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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

17. 7. 2011 - 22:46

Fußball-Journal '11-70.

... oder auch: Journal 2011. Eintrag 138. Hinterherreiter-Rolle. Die Bundesliga vertut zu ihrem Auftakt eine große Chance und sperrt die Töchter aus.

Bundesliga, Meisterschaft und der Cup, der ÖFB und das Nationalteam, das europäische Geschäft, der Nachwuchs und die vielen Irrsinnigkeiten im Umfeld: Das Fußball-Journal '11 begleitet nach dem Jahr 2010 auch 2011 wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Skandalisierungen und Stillhalte-Abkommen, die den heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen.

Heute mit Anmerkungen zum Bundesliga-Auftakt, in denen es - wieder einmal - nicht um die Spiele und den Sport, sondern das Umfeld geht. Das hat nämlich anlässlich der heutigen Eröffnungsfeier eine große Chance recht kläglich vergeben. Ja, es geht um die leidige Hymnen-Sache.

In aller Offenheit: es fällt mir heute schwerer als sonst, einen Schiefläufer im österreichischen Fußball-Alltag auszuleuchten und durchzudiskutieren.

Das hat mit der Nachricht des Bundesliga-Vorstands zu tun, die ich am Tag nach der Präsentation der Bundesliga-Saison vor den Medien, die zu einem problematischen Event-Spektakel ausartete, auf meiner Mailbox hatte.
Georg Pangl, sowas wie der Geschäftsführer der Liga, plusterte sich da nämlich nicht - wie man möglicherweise hätte erwarten können - empört auf, sondern sprach die Dinge, die da in eine falsche Richtung gelaufen waren, auch durchaus als Probleme an.

Ich bin als gelernter Österreicher ein solches selbstkritisches Verhalten, vor allem, wenn es von einer Person in einer gewissen Machtposition kommt, nicht gewohnt.
In den Medien etwa existiert diese Art des Umgangs mit Kritik überhaupt nicht; im Kulturbereich genausowenig, in der Politik und der Wirtschaft, aber auch der Alternativkultur kaum.
Und der Sport macht da keine Ausnahme.
Im Fußball-Bereich funktioniert das so wie bei Andreas Heraf, der bei Kritik zuallererst nachfragt, ob diese einen persönlichen Hintergrund habe, ob man einander schon einmal begegnet wäre und dabei etwas vorgefallen sei und man deshalb etwas gegen ihn habe.

Dieses so österreichische Leben in einer Vorstellungswelt, die als einzigen Grund für Kritik persönliche Motive oder Missgunst gelten lässt - wohl, weil die eigene Handhabung so aussieht - das ist also der Normalfall.
Den Georg Pangl durchbricht, was mein Bild von ihm durchaus bestätigt.

Der Plan: der Einzug der Moderne in den heimischen Fußball

Und deshalb fällt es mir deutlich schwerer als sonst.
Die Kritik.
Aber es hilft nichts.

Schon vor der aktionistischen Peinlichkeit den längst fälligen Klacks einer gendergerechten Neuversion der Bundeshymne endlich zu finalisieren, hatte die Bundesliga bei den Planungen für ihre offiziellen Eröffnungs-Party zur Saison, die heute Nachmittag vor dem Match Salzburg - Austria TV-gerecht stattfand, das Absingen der Hymne eingeplant. Nach großen internationalen Vorbildern, vom deutschen Liga-Start bis zum Superbowl.

Die Songcontest-Teilnehmerin Nadine Beiler sollte, nach viel Fahnengeschwenke und Getanze und vor einer kurzen Eröffnungsrede, die Ehre haben, eine Strophe vorzusingen. Nette kleine Idee, das.

Dann kam die Töchter-Söhne-Debatte.
Und am Freitag gabe es eine Aussendung der Bundesliga, die stolz davon berichtete, dass man eine Vorreiterrolle einnehmen werde, die erste öffentliche Aufführung einer neuen Version vornehmen würde.

Zitat: "Fußball verbindet – Alter, Religion, Herkunft und auch Geschlechter. Dies stellt die Österreichische Fußball Bundesliga an diesem Sonntag eindrucksvoll unter Beweis und wird somit ihrer gesellschaftlichen Verantwortung erneut gerecht... Nadine Beiler wird die Bundeshymne zum Besten geben – und dabei nicht nur "große Söhne", sondern "große Töchter und Söhne" besingen. (...) Wir sind stolz darauf, hier eine Vorreiterrolle zu spielen." Zitat Ende.

Die Realität: kein Mut, sich zu den Töchtern zu bekennen

Dass man sich der Tatsache bewusst war, dass es noch gar keine offizielle Neu-Version des Textes gibt, zeigt die Passage der Aussendung, in der von einer diesbezüglichen Überraschung die Rede ist. Denn "die neue Bundeshymne", von der auch einige Medien fantasieren, die existiert offiziell ja noch nicht.

Aber das ist ja egal hoch zehn.
Und es gibt eh schon mehr als nur eine Steilvorlage. Für eine public campaign hat Christina Stürmer ja schon eine Möglichkeit dargeboten. In der darauffolgenden Diskussion vor eineinhalb Jahren setzte sich dann allerdings ein gesanglich (und reimtechnisch) gangbarerer Weg durch.
Das eh ordentlich hatscherte "Heimat bihii-iist du gro-o-oßer Söhne" lässt sich durch ein schneidigeres "Heimat großer Töchter, Söhne" groovetechnisch sogar wesentlich verbessern (für rhythmustechnisch sehr Patscherte ginge sich sogar ein "und" zwischen Töchter, Söhne aus) - die Meinungsumfragen-Testsinger aller Audiovisuellen Stationen brauchen nur den dezenten Hinweis, das "bist du" wegzulassen, und schon flutscht es.

