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Burstup

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20. 7. 2011 - 12:49

Lobmeyr-Hof: Streit um die Räumung

In Wien findet heute eine Gedenkfeier für den 2001 erschossenen Globalisierungskritiker Carlo Giuliani statt. Die Feier hätte im besetzten Lobmeyr-Hof stattfinden sollen, der letzte Woche polizeilich geräumt wurde. Die Kontroverse um die Räumung beginnt erst.

Der unter Denkmalschutz stehende Lobmeyr-Hof in Wien Ottakring soll renoviert werden. Nur noch drei Mietparteien wohnen in dem 1898-1901 erbauten Vierkanthof. Am 8. Juli besetzten AktivistInnen das Gebäude. Der Plan: "Leben ins Grätzel zu bringen, Kunst und Kultur zu produzieren, ein Zusammenleben auszuprobieren, in dem nicht alles auf Geschäft und Gegengeschäft beruht." Doch das Vorhaben, zumindest für einen Sommer lang ein neues "Autonomes Zentrum" zu errichten, scheiterte bereits nach einer Woche: Die WEGA, eine Sondereinheit der Wiener Polizei, räumte den besetzten Lobmeyr-Hof. Über den Ablauf der Räumung gibt es wenig überraschend unterschiedlichste Ansichten zwischen dem Hauseigentümer Wiener Wohnen und den Besetzern.

Einige der wichtigsten Kultur- und Beratungseinrichtungen Wiens gingen aus Hausbesetzungen hervor: Das Werkstätten- und Kulturhaus WUK, Das Erste Schwulen- und Lesbenhaus Rosa Lila Villa, die Veranstaltungs-Location Arena oder das seit 21 Jahren besetzte Ernst-Kirchweger-Haus EKH.

Überraschender ist, dass sich auch die Grünen, seit kurzem Regierungsspartei in Wien, mit harter Kritik konfrontiert sehen. Laut Koalitionsabkommen zwischen SPÖ und Grünen soll nämlich die sogenannte "Zwischennutzung" leerstehender Gebäude in Wien gefördert werden. Die Grünen haben diese Forderung auch im Wiener Wahlkampf erhoben und werden daran jetzt von den HausbesetzerInnen erinnert. Dass den kleinen Koaltionspartner wenig Verantwortung an der Räumung trifft, lassen die Besetzer nicht gelten: "Nichtsdestrotrotz haben die Grünen mehr Möglichkeiten, als sie ausgenützt haben. Es ist leider immer bei Lippenbekenntnissen geblieben." Nach der Räumung des Lobmeyr-Hofs besetzten die AktivistInnen kurzerhand von Donnerstag bis Samstag die Parteizentrale der Grünen: "Uns ging es auch darum, nach der Räumung einen Treffpunkt zu haben. Viele von uns haben auch keinen Platz, an dem sie bleiben können. Da hat sich die Lindengasse angeboten. Die SPÖ-Zentrale zu besetzen haben wir uns nicht getraut, denn da wäre wohl gleich wieder die WEGA gekommen."

Die Grünen verteidigen sich gegen die Vorwürfe der HausbesetzerInnen. Sie stünden nach wie vor zu ihrer Forderung nach der Nutzung leerstehender Gebäude für kulturelle Zwecke. Martina Wurzer, Gemeinderats-Abgeordnete der Grünen, will die SPÖ stärker zur Einhaltung dieses Koaltionsvorhabens drängen: "Ich bin in die Politik gegangen, um Möglichkeit zu schaffen. Um Handlungsspielräume zu schaffen, anstatt sofort ablehnend und repressiv zu reagieren. Wir hätten vor allem das Gespräch gesucht mit den BesetzerInnen. Wiener Wohnen hat das Gespräch leider völlig verweigert. Es gab kein einziges Verhandlungsgespräch, keine einzige Kontaktaufnahme. Stattdessen wurde sofort die Polizei eingesetzt, und das ist kein Weg, den die Wiener Grünen gehen würden."

indymedia.org

In den achtziger Jahren zuletzt saniert: Desolate Wohnung im Lobmeyr-Hof

Der Stadtrat für Wohnen, Wohnbau und Stadterneuerung Michael Ludwig (SPÖ) ist derzeit auf Urlaub. In seinem Büro verweist man auf Daniela Strassl, Direktorin von Wiener Wohnen. Sie hat um die polizeiliche Räumung des Lobmeyr-Hofs gebeten - und weist die Behauptung der Grünen-Abgeordneten Wurzer scharf zurück: "Wir haben mit den HausbesetzerInnen verhandelt. Aber die Ergebnisse dieses Gesprächs wurden bereits am nächsten Tag wieder ignoriert. Und es hat niemand mit uns bei Wiener Wohnen Kontakt aufgenommen – weder in meinem Büro, noch im Callcenter."

