Erstellt am: 22. 7. 2011 - 16:50 Uhr
Zusammenwachsen
Am Rande von Wien zwischen Ostautobahn und dem Hafen Freudenau liegt "Macondo" - ein Ort, an dem sich seit Jahrzehnten Menschen ansiedeln, die vor Krieg und politischer Verfolgung aus ihren Heimatländern fliehen mussten.
Im Zweiten Weltkrieg waren in der ehemaligen Kaserne der k.u.k. Landwehr noch die Deutsche Wehrmacht, und in der Besatzungszeit danach die Rote Armee untergebracht. Die erste Flüchtlingswelle kam 1956 aus Ungarn, gefolgt von TschechoslowakInnen im Jahr 1968.
In den 1970ern wurden vietnamesische "Boat People" und vor Augusto Pinochet geflohene ChilenInnen aufgenommen. Aus dieser Zeit stammt auch der Name der Siedlung: "Macondo" heißt das fiktive Dorf im Roman "Hundert Jahre Einsamkeit" (1967) des kolumbianischen Autors Gabriel García Márquez.
Mittlerweile leben rund 3000 Menschen aus mehr als 20 verschiedenen Ländern in "Macondo". Für sie hat die Republik in der Kaserne günstige Wohnungen eingerichtet. In den 90er-Jahren wurden für die großen Gruppen aus Ex-Jugoslawien und Flüchtlinge aus Afrika weitere Gebäude dazu gebaut.
Die brachliegende Fläche dazwischen ist jahrelang vernachlässigt worden. Doch heute wachsen dort Sonnenblumen, Erdbeeren und Zucchini, und in der Luft hängt das Aroma frischer Gartenkräuter.
Barbara Köppel
Pflanzen säen - Freunde ernten
Der Verein Gartenpolylog, der interkulturelle Gemeinschaftsgärten in Österreich unterstützt und vernetzt, hat sich vergangenes Jahr des Ackers angenommen. "Wir haben gemerkt, dass der Ort Belebung braucht", sagt Obfrau und Umweltwissenschaftlerin Yara Coca Domínguez. "Zwar hat schon das Vorgängerprojekt der Film- und Performancegruppe Cabula6 viel für die Community getan, trotzdem haben die Menschen kaum miteinander geredet. Somalier sind unter Somaliern geblieben und Tschetschenen unter Tschetschenen." Durch das gemeinsame Anpflanzen von Erdäpfeln, Gurken und Koriander soll nun auch Gemeinschaftssinn und nationenübergreifende Kommunikation keimen.
Die Saat geht auch langsam auf. Thomas aus Wien fachsimpelt mit Maria aus der Slowakei über Braunfäule bei Paradeisern. Die zehnjährige Tuba aus Afghanistan kümmert sich mit Hingabe um ihr kleines Beet, und übernimmt das Blumengießen, wenn jemand auf Urlaub fährt. Chilene José wiederum stiftet Arbeitskraft und Werkzeug, und Salih aus Persien zimmert aus gefundenem Holz Gartenmöbel, oder kocht groß auf, wenn es etwas zu feiern gibt.
Gärtnern in Eigeninitiative
So ähnlich muss es auch gewesen sein, als die BewohnerInnen von "Macondo" das Areal hinter der Kaserne noch auf eigene Faust bewirtschaftet haben. "Die Ungarn haben als erstes Gemüsebeete angelegt", erinnert sich Maria, die in den 1960er-Jahren in die Siedlung gekommen ist, und José, der seit 1979 hier wohnt, schwärmt heute noch von den legendären Gartenfesten der Lateinamerikaner.
Die neuen Flüchtlingswellen und die Zubauten der 70er- und 90er-Jahre haben die Gemeinschaftsstruktur aber verändert. Die florierende Gartenkultur ist eingegangen, das Gelände verwildert und zum Teil als Mülldeponie zweckentfremdet worden.
Barbara Köppel
Kleingärten für die Anrainer
2009 hat die Bundesimmobiliengesellschaft ihren Grund hinter der Kaiserebersdorfer Kaserne in eine Kleingartenzone umgewidmet, und die so entstandenen Parzellen mit Pacht belegt.
Viele AnrainerInnen "von außerhalb" mieten sich nun einen Flecken Grün für sonnige Wochenenden. Die meisten BewohnerInnen der Billigwohnungen können sich das allerdings nicht leisten. Der Verein Gartenpolylog hat daher beim Bund und der Stadt Wien Fördergelder aufgestellt, mit denen die 800 Quadratmeter Gemeinschaftsgarten und ein Teil der Vereinsarbeit bezahlt werden können. Von den Macondo-GärtnerInnen selbst wird abgesehen von zehn Euro Kaution für den Schlüssel zum Gartentor kein Cent verlangt. Das Gemüse ziehen sie selbst, und hie und da gibt es Pflanzenspenden vom Stadtgartenamt.
Barbara Köppel
Barbara Köppel
Grünes Ghetto oder gelungene Integration
Lange Zeit war das Kardinal-König-Integrationshaus das Zentrum der Siedlung. Es hat Wohnungen, Deutschkurse und Konfliktlösungen angeboten. 2010 wurde es in ein Anhaltezentrum für Familien vor der Abschiebung umgewandelt.
Während die Interaktion der ethnischen Gruppen innerhalb "Macondos" dank des Gartens bereits wächst und gedeiht, erweist sich jene zwischen Flüchtlingen und KleingartenpächterInnen als allzu zartes Pflänzchen, das noch viel Pflege brauchen wird.
Denn obwohl Gartenpolylog dezidiert auch Leute von außerhalb der Siedlung zum gemeinsamen Gärtnern einlädt, hat Projektassistent David Stanzel nicht den Eindruck, dass die AnrainerInnen besonderes Interesse an Austausch hätten. Stattdessen gibt es das übliche Kleingarten-Hickhack: Wer zapft welchen Wasserhahn an, wo wuchert das Unkraut über die Grenze, irgendwer hält Tauben, wer bitteschön soll das alles putzen? Vielleicht ist aber genau das gar keine schlechte Schule.
In einigen Jahren nämlich sollen die Macondo-GärtnerInnen ihre Gemeinschaftsfläche selbst übernehmen, das heißt nicht nur den Garten pflegen, sondern auch die Fördergelder eigenständig lukrieren und verwalten. Die Gartenpolylog-BetreuerInnen sind zuversichtlich, dass das klappt. Denn auf welche Art und Weise könnten Heimatlose besser neue Wurzeln schlagen, als ein Stück Erde zu bewirtschaften, dessen Früchte sie selbst ernten.