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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

15. 7. 2011 - 06:12

Lass uns ein wenig albträumen

Lost Highways und schmutzige Strände. Auf den Spuren des Vaters stößt der Kanadier Alex Zhang Hungtai aka Dirty Beaches auf die Havarien des Amerikanischen Traums.

Dream Of My Father

Zunächst denkt man bei Dirty Beaches an Rock'n'Roll-Trash, an heiße Öfen und staubige Straßen, vielleicht an einen Tarantino Film, an wilde Verfolgungsjagden und Neo-Halbstarke mit Schmalztolle und Lederjacke. Aber da sitzt noch jemand im mintgrünen Cadillac mit den abgefahrenen Weißwandreifen - ein geisterhafter Passagier. Es ist der taiwanesische Vater von Alex Zhang Hungtai. Der erfreut sich in Wahrheit im heimatlichen Montreal bester Gesundheit. Aber man muss ja nicht unbedingt physische Präsenz zeigen, um anwesend zu sein. Klarer Fall von Rockabilly Psychosis.

Dirty Beaches

Christian Lehner

Und das geht so: Zeitlebens träumte Hungtai Sr. von einer Rock'n'Roll-Karriere in den USA. Es kam jedoch anders: Army, Frau, Alex. Nun probiert es der Sohn, zieht von Stadt zu Stadt, frisiert die Haare wie Dad, interpretiert den Sound auf seine Weise, dreht Videos von rotierenden Radkappen, rasenden Mittellinien, dem Blendwerk eines Lunaparks. Die Bewegung ist das Ziel. Ankommen ist nicht so wichtig. Zumindest im aktuellen Dirty Beaches Album "Badlands".

Der Rock'n'Roll dieser Platte ist geloopte und selbstgewählte Außenseitermusik und erinnert an durchgeknallte Figuren der Rockgeschichte wie Hasil Adkins, The Cramps oder Suicide, Jimmy Dickinson und TAV Falco, aber auch No Wave Gitarrenattacken, DNA/Arto Lindsay, Roland S. Howard und – last but not least – den Legendary Stardust Cowboy. Dazu passt: Hungtai arbeitet in Hauptsache mit sich selbst, spielt die Kompositionen 1:1 live auf Tape, jagt das ganze Soundgebräu durch bloß einen Verstärker. Zurecht klingt das wie die erste Tonprobe von Sam Phillips im frisch gestrichenen Sun Studio des Gründungsjahres 1950.

"Badlands" heißt die Gedächtnisübung von einem Album mit Widmung an den Vater. Wenn nicht ein Françoise Hardy-Sample für Kühlung sorgt, droht der Motor heißzulaufen. Das Jaulen, Zischen und Zylinderächzen lässt darauf schließen, dass der Maestro, der wirkt wie aus einem Wong Kar Wai Film entführt, ein durchaus problematisches Verhältnis zum verehrten Vater pflegt. Aber das gehört spätestens seit James Dean und Mongomery Clift zum guten Ton hübscher, einsamer Söhne mit sexy Kinngrübchen und Grand Canyon-Faltenstirn.

Dirty Beaches

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Dieser Urkonflikt bewahrt die Platte gottseidank vor allzu lieblicher Vereinnahmung einschlägiger Soundware. So ziehen dunkle Wolken über den „Badlands“ auf und die Reise am Lost Highway gerät zum Albtraum ungezählter Versprechen. Die Sonne brennt, unterm Asphalt lauert die Gewalt als Faustpfand der Freiheit. In der bitterkalten Nacht weden Kakteen zu Dämonen. Und da ist ja auch noch Dad am Beifahrersitz. Apropos David Lynch. In Zukunft will Alex vermehrt Filmusik schreiben. Vielleicht lässt sich der Geist des Vaters ja auf Zelluloid bannen.

Dirty Beaches

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Zusatzstoff: Bitte geben Sie sich den Typen möglichst bald live, falls Dirty Beaches demnächst irgendwo in der Wüste Österreich aufkreuzen sollte. Im Gegensatz zu den bloß optisch Greaser-mäßig agierenden Hipsters in BK, wo Hungtai gerade einen längeren Zwischenstopp einlegt, hat der Exilkanadier tatsächlich einen funktionierenden Doppeldiffuser eingebaut, auch wenn das längst verboten ist. Nennen wir es blöderweise Thrillwave.

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Programmhinweis: Dirty Beaches-Portrait und "Badlands" Review heute, Freitag, in FM4-Connected ab 15 Uhr.