Die Direktorin war selbst während der Räumung im Lobmeyr-Hof: "Ich habe gesehen, wie die Besetzerinnen und Besetzer von der Polizei hinausgeführt worden sind – von jeweils zwei Polizisten eskortiert, aber nicht einmal, dass sie gehalten worden sind. Sie sind zwischen den Polizisten gegangen."

Die HausbesetzerInnen wiederum halten diese Darstellung für unwahr und sprechen von äußerst aggressivem Vorgehen der Polizei: "Es kam zu verbalen und auch körperlichen Übergriffen. Es wurde gewürgt, es wurde geschlagen. Frauen wurden mit sexistischen Kommentaren bedacht. Es wurde Menschen, die auf einer Dachplattform standen gedroht, dass sie einfach runtergehaut würden - unten wurde von der Feuerwehr auch schon ein Kissen aufgeblasen."

GSD

Neues Dachgeschoß: So soll der Lobmeyr-Hof nach der Renovierung aussehen.

Für Wiener-Wohnen-Chefin Daniela Strassl war die Räumung des Lobmeyrhofs auch notwendig, weil das alte Gebäude zu gefährlich zum Wohnen sei. Unsichere Stromleitungen und andere von Strassl angesprochene Gefahren wollen die Besetzer hingegen nicht bemerkt haben: "Manche der Wohnungen haben so ausgesehen, dass man direkt einziehen konnte. Offene Stromleitungen hat es gar keine gegeben. Es gab offene Wasserinstallationen. In manchen Wohnungen war der Parkettboden aufgewellt. Es ist ganz klar, dass es dort darum gegangen ist, diese Wohnungen unbewohnbar zu machen." Die HausbesetzerInnen glauben, dass Wiener Wohnen in ganz Wien Gebäude mutwillig dem Verfall preisgibt, um langfristig die Mieten in die Höhe zu treiben. Gebäude würden ohne Rücksicht auf die Interessen der Bewohner aufgewertet oder durch Neubauten ersetzt, mit dem einzigen Ziel, die Miete zu erhöhen. "Wir kennen dieses Muster zum Beispiel vom Yppenplatz, der mittlerweile zu den gefragtesten Wohngegenden Wiens gehört, mit dementsprechendem Mietpreis pro Quadratmeter." Auch der eigentlich unter Denkmalschutz gestellte Lobmeyr-Hof sei für diese Vorgangsweise ein Beispiel: Er solle aufgestockt werden, Wohnungen sollen zusammengelegt und damit die Mieten drastisch erhöht werden. Die meisten ehemaligen Mieter des Gebäudes hätten in den letzten Jahren Ersatzwohnungen bezogen, in denen ebenfalls bereits höhere Mieten zu bezahlen seien.

Wiener Wohnen verneint die Absicht, Mieten künstlich in die Höhe zu treiben: Der über 110 Jahre alte Lobmeyr-Hof entspreche einfach nicht mehr dem gängigen Standard an Wohnqualität, deshalb habe man sich für eine Generalsanierung entschieden. Der Gemeindebau sei nicht, wie von den HausbesetzerInnen behauptet, 21 Jahre lang künstlich "dem Verfall preisgegeben" worden – sondern es dauere eben viele Jahre lang, Mieter von einem Umzug in eine neue Wohnung zu überzeugen.

Gedenkfeier für Carlo Giuliano

Die HausbesetzerInnen wollen andere Gebäude okkupieren und weiter für ein Autonomes Zentrum kämpfen. Die eigentlich im Lobmeyr-Hof geplante Gedenkfeier für Carlo Giuliani, der 2001 bei der Demonstration gegen einen G8-Gipfel in Italien erschossen wurde, muss heute, Mittwoch, noch auf der Straße stattfinden. Ab 15 Uhr vor dem Wiener Museumsquartier beim Omofuma-Denkmal.