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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

16. 7. 2011 - 13:20

Krieg in Berlin

Es gibt ein neues Feindbild: den "Kampfradler"

Gerne würden wir ja mal etwas rundum Positives aus Berlin berichten. Aus dem glitzernden tollen Berlin, der schönsten Stadt, Deutschlands - ach was Europas - der Welt! Von dem einmaligen Lebensgefühl in unserer herrlichen Metropole, die niemals schläft, von den tollen Clubs und Events, an denen sich die gutgelaunten Einheimischen, die neugierigen frisch Zugezogenen und trendy Partypeople aus aller Welt erfreuen.

Leider sieht die Realität anders aus. Berlin ist eine raue Großstadt, an vielen Stellen eher hässlich als schön, es stinkt und die Bewohner liegen miteinander im Krieg. Der Berliner Kleinkrieg ist sprichwörtlich, hier kämpft jeder gegen jeden.

Graffiti Tag: Touristen Fisten

Christiane Rösinger

Der Ton wird härter in Berlin

Nach 20 Jahren Wiedervereinigung gibt es immer noch West- und Ost Nostalgiker, die eifersüchtig aufrechnen welche Seite grade städtebaulich oder finanziell benachteiligt wird, die Bezirke sind einander spinnefeind: Im September eskaliert der Hass zwischen den zwangsvereinigten Kreuzbergern und Friedrichshainern regelmäßig in einer Gemüseschlacht auf der Oberbaumbrücke. Jede Nacht brennen Autos, Nachbarn zeigen einander wegen Kleinigkeiten an, es gilt Junge gegen Alte, Eltern gegen Kinderlose, Einheimische gegen Touristen, die Berliner Parteien sind im Wahlkampf.

Das neue Feindbild in Berlin: der "Kampfradler"

Seit ein paar Tagen hängen Plakate im Stadtteil Prenzlauer Berg, Plakate die Stimmung machen sollen gegen Radfahrer. "Kampf den Kampfradlern" haben Unbekannte in fetten Lettern auf diese Plakate drucken lassen. Darunter das Piktogramm eines Fahrradfahrers. Der Kopf ist eine Handgranate. "Rücksicht statt Vorfahrt" fordern die Initiatoren, denn Radfahrer sind für sie offensichtlich eine Gefahr. Wer hinter dieser Aktion steht ist ungewiss- man zieht ja nicht nur in Berlin lieber anonym über andere her.

Plakat: Kampf den Kampfradlern

Christiane Rösinger

Der natürliche Feind des "Kampfradlers" ist eigentlich die Yuppie-Mutter, die mit ihrem 900 Euro Bugaboo- Kinderwagen samt ausklappbarem Latte-macchiato-Becherhalter in Edelstahl, die gern auch zu zweit die breiten Gehwege Berlins blockiert. Wenn dann mal ein Radfahrer auf den Bordstein ausweicht, weil der Radweg jäh endet oder durch Schlaglöcher oder parkende Autos unbefahrbar ist, dann geraten diese beiden gefährlichen Spezies aneinander. Aber die Macchiato-Mutter ist viel zu sehr mit dem Nachwuchs beschäftigt, um Plakate zu entwerfen, drucken und aufzuhängen.

Waren es andere militante Fußgängergruppen?

Als Fußgänger lebt man gefährlich, wenn Autofahrer um die Ecke biegen und professionelle Radfahrer über die Trottoirs fegen, aber es herrscht ja generell Krieg auf den Straßen Berlins. Ausgestreckte Mittelfinger, Geschrei, Beschimpfungen, Drohungen sind normal im Straßenverkehr. Jeder für sich und Gott gegen alle!

Würden Berliner Autofahrer Waffen tragen käme es jeden Tag zu Schießereien an den Kreuzungen. Wie oft bei menschlichen Konflikten, fehlt es da dem Einzelnen an der Gabe sich in den anderen hineinversetzen zu können. Denn eigentlich ist doch fast jeder zwischendurch mal Autofahrer, Fußgänger und Radfahrer, und jeder macht mal was falsch, pennt an der Ampel, fährt ohne Licht, guckt nicht richtig, geht bei Rot über die Straße.

Autofahrer sind vielleicht per se ein klein wenig uneinsichtig und denken, die Straße gehöre allein ihnen, dabei werden in Berlin schon 14% aller Wege mit dem Rad zurück gelegt. Radfahrer hingegen sollten akzeptieren, dass sie nicht automatisch die besseren Menschen sind, weil sie das ökologisch bessere Verkehrsmittel benutzen. Und schon würde Frieden auf den Straßen herrschen, und wir können uns endlich der heiteren Event-Berichterstattung widmen!