Erstellt am: 21. 7. 2011 - 18:48 Uhr
"You know nothing of my work!"
Am Höhepunkt seiner Karriere war der Medientheoretiker Marshall McLuhan berühmt wie ein Popstar. Er war in den großen Talkshows zu Gast und in allen Magazinen, vom Time Magazine bis hin zum Playboy. McLuhan ist ein Markenname geworden, geprägt durch die Aussage "Das Medium ist die Botschaft" und den Topos von der Welt als globalem Dorf.
Marshall McLuhan wäre dieser Tage 100 Jahre alt geworden. Dass zu diesem Anlass seine Werke neu aufgelegt oder übersetzt, neue Einführungen in sein Denken und neue Biographien erscheinen, mag nicht weiter verwundern, dass unter den Biographen auch Douglas Coupland ist, schon eher. Ihn kennt man bisher nur als Autor von Romanen, von "Generation X" bis "Girlfriend in a Coma". Coupland versucht einen neuen Zugang zu McLuhan zu finden und findet dabei einen völlig neuen Zugang zum Genre der Biographie.
Martin Tessler
Leben in der Google-Galaxis
Wie nähern sich Menschen des Web-Zeitalters an eine berühmte Persönlichkeit an? Sie googeln. Coupland hat es wahrscheinlich nicht anders gemacht, beginnt seine Biographie aber nicht mit dem Wikipedia-Eintrag zu McLuhan, sondern prokrastiniert noch ein wenig. Er jagt McLuhan zuerst durch einen Anagramm-Generator, dann durch weitere Namensgeneratoren. McLuhan selbst galt als Meister der Anagramme, der Wortspiele und Doppeldeutigkeiten.
Aber Couplands Interesse gilt nicht so sehr der Sprache McLuhans, sondern der Tatsache, dass McLuhan ein Prophet der Gegenwart und Zukunft war. Er habe das Internet vorweggenommen und die Probleme, die damit einhergehen, die Beschädigung von Zeit und der "inneren Stimme".
Tropen Verlag
Dabei kristallisiert sich das Paradox heraus, dass McLuhan zwar als der größte Guru des elektronischen Zeitalters gilt, aber gleichzeitig immer wieder seine Abneigung und Verachtung gegenüber einem Großteil der modernen Welt und der Technik vorgebracht hat.
Fortschrittliche Gedanken, rückschrittliche Weltsicht
Das Bild, das Coupland von McLuhan zeichnet, ist äußerst vielschichtig. Mc Luhan war der "Inbegriff des zerstreuten Professors", ein eigenwilliger Kauz, begeisternder Dozent und ein herausragender Denker, in seiner Weltsicht aber sehr rückschrittlich. Er war homophob, antiemanzipatorisch, ein schlampiger Wissenschaftler, ein fanatischer Katholik, zutiefst reaktionär und liebte schlechte Witze. Coupland verurteilt diese Einstellungen nicht, sondern versucht, sie durch die Zeit und Erziehung zu erklären und abzufedern. Er zeigt den Menschen hinter dem Markennamen.
McLuhan war besessen davon berühmt zu werden, konnte mit seinem Popstar-Status dann aber durchaus selbstironisch umgehen. So spielte er etwa in einer Szene von Woody Allens "Der Stadtneurotiker" mit. Woody Allen wird dabei in einer Warteschlange so sehr von einem Typen hinter ihm genervt, der mit McLuhan-Thesen seine Begleitung beeindrucken will. Woody Allen steigt aus der Szene raus, wirft dem Typen vor, McLuhan überhaupt nicht zu verstehen, und zerrt als Beweis den echten McLuhan hinter einem Plakatständer hervor.
Wie Woody Allen in "Der Stadtneurotiker" immer wieder aus der eigentlichen Filmhandlung heraussteigt, um Geschehnisse zu kommentieren, macht das auch Douglas Coupland in seiner McLuhan-Biographie. In Fußnoten, Anekdoten oder kurzen Geschichten kommentiert er McLuhans Leben und mutmaßt, wie der Medientheoretiker sich in bestimmten Situationen verhalten hätte.
Web-Biographie
Coupland hat eine Biographie im Stil der Web-Generation geschrieben. Statt in Bibliotheken zu recherchieren hat er einfach nach Allem gegoogelt, was ihm bei seinen Recherchen gerade untergekommen ist. So finden sich im Buch etwa Auszüge aus Routenplanern, wenn McLuhan gerade umgezogen ist, bibliographische Infos von AbeBooks oder Amazon, wenn McLuhan ein Buch veröffentlicht hat und auch Links zu youtube-Videos oder Wikipedia.
Coupland ist kein stiller Biograph. Er setzt sich selbst in Szene und reflektiert immer wieder über das Genre der Biographie. Das Buch profitiert davon. Einführungen zu McLuhans Werk gibt es sicher bessere, Annäherungen an den Menschen wohl nicht.