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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

21. 7. 2011 - 23:00

Journal 2011. Eintrag 139.

Viel zu späte Würdigung der politisch relevantesten Science Fiction-Reihe der letzten Jahre: Battlestar Galactica.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit zwei Beispielen politisch relevanter Science-Fiction-Serien. Die eine (das Remake von V - The Visitors), die eben deutschsprachige Premiere hatte, führt direkt zur anderen (dem Remake von Battleship Galactica), die ich allzu lange (und ungerecht-fertigterweise) übersehen habe.

Auslöser war der kleine Szene-Hype um die deutschsprachige Premiere der US-Miniseries V - the Visitors, dem 2009er-Remake eines dieser klaustrophoben Alien-Angst-Projekte der 80er, als die Reagan-Administration den Kalten Krieg in den Weltraum expandierte, was dann auch entsprechende Unterstützung der Unterhaltungs-Industrie zur Folge hatte.
Die neue Variante der Visitors schien zumindest einen Blick wert - die Trailer schienen, von Optik und Machart her, Interessantes erwarten lassen.

Tatsächlich hat sich in der Welt der Produzenten (in diesem Fall ABC) seit 1983 wenig geändert: es sind immer noch böse Aliens, die eine Menschheit, die schlimme Sachen anstellt, aber so viel Gutes und so viel herzhaft christlichenm Änderungswillen in sich trägt, versklaven wollen. Der Feind ist aber nicht mehr wie in den 80ern der böse Commie/Rote/Russe (der in den 80ern auch kein seriöser Feind mehr war, wie wir im Nachhinein wissen), sondern viel näher gerückt.

V the Visitors hatte bei seiner Ausstrahlung im November 2009 eine andere, ganz klare Zielrichtung: Obama. Und auch da zeigt sich, wie gut die Unterhaltungs-Industrie auf entsprechenden Zuruf der Mächtigen funktioniert.

Die Visitors sollten Angst vor Obama machen

Alien-Chefin Anna argumentiert nich nur ikonenhaft lächelnd mit Hope und Change, ihr zentrales Lock-Programm ist auch ein weltweites Gesundheits-Programm für alle, public healthcare.

Das mag für uns seltsam klingen, in den USA, wo entlang der staatlichen Gesundheitsversorgung Glaubenskriege (wer sich die naiv-nette Reihe "Royal Pains" ansieht, wird die paranoid-verbissene Einstellung der Amerikaner zum Thema Gesundheit ein wenig besser verstehen) ausgefochten werden, ist das eine klare politische Punzierung. Und die Parallelen werden in der Serie ganz exakt gesetzt. Das haben die Kritiker schon bemerkt, die meisten etwas naiv kommentiert, andere mit mehr Klarheit versehen.
Interessanterweise war es relativ egal. Die Zuschauer haben die Propaganda nicht angenommen, die Serie wurde mitten in der 2. Staffel abgesetzt. Vielleicht hätten die Hintermänner die Midterm-Krise des Präsidenten 2010 abwarten sollen.

Das Beispiel zeigt: Unterhaltung, vor allem Science Fiction spielt in einer politische gefährlichen Kategorie. Das unterscheidet SF auch von Fantasy. In den Fantasy-Welten ist alles möglich, rein eskapistische Wendungn inclusive. Science Fiction hingegen ist das Unterhaltungs-Genre mit dem weitaus größten philosophischen Gegenwarts-Bezug.
Jede SF-Story braucht eine These, eine wertende Sicht auf die Gesellschaft, nur auf dieser Basis kann sie etwas erzählen, was uns interessiert. Selbst Star Trek und Star Wars basieren auf gesellschaftlichen Fantasien und Utopien.

Die großen SF-Erzählungen waren immer politisch

Die wirklich ganz großen TV-Erzählungen des Genres sind zwar an einer Hand abzuzählen (UFO, Alien Nation, Babylon 5, Deep Space Nine...), es vereint sie aber eine düster-ironische, sarkastisch-optimistische Qualität, die sie deutlich von den vielen Go-West-Eroberungsgeschichten abhebt, die sich in den Dienst des US-amerikanische Staatskapitalismus gestellte haben, wie The Visitors.
Im Rahmen dieser Recherche bin ich dann auch auf einige Referenzen zu Battleship Galactica gestoßen. Galactica ist eine der anderen treudoofen 80er-Hauruck-Reihen, in denen böse Maschinenmonster die Menschheit jagen - und auch davon gab es (ab 2004) ein Remake, dem ich - wegen der Debilität der Vorlage - nie auch nur eine Minute an Beachtung geschenkt habe.

Ein Fehler, wie mir beim Überfliegen der Blogs schnell auffiel.
Und weil ein deutscher Sender gerade Folgen davon abspielt, zu nachtschlafener Zeit, hab ich reingeschaut.
Und dabei festgestellt, dass... nun ja...
Verdammt.
Wie konnte ich das nur übersehen...

Wiedergutmachung für Battlestar Galactica, jetzt!

Battlestar Galactica wurde von dem zum NBC Universal gehörenden Sender SciFi (jetzt Syfy) produziert, die sich sonst eher mit Schrott wie Stargate oder Mittelmaß wie Eureka oder Warehouse 13 abmüht.

Mit Galactica wollte man dort ein wenig auf HBO machen, etwas epischeres, etwas fürs erwachsenere Publikum abliefern. Motor der Reihe ist Ronald D. Moore, ein Trekkie, Autor für Next Gen, Co-Produzent von DS9, sowas wie der Klingonen-Experte unter den vielen Star Trek-Köpfen.

