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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

19. 7. 2011 - 23:00

Fußball-Journal '11-72.

Als Migrantenkind hast du keine Chance. Der erste Teil einer Reihe mit Thesen zum österreichischen Fußball.

Bundesliga, Meisterschaft und der Cup, der ÖFB und das Nationalteam, das europäische Geschäft, der Nachwuchs und die vielen Irrsinnigkeiten im Umfeld: Das Fußball-Journal '11 begleitet nach dem Jahr 2010 auch 2011 wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Skandalisierungen und Stillhalte-Abkommen, die den heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen.

Ab heute mit einer kleinen Reihe mit zugespitzten Thesen zum Status Quo des österreichischen Fußballs.

Die These heute in Teil 1: Migrantenkids haben keine Chance. Im Vergleich zu Deutschland oder der Schweiz ist Österreich ein reines Entwicklungsland, wenn es ums Ausschöpfen dieses Potentials geht.

Teil 2: Die Schwäche der heimischen Trainer ist nicht bloß ein Teil, sondern der Kern des Problems.

Was ist das?
Odisseas Vlachodimos; Mitchell Weiser, Noah Korczowski, Nico Perrey, Cimo-Patric Röcker, Kaan Ayhan, Robin Yalcin, Rani Khedira, Levent Aycicek, Okan Aydin, Samed Yesil.

Das ist die Startelf der deutschen U17, wie sie sich vor ein paar Tagen im kleinen Finale der WM in Mexico präsentiert hat. Koray Günther und Emre Can wurden ebenso wie Fabian Schnellhardt eingewechselt, Koray Kacinoglu saß auf der Bank. Elf Jungs mit Migrationshintergrund waren in die DFB-Auswahl für Mexico berufen worden, acht waren es in der Startelf dieses letzten Spiels (das man gewann, nach tollem Kampf gegen Brasilien, nach einem Rückstand noch mit 4:3).

Deutschland, besser gesagt der deutsche Fußball-Verband, hat mit der Integration der jungen Leute, die aus Familien stammen, die in dieser oder der letzten Generation zugewandet sind, kein Problem. Das zeigen sie bei den Frauen, bei den Herren und vor allem bei den Kids.

Am Beispiel der Fußball-Nation Deutschland

Vor allem die letzten Einberufungen zeigen das.
Im letzten A-Team-Kader hatten 6 von 18 Spielern so einen Hintergrund. Bei der U21 waren es 9 von 20, bei der U20 8 von 22, bei der U19 7 von 18, bei der U18 9 von 18, bei der U16 8 von 20 und bei der U15 9 von 22.

Dass es just die U17 (mit 11 von 21) war, die nach EM-Silber den dritten WM-Platz holte, ist nur ein kleiner Zusatz-Gag. Denn diese Quote ist durchaus hoch.
Wobei der Begriff "Quote" da missverständlich klingt: die DFB-Kader werden leistungsgemäß/-gerecht zusammengestellt. Das sind die Besten des jeweiligen Jahrgangs.
Und in Deutschland sind das eben mittlerweile ein gutes Drittel bis die knappe Hälfte. Was sich künftig auch noch stärker aufs A-Team übertragen wird.

Noch ein Beispiel - die Schweiz

In der Schweiz gibt es für das, was bei uns so sprachstolpernd "Menschen mit Migrationshintergrund" heißt, einen positiv besetzten Begriff: den des Secondo. Und in der Schweiz ist es - SVP, Blocher und "Das Boot ist voll" zum Trotz - auch der Fußball, auch der Verband, der SFV, der (zumindest in Mitteleuropa) eine Vorreiterrolle eingenommen hat und mehr als achtsam mit den Migranten-Kids umgegangen ist.

Auch hier erzählen die blanken Zahlen, die sich aus den jeweils letzten Kadern der Teams für alle ablesen lassen, einiges.
In der U15 sind es 10 von 24, in der U16 12 von 26, in der U17 13 von 26, in der U18 12 von 26, in der U19 11 von 26, in der U20 10 von 27. In der U21-Mannschaft, die im Juni ein wunderbares EM-Heimturnier spielte und zweiter hinter Spanien wurde, sind 9 aus dem 23-Burschen-Kader Secondos, und im letzten A-Team waren es 12 von 21.

In der Schweiz also sind etwa 45% der teamwürdigen Profis Secondos.

