Erstellt am: 20. 7. 2011 - 23:00 Uhr
Fußball-Journal '11-73.
Bundesliga, Meisterschaft und der Cup, der ÖFB und das Nationalteam, das europäische Geschäft, der Nachwuchs und die vielen Irrsinnigkeiten im Umfeld: Das Fußball-Journal '11 begleitet nach dem Jahr 2010 auch 2011 wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Skandalisierungen und Stillhalte-Abkommen, die den heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen.
Seit gestern mit einer kleinen Reihe mit zugespitzten Thesen zum Status Quo des österreichischen Fußballs.
Die These heute in Teil 2: die österreichischen Trainer sind nicht Teil der Probleme, die den heimischen Fußball quälen - sie selber sind das Problem.
Sie wurden, sind und werden weiter schlecht oder falsch ausgebildet, ihr Selbstbild ist vorgestrig, ihre Lernbereitschaft gering und ihre internationale Verkaufbarkeit gleich Null.
Der heutige Beitrag wäre ohne kritische Web-Initiativen/Blogs wie 90minuten.at oder abseits.at nicht möglich gewesen.
Peter Pacult ist der schlaueste Trainer Österreichs. Er ist schlau auf eine Art, wie auch Jörg Haider schlau war oder Heinz Strache schlau ist: er gibt den Menschen was sie wollen und kommt mit einem Mindestmaß an Substanz aus.
Peter Pacult hat sich in seiner Rapid-Zeit jahrelang und erfolgreich gegen alles, was modernen Fußball auszeichnet zur Wehr gesetzt: egal ob es sich um Sport-Psychologie, um Sportmedizin und die professionelle Verbesserung der Physis, um Strategie und Taktik oder um System-Variabilität und Gegner-Beobachtung handelte - Pacult schmetterte alles mit der großen "Brauchmaned!"-Geste ab.
Und bekam so den Applaus derer, die Fußball als einfaches Spiel einfacher Gemüter begreifen und jede Veränderung als neumodischen Blödsinn diffamieren; also vom Großteil der Fans, die von Medien und der Branche seit Jahrzehnten künstlich und absichtlich deppert gehalten werden.
Erst jetzt, nach seinem Abgang, wird klar, dass Pacult, der Schlauberger, gewußt hat, was er da tut; dass Pacult, der Schauspieler, nicht der grobe Klotz ist, der tatsächlich an den Stumpfsinn, der er von sich gab, geglaubt hat; dass Pacult, der Volkstribun, seine Gefolgsleute gehörig verarscht hat.
Das österreichische und das deutsche Gesicht von P. Pacult
Denn jetzt, im neuen Job (der in den Niederungen der vierten deutschen Liga stattfindet) hat er plötzlich kein Problem mit der Moderne mehr.
Laktat-Tests, bei Rapid noch ein klassisches "Brauchmaned!" sind beim Rasenball in Leipzig kein Problem, meldet diese Geschichte von abseits.at, und auch sonst akzeptiert der von der Bissgurn zum Streichelzootierchen gewandelte Floridsdorfer alles, was der deutsche Fußball-Alltag verlangt.
Und der weiß eben, auch in der Regionalliga, wo selbstverständlich unter professionellen Bedingungen gearbeitet wird, was die Sportpsychologie, die Sportmedizin, die Arbeit an taktischer und systemischer Variabilität und intensives Videostudium ausmachen können: die entscheidenden paar Prozentpunkte, die dann über Erfolg und Nicht-Erfolg entscheiden.
Warum also macht der Pacult in Deutschland das Gegenteil von dem Pacult in Österreich?
Weil er sich anpaßt.
Weil er weiß, dass es beim Deutschen nicht anders geht.
Und weil er weiß, dass er sich's in Österreich leisten kann.
Österreichische Trainer sind nicht ins Ausland vermittelbar
Weil der schlaue Pacult damals, als er aus Deutschland, nach Stationen bei 1860 München und Dynamo Dresden, nach Wien zurückkam, schnell begriffen hat, wie weit hinterm Mond hier die Trainerzunft lebt und arbeitet.
Und weil er schnell erkannt hat, dass man in Österreich, auch in der obersten Spielklasse, ganz easy auch ohne das anstrengende Zeug auskommt, ganz ohne Anstrengung und die Suche nach den entscheidenden Prozenten.
Reality Check der Trainer der international vertretenen Klub-Teams: Foda und Moniz sind keine Österreicher, Gludovatz hat nie selber in der obersten Liga gespielt und Daxbacher hat 15 Jahre lang die klassische Ochsentour (Jugendteams, Regionalliga, 2. Liga) absolviert, ehe er eher zufällig zu seinem aktuellen Spitzenjob kam.
Weil das Niveau von Ausbildung und Coaching-Praxis hier nicht nur erschreckend tief ist, sondern von der Solidargemeinschaft der Trainer-Gilde (vor allem derer, die früher einmal Teamspieler waren - dazu später mehr) auch absichtlich dort gehalten wird. Damit man sich nicht anstrengen muss.
