Erstellt am: 15. 7. 2011 - 14:13 Uhr
Rock The Corpse
So richtig geglaubt hatte ich das eh nicht, als sie mir sagten, ich würde Bobby Gillespie am Dienstag um vier an einem noch nicht bekannten Ort interviewen.
Klingt hoffnungslos optimistisch für jeden, der je als Nichtbrite etwas mit Primal Scream zu tun gehabt hat. Nein, ich will der Band nicht Chauvinismus unterstellen, aber damals, als es noch Creation Records gab und jenes Label sich für den nichtbritischen Rest der Welt an Sony verkauft hatte, war Bobby G eben einer jener Typen, die sich aus Prinzip nicht an die multinationalen Abmachungen zu halten pflegten.
Treffen konnte man ihn wenn dann in einem der Pubs an der Regents Park Road, immer umgeben von taktischen SchmeichlerInnen, immer innerhalb der Umlaufbahn seines Ex-Bandkollegen, Label-Chefs und Busenfreunds Alan McGee und scheinbar immer out of it. Wie das so zu seiner Rolle gehörte.
Überrascht war ich also nicht, als ich am Dienstag um halb drei im Zug nach London sitzend erfuhr, dass das Interview nun um doch erst um acht, und zwar im gottverlassenen Wembley stattfinden würde.
Weil ich ein umgänglicher Mensch bin, bin ich auf Wunsch der professionellen Einfädlerin dieser potenziellen Begegnung sogar zwei Stunden früher rausgefahren. Sie hatte da so eine schwer nachvollziehbare Ahnung, dass vielleicht alles doch noch früher passieren würde.

Robert Rotifer
Immerhin gab mir das die Gelegenheit, zusammen mit den zwei eingeflogenen deutschen Kollegen (einer von ihnen Ralph Niemczyk, der damals '91 für die Spex eine Titelstory zu Screamadelica geschrieben und das alte Heft mit dabei hatte) die Atmosphäre der Wembley Arena aufzusaugen - einer konvertierten Schwimmhalle aus den Dreißigern, anzusehen, die sich auch heute noch so anfühlt und anhört, aber nach Schulturnsaal riecht, seit sie einen neuen Gummiboden verlegt haben.
Die Leute, die da hereinkamen, sahen überhaupt nicht nach den 30- und 40-Somethings aus, die man sich bei Primal Screams aktuellen Revival-Aufführungen ihres 20 Jahre alten Screamadelica-Albums erwarten würde. Was da gesittet hereingeströmt kam, war ein erstaunlich sauberes Teenager-Publikum wie bestellt zum Casting-für ein amerikanisches High School Drama.

Robert Rotifer
Wie sich herausstellte, hieß die Veranstaltung, auf der wir da unversehens gelandet waren, „RockCorps“, also eine Mischung aus „rock corpse“, der Rock-Leichnam, und „corporate rock“ - ein sehr ehrliches Wortspiel immerhin.
Es ging hier nämlich um die Vermarktung eines Mobiltelefonnetzes im Sinne einer unfreiwillig düsteren Science Fiction-Fantasie: Jugendliche lassen sich unter dem Logo/der Farbe dieser Telefoniemarke dazu einspannen, auf PfandfinderInnenart gute Taten zu begehen und bekommen als Gegenleistung dafür vom Konzern ausgewählte Popkultur zur Konsumation vorgesetzt.
Plus ein Gratisgetränk ihrer Wahl.
„Give, Get Given“, wie es der Slogan unter einem Bild Bobby Gillespies grenzbiblisch sagte.
Der Programmzettel an der Wand las sich folgendermaßen:
Eliza Doolittle
TBC
Kelis
Professor Green
Primal Scream
Diddy – Dirty Money
Ob er jetzt mit uns sprechen würde oder nicht, das konnte kein leichter Abend für Bobby Gillespie werden.
In einem anderen Kontext hätte es eine nostalgische Reise in eine Zeit werden hätte können, als das Wort „community“ noch nicht den MobilnetzpfadfinderInnen gehörte und ein bisschen Bierwerbung auf einem Festival schon als unverzeihlicher Sellout galt. Auf einem Papierzettel an einer Säule in der Wembley Arena sah es dagegen eher wie eine vorprogrammierte fatale Frontalkollision der naiven Neunziger mit der Realität der Neuen Musikwirtschaftsordnung aus.
Auch nicht uninteressant.

Robert Rotifer
Wer am Ende TBC war, erfuhren wir übrigens nie, denn in der Zwischenzeit hatte unsere beharrliche Einfädlerin unter Einsatz all ihres Einfädlerinnengeschicks für uns alle AAA-Pässe besorgt und uns in die gottverlassenen Eingeweide der gottverlassenen Wembley Arena eingeschleust.
Primal Screams Tourmanager deponierte uns in einem kahlen, fensterlosen Raum, wo die Roadies einander ihre Erfahrungen mit Fluglinien vortrugen (Rock'n'Roll ist ein aufregendes Business).
Auf einem der Tische lag die Setlist für den Gig: MOVIN ON UP, LOADED, COUNTRY GIRL, JAILBIRD, ROCKS. 5 Nummern, die 35 Minuten lang die leblosen Glieder des Rockcorpse schütteln sollten.