Das Konzept war von vornherein recht komplex - die Storyline der vier Staffeln ist exakt chereografiert, da wurde nicht auf Schauspieler oder populäre Wendungen hin umgeschrieben, da gab es eine Miniserie als Auftakt, ein paar Webisodes zwiscehn den Seasons, eine passende Prequel nach Staffel 2, und alles macht - dramaturgisch - Sinn.

Die Grundtönung ist düster, schwarzer Weltraum, in dunklen Metalltönen und Sounds gehaltene Raumschiffe, wenige Außenaufnahmen, meist nur in Backflashes. Es gibt keine Technik-Verliebtheit, die Ausrüstung ist unflashig, Kampf- oder Flugszenen werden gern amateurhaft verwackelt. Es geht nie um Erfindungen oder experimente, sondern immer ums Eingemachte, zutiefst Menschliche.

Die Basis von Battlestar Galactica ist die Darstellung der Problematik der Balance zwischen militärischer und politischer Macht in einer Krisensituation (mit allen grausigen Implikationen) auf der einen, und die Macht die die Religion über alle Player hat, auf der anderen Seite.

Eine Geschichte über Politik und Religion

Die Story in zwei Sätzen: die Maschinen haben sich gegen die Menschen erhoben, ihre Planeten ausgelöscht und verjagt. Die Überlebenden 50.000 organisieren sich, auf zwei Schiffen (der Galactica und der Pegasus), und suchen eine neue Heimatwelt - im ständigen Kampf mit den Bösen.

Die Zylonen, die bösen, gesichtslosen Maschinen aus dem Original, wurden gestrichen und durch Klone mit menschlichem Antlitz ersetzt. Und die zentralen Konflikte spielen sich im hybriden Bereich ab.

Es geht also nicht um das Alte "Wir" gegen die "Anderen", sondern um die deutlich komplexere Frage, wer oder was denn das Andere überhaupt ist. Die Klone, die menschliches Bewußtsein entwickeln und sich nicht mit einer Entscheidung für ein Entweder/Oder zufriedengeben wollen, und das daraus entstehende Drama sind das Herzstück der Reihe.

Damit erreicht Battlestar Galactica die Intelligenz und das Niveau von "True Blood", wo anhand der Vampir-Metapher süffig-spielerisch über die unscharfen Linien zwischen Andersartigkeit und Normalität geforscht wird.

Und genau diese Forschungsarbeit über das Feld zwischen Schwarz und Weiß, zwischen 0 und 1, zwischen Wir und die Anderen, zwischen Hopp oder Drop macht Battlestar Galactica zu einem hochpolitischen Ding. Denn die Frage des Umgangs mit "dem Anderen" ist die zentrale Frage einer globalisierten Welt.

Das schöne Spiel zwischen Mono- und Polytheismus

Da Battlestar Galactica nicht in oder nach unserer Zeit, sondern völlig losgelöst davon spielt, und da auch keine Aliens vorkommen (die Zylonen sind von Menschen entwickelt worden, es folgt eine klassische Auflehnungsgeschichte...) können die Produzenten auch mit unerwarteten Umkehrungen spielen.
So sind es zb die Zylonen, die einen monotheotstischen Glauben vertreten und damit in krassem Widerspruch zu den Menschen stehen, die einer Art polytheistisches Weltbild nach griechisch/römischem Vorbild vertreten.
Den klassischen Fundamentalismus nach US-Vorbild vertreten also die "Bösen", während die "Guten" einem libertären, fast europäischem Ethos folgen. In anderen Fragen, (Lynchjustiz, Folter, Selbstmordattentate) ist die Moral der "Guten" wiederum völlig ausgeschaltet.

Mit dem leichten Verfremdungstrick kann Battlestar Galactica also ganz wesentliche Fragen thematisieren - und weil sie die epische, folgenübergreifende, auf das ganze ausgerichtete Erzählweise nicht dazu zwingt am Ende jeder Folge wieder eine kuschelige Ausgangsposition zu erreichen, bleibt vieles einfach auch ungeklärt, unausgesprochen, offen.

Wer komplex erzählt, muss keine simplen Lösungen erfinden

Trotz des Reizes in einem Weltraum-Spektakel mit dauernder Lebensgefahr das Personal wild aus dem Orbit zu schießen, wird weit weniger viel gestorben als etwa in True Blood (einem der wenigen Nerv-Faktoren dort). Es braucht ein stabiles Stammpersonal um die Geschichten zwischen politischer und militärischer Ebene, die religiösen ujnd familiären Konflikte effektiv zu erzählen. Sterben dürfen Gaststars, nach eindrücklichen Kurzauftritten, wie John Heard oder die fabelhafte Michelle Forbes, die ihre Karriere auch im SF-Bereich, als Ro Laren bei Star Trek begann.
Die verläßlichsten Protagonisten, die Battlestar Galactica sicher über vier Seasons tragen, sind keine jungen Springinsfelde, sondern Mary McDonnell als President Roslin und Edward James Olmos (der Chef von Crockett & Tubbs aus Miami Vice) als Admiral Adama. Und wie alle Charaktere lassen sie genug Gebrochenheit erkennen, um ein komplexes Geflecht an Schicksals-Linien zu einem fantasievollen Ganzen zu verweben.

Battlestar Galactica ist Fernseh-Kunsthandwerk der obersten Kategorie. Und der Beweis dafür, dass sich selbst aus der blödestmöglichen Vorlage, bei entsprechender Drehbuch- und Charakterformierungs-Schlauheit, etwas machen lässt. Und der Beweis dafür, dass es abseits von politisch motivierten Auftragsarbeiten den Drang zur großen und komplexen Erzählung gibt, weil es das ist, was die Menschen wirklich fesselt. Und für mich ist diese viel zu späte Entdeckung ein Bookmark zum Thema "vorurteilsloses Anschauen".