niko, der die wunderbaren Fotos gemacht hat, in den Gängen des Konzerthauses ab, seltsame Situation ohne Bierbecher in der Hand. Konzertbesucherinnen beobachten ist auch ein schöner Zeitvertreib: Damen mit Frisuren und Brillen, die ich beim heiteren Beruferaten als ÖVP Politikerinnen eingeschätzt hätte spazieren ebenso in den Saal wie siebenjährige Mädchen mit Morrissey Shirts. Ein Junge mit eingepackten Blumen spaziert an mir vorbei. Was wird es werden für den Mozzer? Nelken? Orchideen? Chrysantmen?
niko ostemann
Die Vorband ist gegangen und eine Video Poutpourri aus den 70er Jahren läuft auf der Leinwand.
Morrissey der Youtube Video Jockey: Auf ein Nico Video, folgt ein Video von einem Schlagertypen mit gelben Hemd, der was von „good loking women“ singt und vor dem ich Angst habe. Was will uns Morrissey damit sagen? Ist er mit so etwas selbst gequält worden? Soll hier ein Referenzrahmen für Kommendes gesetzt werden? Ein Ausschnitt aus einem Lou Reed Interview aus dem Jahr 1974, indem er von Journalisten regelrecht verhört wird, ob er ein transsexuelles, drogenkonsumierendes Monster ist. Meine Freunde freuen sich über einen N.Y Dolls Auftritt in einer deutschen Chartshow ebenfalls in den 70er und rotes Licht erstrahlt endlich auf der Bühne. Das bestuhlte Morrisey Konzert bleibt für genau drei Sekunden ein bestuhltes Konzert. Alle und auch ich stehen vor der Bühne. Morrissey richtet erste Worte an uns:
Art - Poetry - You name it - We don't have it.
niko ostemann
Mein liebstes gebrochenes Herz, das heute nicht hier ist, schreibt, ich soll an es und seine Heilung denken, wenn Morrissey „I want the one I cant have“ spielen sollte. Es ist die erste Nummer. Morrissey ist, wie könnte es anders sein, ein Meister der großen Gesten, des großen Pathos. Schon bei der ersten Nummer resignativ zorniges Schnauben, Hände ausbreiten und zum Himmel raunen.
niko ostemann
Irish Blood, English Heart ist das nächste Highlight für mich, da eine Dame im Business Kostüm mit weißer Bluse auf den Schultern ihres Begleiters sitzend ziemlich abgeht. Während „I´m Throwing my arms around Paris“,tätschelt Morrissey die Hände der Fans in der ersten Reihe. Ich, in der zweiten Reihe, will meinen befreundeten Nebensteher zum geschlossenen Paartanz bringen. Ich schaffe es, aber scheitere an meiner Unfähigkeit geführt zu werden. Morrissey bekommt die Blume geschenkt, es ist eine rote Rose.
Bei der Nummer Scandinavia geht Morrissey in die Knie und die Percussion Instrumente erzeugen die martialischen Soundkulisse des düsteren Moments.
niko ostemann
Ein paar Minuten später erzählt Morrissey von einem unglücklichen Planeten, von Aasgeiern bevölkert, ein Ort an dem man sich sehr einsam fühlt.
Ouija Board, One Day Goodbye will be Farewell und Action is my Middle Name, der neue Song von dem ich die gute Idee habe, meine Initialien jemanden in den Hals zu beißen, folgen. Ein Junge wird von der Security rausgeführt. Wollte er die Bühne stürmen? Morrissey singt You're the One for Me, Fatty und alle um mich herum können alles auswendig, große Mimik mit geschlossenen Augen und Stummfilmhaft verzogenen Mündern. Einige beherrschen sogar die Kunst des Luftschlagzeugs. Die Menschen um mich singen und spielen Leiden mit geschlossenen Augen. Als er Everday is like Sunday spielt, erwische ich mich wie ich das Gleiche tue.
Sattelite of Love ist eine Verbeugung vor Lou Reed, die Morrissey mit einer abgeänderten Textzeile darbringt : I can not stand TV statt I used to watch it on TV. Das Konzert wird 70 Minuten dauern, 50 sind vorbei. People are the same everywhere, wird gespielt. „Wir suhlen uns hier alle gerade in irgendwas aber ich weiß nicht was. Es sind auf jeden Fall große Emotionen im Spiel, ich weiß nicht genau welche, aber sie sind groß“: schreibe ich meiner Liebe mit dem gebrochenen Herzen, und überlege ob ich mich mit diesem Mail für die Bravo Poesie Ecke qualifiziere.
„There is a light that never goes out“, und wir sind bei meiner Kindheit mit den Smiths angelangt. Ob meine Mutter wohl einen Lachkrampf kriegen würde, wenn ich das auf meiner Hochzeit spiele?
And if a double-decker bus
Crashes into us
To die by your side
Is such a heavenly way to die
And if a ten-ton truck
Kills the both of us
To die by your side
Well, the pleasure - the privilege is mine - das muss Liebe sein.
Sehr charmant finde ich wie Morrissey bei „crashes“ das „cr“ in bester Superbösewicht Manier rollt.
niko ostemann
Dann kommt es ganz hart:
Morrissey nennt beim aus Gadaffi, Achmadinnerjacket und Sarah Palin bestehenden Tryptichon des Grauens, Palin als größte Gefahr, aber auch sie sei ein Scheiß im Vergleich zum wahren Bösen: der Fleischindustrie.
Mit mir über Vegetarismus zu diskutieren ist sinnlos, weil ich alles andere für unakzeptabel halte, aber auch nicht die geringste Lust habe zu missionieren und anderen zu sagen, was sie tun sollen. Ich könnte durchdrehen, wenn ich daran denke, was Nahrungsherstellungsroutine ist und wenn ich ständig präsent hätte was mit Tieren gemacht wird, wäre ich wahrscheinlich nicht mehr einsatzfähig. Morrissey ist da anders. Er zeigt zu Meat is Murder Schlachthofszenen, ich betrachte konzentriert meine Plastikschuhe und überlege ob ich einen Kebab-Stand anzünden oder meine Hunde auf Tofudiät setze. Bevor der Shitstorm im Forum losbricht und wieder smarte Diskussionen, was liegt in der Natur und von wem, geführt werden: ich mach natürlich Beides nicht. God bless the Burger oder das wenige Biofleisch oder was auch immer. Damit wir nicht vollkommen zerstört hinaus taumeln, gibt Morrissey noch eine Zugabe
First of the gang to die, und das war's, Freunde: Morrisseys Anwesenheit ist in Krakau erwünscht.