Robert Rotifer
Irgendwann, bedenklich nahe an der Auftrittszeit, als keiner von uns, nicht einmal mehr die Einfädlerin dran glaubte, glitt dann tatsächlich noch ein stilgerecht grünlich bleicher, in Jeans, ein Schlangenhauthemd und schwarzes Sakko gehüllter Bobby G in unseren Bunker.
„Wie in einem Lars von Trier-Film ist das hier“, sagte er, der geübte Eisbrecher, und war von da an eine Dreiviertelstunde lang eloquent und charmant und gescheit mit dem nötigen Quäntchen Selbstbescheidung, um einen vergessen zu lassen, wie lange man gerade auf ihn gewartet hatte.
Ein bisschen was davon wird demnächst auf diesem Sender zu hören sein, ausschnittweise wohl auch in meiner Sendung am kommenden Montag.
Bleiben wir einstweilen bei der Beschreibung des folgenden Kurzkonzerts, das Gillespie treffend den „Job“ nannte: Schade, dass Jessie J nicht da sei, meinte er (sie hat sich vor einer Weile den Fuß gebrochen), die hätte er selber gerne gesehen und für die seien wohl auch all diese Kids gekommen (Anm. die Kids hatten keine Wahl, das ist der Punkt).
Er freue sich auf jeden Fall auf den Job, weil es sicher Leute da draußen geben würde, die sowas wie Primal Scream noch nie gehört hätten und eine neue Erfahrung davon mitnehmen könnten.

Robert Rotifer
Als wir unsere Sitze einnahmen, wurde schlagartig klar, mit wieviel Zweckoptimismus Gillespie gesprochen hatte.
Professor Green ließ gerade seine letzten paar Reime fallen, da kam eine kontemporäre Entsprechung von Conny und Peter auf die Bühne, er im silbergrauen Doppelreiher, sie im weißen Kleidchen, und fragte die paar Zigtausend MobilnetzpfadfinderInnen, ob sie ein bisschen Musik vom DJ hören wollen.
Sie wollten, wenngleich von jedem bangenden Tune nur etwa eine Minute bis zum Einsetzen wachsender Rastlosigkeit, welche der DJ jedesmal souverän abfing, indem er ein herzhaftes „Londoooon!“ oder ähnlich Erhellendes in die Menge brüllte und ohne verfehlte Ambition zu Mischung oder Übergang das nächste Stück nichtssagende Scheiße in den Widerhall des trockengelegten Schwimmbads schleuderte.
Die Bühnenplattform drehte sich um 180 Grad, und als nächstes kam Kelis zum Vorschein.
Sie wusste sichtlich, wie solche Dinge zu laufen haben, knödelte kehlig zum Backing Tape, der Drummer neben ihr spielte die Rolle einer animierten, über dem Backing Track unhörbaren Attrappe, aber alles egal, denn damn right, mein Milkshake ist besser als deines, wie uns Kelis in ihrer Anleitung dazu lehrt, wie Mädchen die begehrten Boys zu sich in den Hof locken können, wofür sie allerdings – weil „charge“ sich annähernd mit „yard“ reimt – schon was verrechnen muss (keine Illusionen, Empowerment ist was ganz Anderes, es geht hier bloß um verfeinerte Masturbationsdienstleistung als soziales Grundkapital im patriarchalischen System).
Das gefiel auch den Typen in den Sitzriesenhosen neben mir, die einander zu Kelis symbolischen Reimen die männliche Homie-Schlapphand zuwedeln.
Alles lief also nach Plan, aber richtig glücklich klang Kelis dabei nicht, sie ist schließlich nicht ganz so dumpf, wie sie da tat und unterhielt irgendwann einmal vor gefühlten Lichtjahren die Ambition, eine Soulsängerin zu sein.
So hat sie mir das jedenfalls einst ins Mikro gesagt. Das langfristige Ziel ihres Schaffens war damals – zehn Jahre wird’s schon her sein – jedenfalls nicht die in ihrer Unablässigkeit allerdings durchaus beeindruckende Bündelung der hirntotesten und seelenlosesten Sounds des Universums in einen knapp halbstündigen Bühnenauftritt.
Kelis sei „fucking sick!“ gewesen, sagt nachher eine Konzertbesucherin an der Bar zur anderen, was selbstverständlich als größtmögliches Kompliment zu verstehen ist. Und als wollte sie noch einen draufsetzen, kotzt eine andere prompt neben uns auf den Boden. Die Leute mit dem Mopp sind sofort zur Stelle. Wir gehen wieder zu unseren Plätzen.
Auf der Bühne vollziehen gerade die Primal Scream-Roadies ihr geschäftiges Ritual (Gitarre anschnallen, anschlagen, ablegen, Mikros checken, noch einmal Gitarren anschnallen, anschlagen, noch einmal Mikros checken...), die ganze klassisch hybristische Revierdemonstration der Maschinerie Rockband, während rund um uns spürbar die Unruhe wächst.
In der Zwischenzeit ist auf dem Großbildschirmen derselbe Mammutwerbespot des Mobiltelefonnetzbetreiber schon zweimal in voller Länge gelaufen: Wir sehen Jugendliche bei der Gärtnerarbeit und hören dazu, dass es darum gehe „to give something back to the community.“
Wieso eigentlich, was haben die der Community denn weggenommen?
Da graben und pflanzen und Unkraut-jäten sie also wie die Sträflinge, alle unter dem Logo des Telefonnetzes, und ich frage mich, ob Orwell je geahnt hätte, dass das System seine Subjekte einmal auf derart durchtriebene Weise instrumentalisieren könnte.
Ich sage mir vor, dass die Jugendlichen um mich herum diesen Versuch, mobile Telefonie durch ihre freiwillige Arbeit assoziativ mit Wohltätigkeit zu verknüpfen, durchschauen und verlachen, aber Konditionierung runs deep.
Das hier ist also, was David Cameron die big society nennt. Fucking sick.
Die bierbäuchigen Männer in den schwarzen T-Shirts haben indessen endlich an ihren Kabeln und Instrumenten fertiggenestelt, und Conny und Peter kommen auf die Bühne, um uns gleichermaßen als Entschuldigung für die folgende Darbietung mitzuteilen, dass der Form halber sehr wohl auch eine Rockband dazu gehöre. Also hätte man gleich die „biggest band in the world“ engagiert...
"Primal Scream!"