Heute bei der Eröffnung flutschte nun gar nichts.
Es habe rechtliche Probleme gegeben.

Da zeigt sich dann auch das alte Problem der ferngesteuerten Pop-Marionetten: eigen-ständiges Handeln ist nicht. Eine Autorin, also eine echte Künstlerin würde sich über alle Halbheiten hinwegsetzen und einfach ihre Version spielen/singen: Problem gelöst. Die junge Frau Beiler ist aber keine Künstlerin, sondern eine Handwerkerin ohne eigenen Handlungs-Spielraum. Und erst der macht den Unterschied.

Und deshalb fiel die allerorten angekündigte Österreich-Weltsensation dann aus.
Beiler zitterte sich durch eine Strophe, die sie so interpretierte, als würde sie in einer ihr unverständlichen Fremdsprache singen, und ließ die Töchter weg.

Und wieder sind die gruseligen Bierzelt-Machos am Drücker

Im Fußballer-Umfeld kam das gut an. Roland Kirchler etwa, Ex-Teamspieler, Trainer von Wattens und "Experte" bei Sky, erklärte, dass er das mit den Töchtern eh nicht gut finden würde, und Charly Leitner, Sky-Senior-Kommentator, mokierte sich (wohlgemerkt am Tag des WM-Finales der Frauen) über die nach sportlichen und nicht nach körperbetonten Maßstäben geschnittenen Fußball-Trikots der im Eröffnungsprogramm auftretenden Damen. An sowas wolle er sich nicht gewöhnen.
Ich gehe davon aus, dass der andere TV-Partner der Bundesliga sich derlei gruselige Macho-Sprüche erspart hat - symptomatisch für die Denkungsart der Fußball-Branche und nicht nur der Fußball-Medienpartner sind diese Grunzer allemal.

Und just angesichts eines solchen Bierzelt-Niveaus wäre das, was man vollmundig rausgeblasen hatte (wir erinnern uns: "Fußball verbindet – Alter, Religion, Herkunft und auch Geschlechter") so wichtig gewesen. Als Zeichen, dass man tatsächlich "gesellschaftliche Verantwortung" übernehmen will.

Aus der angestrebten Vorreiter-Rolle ist eine Hinterherreiter-Rolle geworden, eine, die sich im säuerlichen Biermief der Herrenreiter und ihrer patriarchalen Sicht der Welt aufhält, widerstandslos.

Zweierlei Maß im Umgang mit dem Recht

Ja, ich höre den Einwand: rechtliche Probleme.
Darauf gibt es zwei Antworten; die zynische und die ernstgemeinte.

Die zynische zuerst: seit wann hat die Bundesliga ein Problem damit, juristisch Eindeutiges innerhalb ihrer Grenzen eigenmächtig umzudeuten? Altach hätte, wäre man dort vor ein echtes Gericht gegangen, die Bundesliga im Fall der betrügerischen Admira-Doppelverträge erfolgreich geklagt. Da, in Kernfragen der Glaubwürdigkeit, ist niemand an rechtsstaatlichen Grundsätzen interessiert. Bei einer kleinen Sangesdarbietung schon?

Und jetzt die seriöse: ja, selbst, wenn die humorlosen Preradovic-Erben oder andere Wichtigtuer bei einer Ver-/Entfremdung geklagt hätten: so what?
Gerade mit einer wilden Diskussion und einem möglichen Prozess (zu dem es zu 99% nicht kommen würde, auch im Stürmer-Fall gab es nur leere Drohungen) kann sich die Liga als Streiter für die gute Sache profilieren.

Die verpasste Annahme der gesellschaftlichen Verantwortung

Bei der eingangs erwähnten Präsentations-Pressekonferenz präsentierte Pangl fast en passant eine Menge Initiativen, die die Liga (seit schon einiger Zeit) setzt: Aktionen im Bereich Kultur (ein Skulpturen-Wettbewerb), eine Medienmarkt-Konferenz, ein Marketing-Symposium, eine Koop mit dem Umweltministerium, das vorbildliche On Ear-Service und anderes mehr. Alles G'schichten für ein kleines, speziell interessiertes Publikum oder ohne große Resonanz im Medien-Mainstream. Alles Dinge, die das angesprochene gesellschaftliche Verantwortungs-Bewusstsein belegen.
Aber nix, was sich raustraut aus dem geschützten Benefiz-Bereich, und sich den realen Aufgaben stellt.

Morgen werde ich übrigens einen konstruktiven Vorschlag ausführen, der die Liga ein klein wenig besser machen könnte. Es hat mit Schaum zu tun.

Und das durchaus nerven-zerfetzende WM-Finale der Frauen steht in diesem Moment in seiner Verlängerung. Und endet mit einer faustdicken Überraschung.

Das grausliche Geschwätz dominanter Macho-Gäule, wenn es um Frauen-Sport geht, zu konterkarieren, das wäre eine solche Aufgabe. Stattdessen lädt man sich genau so einen Pascha auch noch als Conferencier für die Event-Pressekonferenz ein.

Da geht die Schere zwischen Anspruch und Wirklichkeit deutlich zu weit auseinander. Und so hat am Tag des WM-Finals der Frauen die Bundesliga folgerichtig die Frauen aus ihrem Einfluss-Bereich ausgesperrt.
Nicht, dass das etwas nützen würde - die sind nicht aufzuhalten, nicht im Hymnen-Text, nicht auf dem Spielfeld und auch nicht durch die dickste Koalition der dümmsten Machisten. Verloren haben nicht die Töchter, nur - und schon wieder - die Bundesliga.