Diese Vorgangsweise trägt nicht nur dazu bei, dass der österreichische Fußball auf zu tiefem Niveau herumtümpelt, sie führt auch dazu, dass österreichische Trainer nicht ins Ausland vermittelbar sind.
Denn, merke auf: es gibt keinen verantwortlichen Coach aus Österreich in einer obersten Liga Europas. Es gibt auch keinen verantwortlichen Coach in einer zweiten Liga eines europäischen Verbandes. Es gibt keinen verantwortlichen Coach eines nationalen europäischen Verbandes.
Die wenigen Ausnahmen betreffen einige Paß-Österreicher und ein paar Einzelfälle, die sich aus Eigeninitiative übers Ausland weitergebildet haben. Und ein paar eher exotistische Abenteuer vor allem im arabischen Raum.
Österreichs Coaches liegen also wie Blei in den Regalen des internationalen Geschäfts.
Hinter England, Spanien, Deutschland, Italien, Frankreich, Portugal, Russland, Ukraine, Niederlande, Schweiz, Griechenland, Dänemark, Belgien, Rumänien, Schottland, Israel, Tschechien, Bulgarien, Kroatien, Weissrussland, Slowakei, Norwegen, Serbien, Schweden, Bosnien, Irland, Finnland, Ungarn, Litauen, Georgien, Mazedonien, Estland, Wales, Nordirland, Polen, Moldawien, Albanien und sogar Luxemburg und Island liegt Österreich, was seine Coaches im Ausland betrifft an schlanker 40. Stelle in Europa. Die können zumindest mit ein Zweitliga-Engagement in einer europäischen Liga aufwarten, die Ö-Coaches haben nur weirde Jobs im asiatischen Raum. Würde man die einberechnen, wären auch Slowenien und ein paar andere Nationen vor uns.
Platz 40, das ist klar hinter dem eh schon peinlichen Platz 35 im Nationalteam-Ranking, und überdeutlich hinter dem aktuellen Platz 19 in der 5Jahreswertung der UEFA.
Stagnation im More-of-the-same-Ausbildungssystem
Sie sind die Nummer 40 im Ranking von 44 gemessenen Nationen.
Wenn man, wie hier die Kollegen von 90minuten.at Zuständige fragen (in diesem Fall Thomas Janeschitz, den für die ÖFB-Trainerausbildung Verantwortlichen), dann kommen matte Ausreden: aktuell gibt's nur zu wenig Erfolge und zu wenig Ansehen, keinen Stellenwert eben, das würde schon kommen.
Der Einwand, dass derselbe "Stellenwert" die Transfers von Spielern ja auch nicht verhindern würde, prallt ab, als wäre Janeschitz aus Gummi.
Fakt ist, dass internationales Aufsehen in internationalen Spielen erregt werden kann. Spieler schaffen das (schönes Beispiel: Julian Baumgartlinger) - Coaches nicht. Über die taktische Unbedarftheit von Dietmar Constantini macht sich sogar der fröhliche Firlefranz lustig. Und Peter Pacult kam ja auch nicht über Leistung in die deutsche Regionalliga, sondern weil er sich clever an den fußballmäßig doch eher unbeleckten Red Bull-Big Boss herangemacht hatte, und der ihn als witziges Alter Ego in die Ost-Provinz schickte.
An dieser Export-Pleite ist kein schiefer Stellenwert oder grobe Unterschätzung schuld, sondern das kontinuierliche More-of-the-same-System, mit dem der Standard der heimischen Trainer-Gewerbes in einem viel zu engen Pool steckenbleibt.
Keine Chance für österreichische Mourinhos oder Slomkas
Bestes Beispiel: der aktuelle Lehrgang des ÖFB für die UEFA-Pro-Lizenz: 14 Teilnehmer, 14 Ex-Profis, alles Ex-Team und Bundesliga-Spieler. Und das ist kein Zufall, das wird gefördert, das ist genauso geplant und pure Absicht.
Jemand wie Mourinho, Slomka oder Tuchel hätte in Österreich keine Chance - dafür sorgt das Versorgungs-System.
Von dem Janeschitz im Interview auch ganz offen erzählt: das System lebt, weil ahnungslose Funktionäre nicht an einem qualitätvollen Trainer, der die Mannschaft weiterbringt, sondern an einer Marke interessiert sind, der sie in die Medien bringt. Das System lebt, weil die Medien mitspielen und sich die künftigen Coaches als Informanten und "Experten" gegenseitig zuspielen. Das System lebt, weil sich die Ex-Internationalen auch gegenseitig pushen.
Eine Liste aller aktuell im Ausland beschäftigten Österreicher:
(Cheftrainer)
Ralph Hasenhüttl (Aalen, 3. Liga, Deutschland) - Peter Pacult (RB Leipzig, 4. Liga, Deutschland) - Josef Hickersberger (Al Wahda, 1. Liga, VAE) - Hans-Peter Schaller (Laos).