Und jetzt der Reality Check für Österreich:

Für die U20-WM in Kolumbien hat Andreas Heraf drei Burschen mit migrantischen Roots berufen; drei von 21.
Im letzten Team-Kader von Constantini standen ebenfalls drei Secondos, drei von 23.

Gut, in den anderen Bereichen sieht es ein klein bisschen besser aus.
Die offiziellen Großkader der Nachwuchs-Teams weisen bei der U21 5 von 41, bei der U19 7 von 27, bei der U18 6 von 30, bei der U17 4 von 20 und bei der U16 8 von 28 aus.

Und ja, der U20-Großkader kennt auch noch vier weitere Secondos, und auch beim A-Team wären noch fünf andere am Start.

Bloß: genau die fünf gehören zur seit einiger Wochen verfemten Arnautovic-Gang und stehen auf einer schwarzen Liste.

Der ÖFB hat seine behauptete Fähigkeit als Zugpferd für die gesellschaftliche Verantwortung im Integrationsbereich also längst verloren.

Einschub wider die Ausreden

Bevor sich jetzt hier diejenigen, die Angst davor haben, sich einem gesellschaftlichen Problem stellen zu müssen, krampfhaft um Ausreden bemühen, warum das alles "bei uns" eben anders wäre als in Deutschland oder der Schweiz: ja, selbst, wenn wir davon ausgehen könnten, dass die migrantische Struktur Österreichs den Fußball nicht begünstigt (was ein verheerender Schwachsinn ist, denn die in Österreich vorherrschenden Ex-Yugo- und Türkei-Communities sind fußballaffin as can be... ): auch das lässt sich ganz einfach entzaubern.

Denn auch wenn die durchschnittliche österreichische Bundesliga-Mannschaft nur über etwa 2,75 Secondos verfügt (der Schnitt der 1. Liga ist mit 3,0 etwas besser) und damit ausredengerecht glänzt: es gibt einen simplen Indikator, der den Faktor "Österreich" ausschaltet.

Von den österreichischen Profis, die ihr Geld im Ausland verdienen, die also von internationalen Clubs nicht wegen irgendwelchen Distinktions-Denkens, sondern wegen ihrer Leistung geholt wurden, sind 4 der Top Ten (laut transfermarkt.at), 7 der Top 20, 12 der Top 30 und 15 der Top 50 Secondos. Und ich habe da bewusst die "Deutschen" wie Martin Harnik weggelassen. Diese Zahlen beziehen sich auf Burschen, deren Eltern aus Serbien, Kroatien, Bosnien, Albanien, dem Kosovo, der Türkei, Ungarn, Polen oder Nigeria gekommen sind, diese Zahlen beziehen sich auf Burschen, denen man die Herkunft am Namen ansieht.

Lasset also die Zahlen sprechen

Und diese "unösterrerichischen" Zahlen über österreichische Migrantenkids übertreffen die Bundesliga-Quoten um das Vielfache und das, was der ÖFB anbietet, um das Doppelte.

Es gibt also eine (mess- und beweisbare) Diskrepanz zwischen der Leistung der österreichischen Kicker mit Migrationshintergrund und der Wertschätzung, die ihr entgegengebracht wird.
Fakt ist: Leistung ist weniger wichtig als es naserümpfende Distinktions-Vorurteile sind.

Es geht also nicht um irgendwelche gutmenschlichen Gefühligkeiten, sondern um knallharte Fakten. Und letztlich sollten diese Zahlen jedem, der geschäftsmäßig kalkuliert, die Tränen der Empörung ins Gesicht treiben - weil hier nämlich Schindluder mit potentiellen Ressourcen getrieben wird.

Selbst das vorhandene Potenatial der österreichischen Secondos, die sich gegen den Alltagsrassismus in vielen Vereinen und leider auch Jugendabteilungen irgendwie durchgesetzt haben, wird verschleudert und vergeudet.
Letztlich entsteht da durch schiere Ignoranz sogar volkswirtschaftlicher Schaden.

Zuerst geht's ums Geld, dann um die Moral

Von der gesellschaftlichen Verantwortung, von der vielbeschworenen Vorreiterrolle, mit der sich Bundesliga und ÖFB so gerne schmücken, ist da noch lange nicht die Rede: erst kommt die Finanz, dann kommt die Moral.

