Erstellt am: 18. 7. 2011 - 15:00 Uhr
Himmelsstürmer
2011 ist ein bizarres Jahr, zumindest wenn ich mir meinen Freundeskreis und meine Wenigkeit anschaue. Kleinere und ganz große Katastrophen summieren sich immer wieder zu einem schwarzen Loch, einem existentiellem Strudel, der bisweilen einen bedrohlichen Sog entwickelt.
Und dennoch, auch wenn sich das jetzt sehr pathetisch anhört, flackert da immer wieder gleißendes Licht am Ende des Tunnels auf. Dramatische Situationen fegen Maskeraden hinweg, führen zu tieferen, bisweilen magischen Begegnungen, lassen Menschen zusammenrücken, abseits des üblichen platten Alltagszirkus.
Aus dem Schmerz und dem Schrecken entsteht aber auch der Mut zur Veränderung, zum Reset eingefahrener Lebensszenarien. "Man muss die Tragödie als Chance sehen, sich neu zu erfinden", hat das eine Bekannte von mir unlängst auf den Punkt gebracht.
XL Recordings
The Horrors können davon ein Lied singen. Nein, gleich zehn großartige Lieder, irgendwo zwischen betörendem Dreampop, Elektronik und psychedelisch angehauchtem Rock, die sich allesamt auf ihrem dritten Album "Skying" finden. Es wimmelt in diesen Songs vor Bildern des stürmischen Umbruchs, des Wandels, der Hoffnung, alles dreht sich um den metaphorischen Moment, in dem sich die Sonne endlich ihren Weg durch dichte Wolkenfelder bahnt.
"The sky clears, the sun hits, i'm here waiting" singt Faris Badwan in der phänomenalen Single "Still Life". "The moment that you want is coming, if you give it time. When you wake up you will find me".
Dabei war am Anfang einmal das Haar. Ganz tolles Haar. Als The Horrors in der Mitte der letzten Dekade in diversen Musikgazetten auftauchten, drehte sich alles um die kunstvollen Frisurgebilde, die die Köpfe des Londoner Quintetts zierten. Bis der Blick auf die hauchzarten Körperchen der sinistren Bubengang herunterwanderte. Fünf Horrors zusammengenommen, dachte ich mir damals, ergeben wohl gerade mal einen normal proportionierten Menschen.
Musik stand bei der spindeldürren Truppe auch auf dem Programm. Auf ihrem Debüt "Strange House" anno 2007 kombinierten Faris Badwan, Tom Furse, Rhys Webb & Co., seinerzeit noch hinter gruseligen Pseudonymen versteckt, radikale Versatzstücke aus der Garagenrock-Historie auf originelle Weise.
Irgendwo zwischen dem Spirit von glamourösen Wüterichen wie The Cramps oder The Birthday Party fügten sich Goth-Attitude und Sixties-Orgeln, Noisegitarren und psychotische Vocals zu einem gar nicht mal so modrigem Bild zusammen. Ausnahmeregisseur Chris Cunningham war von den frühen Horrors so begeistert, dass er ihnen einen wüstes Video drehte und einige Songs coproduzierte.
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Trotz solcher Kontakte und Lob aus gehobenen Kollegenkreisen wie Primal Scream oder den Yeah Yeah Yeahs wäre die Londoner Band wohl ein Treppenwitz der aktuelleren Musikgeschichte geblieben. Aber nachdem "Strange House" von einem Major falsch vermarktet wurde, floppte das Album heftig und The Horrors wurden gefeuert.
Apropos Tragödie und Neuerfindung: Was besseres als von ihrem Label auf die Straße gesetzt zu werden, hätte Faris und seinen Mitmusikern nicht passieren können. Die horriblen Burschen zogen sich aus dem Hypegewimmel zurück und begannen intensiv an einer zweiten Karriere zu arbeiten.
Mit "Primary Colours" überraschten The Horrors dann 2009 sogar ihre eingefleischtesten Kritiker. In Zusammenarbeit mit Portishead-Mastermind Geoff Barrow war der Band ein hypnotisches Album gelungen, in dem die rotzige Aggression pausierte und gegen eine frostige Melancholie eingetauscht wurde. Statt entfesseltem, aber auch ein bisschen kindischem Rock'n'Roll-Lärm setzte das Quintett auf treibende Krautrock-Rhythmen und betörende Shoegaze-Gitarren.
"Skying" schließt nun einerseits an die besten Stücke dieser Phase an, treibt den Horrors-Sound aber in Bereiche, die endgültig vergessen lassen, dass wir es hier einmal mit eindimensionalen Rabiatrockern mit lustigen Frisuren zu tun hatten.
Zarte Bläsersätze haben bei den jungen Briten jetzt ebenso Platz wie kristallklare Kraftwerk-Synths oder psychedelische Beatles-Zitate. Über den Umweg der 60ies und 80ies kommt die Band mit zurückgelehnten Baggybeats, die an die Glanzzeiten der Stone Roses erinnern, sogar mitten im grassierenden 90ies-Revival an.
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Aber auch wenn es sich jetzt so anhört: Postmodernes Stückwerk ist "Skying" keines, die Band verknüpft den Referenzfleckerlteppich zu schlüssigen Songs, in denen alle Elemente ganz selbstverständlich ihren Platz haben. Mittendrin Faris Badwan, der es durch sein famoses Cat's Eyes-Projekt geschult, einmal mit richtig zärtlichem Gesang versucht.
Aus den rabenschwarzen Teenage-Nihilisten sind farbenverliebte junge Männer geworden, die statt ewig in Londoner Bars zu versumpern, gerne mal aufs Land fahren. Um die Natur, um Wälder, Wiesen, weite Himmel kreist das aktuelle Image der Ex-Gruftis, die von einem lässigen Minderheitenprogramm zu einer der zentralsten Bands unserer Tage mutiert sind.
Um das Motto von The Horrors in einem Satz zusammenzufassen, zitiert man am besten die deutsche Liedermacherlegende Reinhard Mey: "Über den Wolken mag die Freiheit wohl grenzenlos sein."
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The Horrors sind am 17.11. im Salzburger Rockhaus und am 19.11. live im Wiener Flex zu sehen. Am 20.07. gibt es in FM4-Connected eine Listeningsession zu "Skying". Das FM4-House of Pain widmet sich am 27.7. ausführlich der Band,