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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

15. 7. 2011 - 23:30

Journal 2011. Eintrag 136.

Der Festzelt-Animateur ist das Böse schlechthin.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.

Heute mit 136 Zeilen Hass aus ganz konkretem, am Freitag am späten Nachmittag erlebtem Anlass.

Das Bierzelt, das Festzelt, das Feuerwehrfestzelt, die Zusammenkunft der Menschen einer kleinen Gemeinde, einer Community, einer Region kann nichts für sie.
Im Bierzelt, im Festzelt, im Feuerwehrfestzelt treffen Menschen unterschiedlichster Art und Denkanschauung aufeinander. Geworfene sind sie, in den Lebensausschnitt einer bestimmten Region Geworfene sind sie.
Und das Bier-, das Festzelt bringt sie zusammen, weil sie ihm nicht entkommen, weil sonst nichts ist. Sie sind nicht einheitlich gestrickt, nicht einheitlich gewirkt, nicht einheitlich gegen oder für den Strich gestriegelt.

Sie haben zu sich und Ihresgleichen und ihrer Scholle durchaus diverse Ansichten. Das was sie eint ist, dass sie nicht weggekommen sind, aus ihrem Herkunftsmilieu, aus dem Bier-, dem Festzelt. Noch. Manche sind noch nicht weggekommen, manche werden noch wegkommen wollen, andere sind weg, wiewohl sie körperlich noch da sind, andere sind da, weil sie an ihrem Fleck etwas bewegen wollen. In jedem Fall sind die, die unbedingt und ums Verrecken nur daseinwollen und nirgendwoansdersseinwollen, gar nicht in der Mehrheit.

Sie sind divers, die Bier- und Festzelt-Besucher, und sie können nichts für sie. Für das Böse schlechthin. Für die Animateure, für die Conférencier, für die Mikrofrongrabscher, für die Rampenschweine, für die Ansagegeilen, für die Witzeerzähler und Possenreißer, für die Bierzeltanimateure, für die Zeltfest-Festzelt-Animateure, für das Böse schlechthin.

Dieser Animateur, dieser Typus Mensch, dieser Typus Mann, dieser Typus gestandener Mann, dieser Typus gestandener Mann mit Mutterwitz und dröhnender Stimme, dieser Animateur könnte, und in anderen Welten ist das möglich, seine Kraft, seine Macht, seine Wirkung dafür einsetzen die Gemeinschaft, die Bierzelt-, die Zeltfest-Community zu erheben.

In anderen Welten geht das, nicht in vielen und nicht oft, aber doch. In Österreich geht das nicht. In Österreich gibt es unter den Bierzeltfest-Animateuren einen Ehrenkodex, der so viel Ehrenkodex ist wie das Satanskreuz ein Kreuz, also ein Anti-Ehrenkodex, ein Ehrlos-Kodex, ein Kodex der Ehrlosigkeit. Und der schreibt vor, in dem schreiben sie sich selber vor, dass sie ihr Publikum, das Zeltfest-Publikum mit dem Schlechtesten und Übelsten, mit dem Gemeinsten und Anlassigsten, mit dem Untergriffigsten und Derbsten zu versorgen haben. Auf dass das Bierzelt- und Zeltfest-Publikum dadurch verlockt werde, das Widerlichste und Gemeinste, das Zotigste und Vorurteilsbelastetste aus sich selber zu schöpfen, und an die Oberfläche treten zu lassen.

Das ist kein kathartischer Vorgang.
Denn die Bierzelt-Animateure lassen das Zeltfest-Publikum mit dem Dreck, den sie aufwühlen, mit dem Mist, den sie aus ihnen rauskitzeln, mit dem Eiter, das sie versprühen, allein; sie lassen sie drin ersaufen.
Der Komiker, der Kabarett-Komiker, der wühlt auch auf, holt auch was raus aus seinem Publikum, das sich auch in einer zeltfestartigen Entität einfindet - und in dem Moment, wo das Aufgewühlte aufgewühlt dasteht und das Festpublikum aufgewühlt dastehen lässt, arbeiten sie damit: Sie ordnen den Dreck ein, sie bezeichnen den Dreck als Dreck und sie bringen die dergestalt Aufgewühlten dazu, den Dreck in sich als Dreck zu erkennen.

Die Zeltfest-Animateure wühlen den Dreck auf. Sonst nichts. Sie schürfen Dreck und Eiter. Sonst nichts.
Sie lassen die Aufgewühlten und Vereiterten damit allein.
Sie lassen sie, das Zeltfest-Publikum allein zurück, über und über besudelt. Und weil niemand gern besudelt dasteht, muss sich das Zeltfest-Publikum den Dreck dann schönreden, nimmt den Dreck dann an, als seinesgleichen, als Meinung, als Attitüde.

Der Festzelt-Animateur ist also das Böse schlechthin.

Bierzelte und Zeltfeste gibt es überall und andauernd.
Sie verstecken sich in Animations-Shows in Medien, in Kaufhaus-Events, selbst in Warm-Ups für große Shows.
Zuletzt habe ich sie als das, was früher Pressekonferenzen waren, erlebt; und die Bierzelt-Animateure, als Conférencier getarnt.
Und heute am späten Nachmittag dann wieder - bei einer Veranstaltung, die sie nicht gebraucht hätte; als Dreinredner, als Mikrofon-Ansichreißer, als Animateure, als Drohfiguren, als Einmischer, als Aufrufer, als Marktschreier.