Das nämlich lässt sich ebenso mit Zahlen belegen. Dass die, die rechnen können, dass die, die für ihre Ausbildung irgendwann auch die berühmte Ausbildungsentschädigung erhalten möchten (etwas, was der Ausbildungs-Liga Bundesliga auch einmal gut anstehen würde), auch etwas dafür tun.

In jenen Akademien nämlich, die etwas gelten, sind die Zahlen nämlich durchaus ausgeglichen. Salzburgs U18-Jahrgang etwa enthält, neben etlichen "echten Ausländern" 9 Secondos, bei der Austria sind es 10, bei Rapid ist man mit 13 praktisch gleichauf mit den Schwabo-Kids.
In Vorarlberg und Tirol (mit je 6 Secondos) gibt es diesbezüglich eine merkbar achtsamere Politik, und die Akademien in St.Pölten und bei der Admira (je 5) genießen ja auch einen guten Ruf.
Der Rest ist unterdurchschnittliches, provinzielles, peinliches Schweigen.

Den großen Pool aus niederen Gründen nicht nützen

Klar ist die Anzahl der talentierten Jungspieler aus Migranten-Familien regional unterschiedlich gestreut. Klar ist in Wien mehr los, als sonstwo - aber das schlägt sich aber etwa beim Wr. Sportklub nieder, nicht bei den Profi-Teams.

Klar hat vor allem Vorarlberg eine merkbar längere Geschichte im Umgang mit den türkischen Jugendlichen - man merkt es aber auch eher bei Dornbirn und Bregenz als bei Altach oder dem FC Lustenau.

Die nackten Zahlen sorgen dafür, dass auch auch hier alle Ausreden wegfallen.

Fakt ist, dass es unter den Jungen, im Nachwuchs-Bereich, einen großen Pool gibt (oder: geben würde), der sich etwa im Bereich der Nachbarn (Deutschland, Schweiz) bewegt.

Nur: die schaffen es, die Talente auch systematisch hochzuziehen.
In Österreich werden sie verloren.

Die gesellschaftlichspolitische Großwetterlage...

Ich unterstelle einmal: absichtlich.
Sich mit einem arroganten Serbenlümmel herumärgern, sich von einem bemützten Türkenbuben mit neumodischen Kopfhörern vorführen lassen - das hält der gelernte österreichische Coach einfach nicht aus. Da ist er den deutschen und Schweizer Kollegen unterlegen (nicht nur da, aber das wird ein anderes Thema... ).

Und da kommt dann auch die xenophobe Politik des Landes ins Spiel, die aggressive, untergriffige und hirntote Fremdenfeindlichkeit, die von Medien-Fürsten, Rechtspopulisten, politischen Nichtstuern und ihren ökonomischen Hintermännern in einem perfide koordinierten Spielchen betrieben wird, um sich über dieses Sündenböck-Ventil für die Öffentlichkeit geschickt die Macht zu teilen.

Sie erlaubt es, dass jeder, vom dümmsten ehrenamtlichen Jugendcoach bis zum ÖFB-Verantwortlichen, sich einfach nichts denken muss.
Sie spielt alle von jeglicher Verantwortung frei.
Schuld am Elend des heimischen Kicks sind dementsprechend die schlimmen Arnautovice, und nicht die unverantwortlichen Veranwortlichen, die nicht schaffen, was ihre deutschen und Schweizer Kollegen vorbildlich auf die Reihe kriegen. Wie es die xenophobe Hauspolitik den Menschen auf jeder Ebene vorgaukelt.

... spricht alle Versäumnisträger ohnehin von Schuld frei!

In einer gesellschaftlichen Grundstimmung der Verachtung für den anderen (an der auch die sogenannten Fans mitstricken) ist die Verachtung für den "Neuen" legitimiert.
In dieser Grundstimmung ist es natürlich auch gar nicht möglich, zu erkennen, was man da tut, was man versäumt, was man verbockt.

Ich bin mir sicher, dass sich ein Gutteil der Verantwortlichen schlicht und ergreifend einfach keine Gedanken über dieses Thema macht. Weil die gesellschaftliche Großwetterlage das zulässt und begünstigt.
Und das bedeutet: Stillstand, keine Entwicklung.

Also: als Migranten-Kid wirst du auch weiter nur etwa 50% der Chance haben, in Österreich unter gleichwertigen Bedingungen im Fußball Erfolg haben zu können wie in der Schweiz und in Deutschland.