Erstellt am: 30. 7. 2011 - 13:30 Uhr
Tijuana makes me happy
Hanna Silbermayr
von Hanna Silbermayr, freie Text- und Fotojournalistin
"Bienvenidos a Tijuana", krächzt es aus den Lautsprechern des Fliegers. Eine kühle Brise füllt die Nacht. Es schlägt einem der unverwechselbare Geruch der Stadt entgegen. Eine Mischung aus gegrilltem Fleisch, staubiger Erde und salzigem Meer. Das Militär am Flughafen wirkt bedrohlich, doch das Leben ist ruhiger als noch vor ein paar Jahren. Die Stadt im Nordwesten Mexikos, direkt an der Grenze zu den USA, ist berühmt-berüchtigt. Schon Manu Chao besang sie mit den Worten "Tequila, Sexo, Marihuana". Zu diesen Schlagworten gesellten sich in den letzten Jahren jene der Gewalt, des Mordens, des Drogenkrieges. Doch dies ist nur ein Bruchteil dessen, was Tijuana tatsächlich ausmacht.
Hanna Silbermayr
Auf Träumen gewachsen
Die Rasensprenger surren. Im Schatten der Bäume des Parque Guerrero spielen Männer Schach. Nebenan sitzt ein kleines Mädchen in der Wiese. Gedankenverloren versucht es, seinem Zwergkaninchen Gras ins Maul zu stopfen. Der 50-jährige Adalberto Isidro humpelt auf einem Bein durch den Park und verkauft Kleinigkeiten: Kaugummis und Amaranth-Riegel für zwischendurch. Eigentlich kommt er aus Tabasco, einem Bundesstaat im Süden Mexikos, doch das Leben und der amerikanische Traum haben ihn gen Norden getrieben. In der Stadt der geplatzten Seifenblasen ist er gestrandet. Geschichten wie die seine findet man überall in Tijuana. Sie sind geradezu mit dem Ort verwoben.
Hanna Silbermayr
Anfang Juli feierte die Stadt Geburtstag. Gewachsen auf einem Podest von Träumen, zählt sie heute nicht ganz eineinhalb Millionen Einwohner und gehört damit zu den zehn größten Städten Mexikos. 122 Jahre hat sie auf dem Buckel, unglaublich wenig, wenn man an andere Städte gleicher Größe denkt. So jung die Stadt, so frisch und bunt das Leben in ihr. "Tijuana ist das pubertierende Mexiko, unverstanden und kritisiert", bringt es die junge Filmemacherin Cath Cuevas auf den Punkt. Auf den ersten Blick wirkt die Stadt wild und chaotisch. Die Ausgehmeile "Avenida Revolución" im Stadtzentrum etwa zog lange Zeit US-amerikanische Jugendliche an, da sich ihnen hier Freiheiten boten, die sie zu Hause aufgrund der restriktiven Gesetze nicht ausleben konnten. Inzwischen verirren sich aber nur mehr selten Besucher in die Stadt. Die USA haben in den Jahren 2009 und 2010 Reisewarnungen für Mexiko ausgesprochen und so ist der Tourismus auch in Tijuana stark rückläufig. Das Image der Stadt aber bleibt bestehen.
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Tiefgründig und hoffnungsvoll
Bei genauerem Hinsehen zeigt sich Tijuana aber von einer vollkommen anderen Seite. Im "Pasaje Rodriguez", unweit der hektischen "Avenida Revolución", sitzt eine Gruppe von jungen Menschen und musiziert. Demnächst werden sie ein Konzert geben und die Töne müssen sitzen. In der kleinen Passage mit Lokalen und Ateliers präsentieren und verkaufen junge Kreative ihre Werke. Ein Fluchtpunkt inmitten einer Stadt, in der aller Negativ-Schlagzeilen zum Trotz eine tiefgründige und ehrgeizige Generation heranwächst und voller Hoffnung versucht, die Stadt nach ihren eigenen Vorstellungen zu gestalten. Erst im letzten Jahr wurde die Innenstadt mit bunten Wandmalereien versehen.
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So hat sich in den letzten Jahren eine vielversprechende, aufstrebende Künstlerszene etabliert. In ihren Werken setzen sie sich mit dem Leben an diesem so oft kritisierten Ort auseinander. Pedro Gabriel Beas, ein stadtbekannter Musiker, der unter dem Namen Hiperboreal produziert, erklärt, dass dies die erste Generation ist, welche tatsächlich in Tijuana geboren ist, hier aufwächst und das Anliegen hat, die Stadt zu einem positiveren Ort zu machen. Während die Zahl der jungen Kreativen wächst, beginnen Kaffeehäuser, ihre Pforten zu öffnen. Oft dienen diese als Orte des Austauschs und des Arbeitens. Sie sind der Ruhepol einer pulsierenden Stadt und gleichzeitig Ausstellungsort der Kreativität. "Cafe Latitud 32", "Casa de la Nueve" oder "Grafógrafo" sind nur drei der klingenden Namen dieser Kaffeehäuser.
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Vamos a la Playa
Der Bus mit der Aufschrift "Playas" ruckelt kräftig, während er die kleinen Hügeln Tijuanas umfährt und die Stadt Richtung Strand verlässt. Ein alter Mann mit Sonnenhut hält eine Stange mit Zuckerwatte in den Händen. Er wird damit später den Strand auf- und abmarschieren und versuchen, seine Ware zu verkaufen. Der kleine Bub neben ihm starrt immer wieder gebannt auf den Roller am Boden. Dieser gehört dem 21-jährigen Javier Rodelo, der "auf der anderen Seite" des Grenzzauns zur Welt gekommen ist. Er hat die US-amerikanische Staatsbürgerschaft, ist aber trotzdem lieber in Tijuana. "Hier sind die Menschen freundlicher und man hat mehr Freiheiten. Man nimmt das Leben, wie es ist und versucht, alles positiv zu sehen", erklärt er.
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Der Strand liegt eine ungefähr 20-minütige Busfahrt vom Stadtzentrum entfernt. Dort trifft man Menschen von überallher. Tijuana nimmt einen unweigerlich gefangen, darüber sind sich Viele einig. War man einmal hier, wird man immer wieder an diesen magischen Ort zurückkehren. In der Stadt sind alle willkommen, egal, wo ihre Wurzeln liegen. Rassismus ist im Wortschatz der Tijuaneros praktisch ein Fremdwort. Es ist genau das, was junge Menschen wie Javier so schätzen und sie in der Stadt bleiben lässt.
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Es sind nicht der Drogenkrieg und die Gewalt, die das Leben in Tijuana bestimmen. Das ansässige Musikerkollektiv Nortec besang die Stadt etwa mit den Worten "Some people call it the happiest place on earth, others say it's a dangerous place, it has been the city of sin, but you know I don't care", Tijuana makes me happy.
Wenn man die Menschen in Tijuana fragt, was denn das Schönste an der Stadt sei, untermauern sie den Liedtext mit einem knappen "todo - alles".