Robert Rotifer
Ein bisschen Kreischen, ein bisschen Buhen und merklich viel Stille in der Arena. Bobby Gillespie stelzt in schwarzen Glockenhosen und goldenem Hemd auf die Bühne, die offenen oberen Knöpfe geben freien Blick auf seinen von der epilierten Generation gewiss nicht kritiklos betrachteten, freigeistigen Brustpelz.
Andrew Innes trägt die für alternde Rocker reservierte Kombo aus schwarzer Lederhose, langen Zoten und die Gesichtsfalten beschattender Mütze. Mani, der damals bei den Stone Roses immerhin selbst einmal ein echter Popstar war, hält sich so nah wie möglich an seinem Verstärker auf und „Little“ Barrie Cadogan spielt seine Lebensrolle als universell einsetzbarer, Richards/Wood/Thunders an der Lead-Gitarre.
Für fast alle hier im Publikum ist das Papa-, oder eigentlich sogar Opa-Musik, zumal Primal Scream ihre Songs so beharrlich auf das Abrocken zu den immergleichen drei Akkorden reduzieren, dass sie als nackte Remakes von „Sympathy For The Devil“ vor uns liegen. Bis auf die letzte Nummer natürlich, die hat ein klein bisschen andere Bezüge.
Warum Bobby Gillespie und Primal Scream sich das antun, weiß ich nicht, schließlich finden sich in ihrem Oeuvre reichlich Sounds, mittels derer sie sich vom Rest des Line-Ups durch weit mehr als nur ihren Anachronismus abgrenzen könnten.
Die Ironie ist ja, dass vor 20 Jahren beim Erscheinen von Screamadelica ausgerechnet diese Band – vor allem dank Andy Weatheralls Mixkünsten – für die radikale Dekonstruktion des Konzepts der Rockband zu stehen schien.
Aber dann höre ich die Worte „rocks off“ (meinend die von den Nasenhaaren baumelnde Koksbrocken, die es abzuschütteln gilt) sich in ein wiederholtes „fuck off“ verwandeln - vermutlich bloß eine Sinnestäuschung im Strudel des Hallenbad-Sounds - und ich frage mich, ob die Brüskierung einer Generation durch die andere via Rock'n'Roll auch in die umgekehrte Richtung als die historisch gewohnte legitimerweise funktionieren kann.
Immerhin repräsentieren Primal Scream in diesem Kontext, in diesem Mausoleum des Rock-Leichnams, den einzigen Moment der Verstörung, egal wodurch. Und ja, es gibt schon auch junge Leute hier, die demonstrativ tanzen, während die Mehrheit der ausgedünnten Menge rund um sie der Band die kalte Schulter zeigt.
Wie viel davon am 5. August im Wiener WUK (nicht Arena, wie ursprünglich gedacht) zu spüren sein wird, kann ich aufgrund der fünf in der Wembley Arena gespielten Songs eigentlich nicht sagen.
Aber auf dem Weg zur Underground hört man die eine oder andere lautstarke Diskussion darüber, was das nun gewesen sein mag (für Diddy bin ich nicht geblieben, sorry...).
Die RockCorps-Leute ließen noch darum anfragen, sagt die Einfädlerin am Ende, ob wir in unseren Rezensionen auch erwähnen könnten, welche besondere Art von Veranstaltung das war.
Allerdings! Für einen guten Zweck immer.