Die Bierzeltfest-Animateure, die da ihre Aufwühl-Arbeit trieben, haben alle Spielarten die der Kodex der Ehrlosigkeit vorsieht, abgerufen und zum Besten, nein zum Schlechtesten gegeben.
Paternalistische, unzureichend als harmlos getarnte Hyper-Parteilichkeit, die in einem 'Wir gegen Sie', in einem 'Ansässige gegen Andere' kulminierte.
In pure Aggression mündendes Herbeischreien von schierem Wunschdenken, das durch die Wirklichkeit nicht einmal ansatzweise gedeckt werden konnte.
Plumpe sexistische Aufforderungen, die sich in beleidigt-höhnische Beschimpfungen, die jeder Grundlage entbehrten, hineinsteigerten.
Kreischig hochgepitchte Vornamens-Witze, die sich aus der Verlegenheit der eigenen Fehlerhaftigkeit in eine proto-xenophobe Verstiegenheit emporranken mussten.

Dort wo beim Menschen der Würgereflex einsetzt, weil es einfach nicht noch tiefer geht, an in den Schlund hineingestopften Widerwärtigkeiten, dort setzt beim Bierzeltfest-Animateur der nächste, noch grauslichere, noch abgrundtief dümmere, noch faktisch unwahrere und noch menschenverachtendere Gag an.

Der Festzelt-Animateur ist das Böse schlechthin.
Er hinterlässt den Besucher besudelt. Dem bleibt nur dann die Möglichkeit sich dieses Schleims zu entledigen, wenn er ihn als Übel erkannt hat. Der klassische österreichische Bierzeltfest-Besucher besitzt da allerdings ein schwach ausgeprägtes Instrumentarium; je tiefer drin im Land, desto schwächer; je mehr auf solche Events und je mehr auf Scheinstars aus der Telekommunikation angewiesen, desto weniger.

In dieser Notsituation macht sich das Bierzelt-, das Zeltfest-, das Feuerwehrfest-, das Benefiz-Match-Festpublikum dann mit dem Animateur gemein, es schließt sich den Sudeleien an, signalisiert mittels unüberlegten, aus den Untiefen der unbewussten Bäuche drängenden Gelächters seine Zustimmung, auch dann, wenn der eben gereichte Witz, die eben platzierte Ekelhaftigkeit gar nicht den dafür nötigen Gefallen gefunden hat.
Manchmal erwirkt eine falsch erlernte Höflichkeit sozial angepasste Antworten, auch auf ultratiefe Zoten, die es im Code-System der Menschen gar nicht verdienen würden.

Auf diesen Reflexen reitet der Zeltfest-Animateur wie ein DJ auf seinen Musikplatten; er reizt sie aus, mit Laut/Leise-Tricks, mit Singalong-Parts, mit klassischen Refrains. Damit packt er sie an den Eiern. Und weil er sich letztlich nur an die Herren wendet, weil er davon ausgehen kann, dass die Frauen im Zeltfest-Publikum zuerst auf die Männer-Reaktion schauen und sie dann zögerlich imitieren, je weiter im Land, desto deutlicher, packt er sie tatsächlich an den Eiern, wörtlich.
Programm aus den Hoden eben.

Der Festzelt-Animateur ist das Böse schlechthin.
Er macht aus zu Recht im Verhaltenen des Unbewussten versenkten Nachtschattengedanken an die Oberfläche drängelnde giftgasige Lava.
Er lässt sie überfließen und verhindert die schnelle Bearbeitung, die Aufarbeitung, die Beschäftigung. Er lässt sie erstarren.
Er lässt erstarrte Menschen zurück, er tötet ab.
Der Festzelt-Animateur tötet, er stumpft ab. Er hat mehr zum abgestumpften, in selbstbemitleidender Uneinsichtigkeit verharrenden und in inhaltlicher Ausweglosigkeit gefangenen Österreicher-Sein der Österreicher von 2011 beigetragen als so mancher Volkstribun, so manches selbsternannter.

Der selbsternannte Volkstribun arbeitet mit vielen Tricks, die der Zeltfest-Animateur auch verwendet. Der selbsternannte Volkstribun jedoch kommt seinem Publikum zu allermeist aber nur mittels medialer und sonstiger Filter an den Leib. Und kann deswegen nicht so viel aufwühlen, nicht so viel Dreck und Gift raufholen. Und selbst wenn, dann lässt sich das aufarbeiten und bearbeiten; und die Gefahr der Erstarrung ist nicht so hoch.

Der selbsternannte Volkstribun ist... aber das wäre eine andere Geschichte. Er ist in jedem Fall nicht das Böse schlechthin.

Der Festzelt-Animateur ist das Böse schlechthin. Das haben alle, die heute Nachmittag dort waren, wo ich war, zumindest alle, die über ein Instrumentarium gegen das Herauszerren des bösen inneren Gifts verfügen, das haben alle, die Ohren haben um mit ihnen hören zu können, erlebt.
Am eigenen Leib.
Am eigenen, in der Rückschau auf das vorhin Erlebte noch vor rückwirkendem Ekel sich schüttelnden und immer noch ein wenig fassungslosen Leib.