Marinko Koljanin (CRO/A, Al-Hazm Rass, 2. Liga, Saudi-Arabien) - György Kottan (UNG/A, Pakistan) - Charles Wittl (SUI/A, Serrieres, 3.Liga, Schweiz) - Mihailo Petrovic (SRB/A, Sanfrecce Hiroshima, 1. Liga, Japan) - Ranko Popovic (SRB/A, Machida Zelvia, 1. Liga, Japan)
(Sportchef)
Heinz Peischl (St. Gallen, 2.Liga, Schweiz)
(Co-Trainer/Betreuer)
Günther Gorenzel-Simonitsch (K'lautern, 1. Liga, Deutschland) - Dietmar Kupnik (Liechtenstein) - Klaus Vogler (Zhemchuzhina Sochi, 2. Liga, Russland) - Christian Canestrini, Sharif Shoukry (RB Leipzig, 4. Liga, Deutschland) - Klaus Lindenberger (Al Wahda, 1. Liga, VAE) - Thomas Sageder (Red Bull Academy Ghana) - Wolfgang Pikal (Real Madrid Development Academy, Indonesien)
(Jugendcoach)
Rene Pauritsch (U21 Liechtenstein) - Harald Cerny (U16 Bayern München) - Michael Kopf (U14 Grasshopper Zürich)
(Scout)
Nik Neururer (Celtic), Walter Derflinger (Bayern), Heinz Schilcher (Ajax), Reinhold Hintermaier (Nürnberg)
Rashid Rakhimov, Sergei Mandreko (Russland) und Peter Segrt (Bali) sind keine Österreicher. Alfred Riedl wurde kürzlich in Indonesien entlassen. Klaus Schmidt kehrt gerade aus der Wüste heim nach Kapfenberg.
Es ist ein geschlossenes System, in dem es nicht um die Steigerung von Qualität, sondern die Steigerung von Eigen- und Spezial-Interessen geht.
So sitzen in diesen Kursen dann eben nicht die kreativen Regionalliga-Trainer, sondern die Ex-Teamspieler, die sich über den Powerpoint-Willy lustig machen (und sich dabei cool finden) und sich nicht wirklich mit der Substanz beschäftigen, weil sie wissen, dass es eh nur auf Selbstmarketing, auf das gute Auskommen mit den Mainstream-Medien und den Schmäh ankommen wird.
Fachkenntnis und Weiterentwicklung? der Blick auf internationale Vorbilder und Neuerungen? Geh bitte, das braucht kein Mensch...
Folge: das Niveau sinkt weiter.
Die Funktionärs-Katastrophe kann keine Ausrede sein
Und zwar weil das System so praktisch und simpel funktioniert.
Denn wieso konnte ein Peter Pacult jahrelang verhindern, dass bei einem der großen Klubs des Landes, bei Rapid Wien auch nur ansatzweise professionell gearbeitet wird? Obwohl es mit Alfred Hörtnagl einen Gegenspieler, der genau das wollte gab?
Gegenfrage: warum sollte eine Vereinsführung, die sich jahrelang von den eigenen Ultras auf der Nase herumtanzen lässt, in anderen, sportlichen Fragen, denn anders, womöglich sogar professionell agieren?
Die Vereine liefern sich ihren 'Star'-Coaches auf demütige Art und Weise aus.
Andererseits: die vielseits angesprochene Funktionärskrise, die peinlich-provinzielle Vereinsmeierei darf nicht als Ausrede für das strukturelle Versagen der Trainer-Kaste hergezogen werden. Irgendwo muss der Anfang gemacht werden. Und wenn Janeschitz die aktuelle Trainergeneration hochredet, dann aber offen zugibt, dass zur Zeit seiner Ausbildung vor ein paar Jahren noch keine praktische taktische Arbeit vermittelt wurde, dann entlarvt sich das Ausbildungs-System wieder als Selbstzweck.
Die Seilschaft der Ex-Teamspieler hält ihren Sport als Geisel
Die diversen halbgaren Aussagen der Generation Herzog/Kühbauer, die fast schon herzige Hervorhebung der Videoanalyse, die Peter Stöger hier anbringt, das macht keinen Mut, das bestätigt nur die Stagnation, das viel zu späte Reagieren auf schon wieder überholte Techniken.
Auch das, was Rapid jetzt nach der verlorenen Pacult-Ära aufholen muss, hat zwar Hand und Fuss ist aber nicht dazu angetan, internationales Level zu erreichen.
Das ist aber auch gar nicht das Ziel.
Denn ebenso wie Peter Pacult ist auch die neue Trainer-Generation der Ex-Teamspieler schlau.
Sie wissen, dass das, was sie machen, reichen wird, für hiesige Verhältnisse.
Das genügt.
Mehr will keiner.
Das Ausland geht sich eh nicht aus, wozu sich anstrengen, Hauptsache das Hausmedium steht zu dir, Hauptsache, die Fans wollen Autogramme. Und mit ihren informellen Absprachen, mit dieser augenzwinkernden Einigkeit niemand anderen reinzulassen, der da womöglich was aufmischen könnte, hebelt das System der Schlaumeier jede Börsenaufsicht locker aus.