Erstellt am: 14. 7. 2011 - 22:27 Uhr
Journal 2011. Eintrag 135.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll.
Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit einem Eintrag, der auch ins Fußball-Journal '11 gehört, weil er sich an einer heiklen Schnittstelle bewegt. Denn allzugern und -oft wird der Sport als vorbildhaft in Sachen Integration herangezogen. Der Fall des Rotzbuben Marko Arnautovic zeigt jedoch, wo da in Österreich die Grenzlinien zwischen Toleranz, Bornierheit und klassischen Vorurteilen gezogen sind.
Es ist recht egal, ob das Interview im Seitenblicke-Magazin frei erfunden ist, wie es der Interviewte, der prominente Jungkicker Marko Arnautovic auf seiner Website angibt, oder tatsächlich journalistisch korrekt abgewickelt wurde, wie es das Magazin behauptet belegen zu können: der auf dessen Stirn ein deutliches, kreisrundes und grelles O (für Opfer) auszumachen ist, der heißt Arnautovic. Denn aus der Nummer kommt er nicht mehr raus, die mediale Rezeption ist eine Katastrophe, das ohnehin schon angeschlagene Image des jungen serbo-österreichischen Nationalspielers und Traumtänzers ist im Keller.
Denn von diesem Interview, egal ob es überhaupt stattfand (was recht wahrscheinlich ist), egal ob es unter Verschleierung des Verwendungszweckes quasi erschwindelt wurde oder völlig regulär abgewickelt wurde, wird auf ewig die Geschichte von den Silikon-Titten hängen bleiben.
Das hat auch mit der offensiven PR, die das Seitenblicke-Magazin hinter diese Veröffentlichung gesteckt hat zu tun - und der Unfähigkeit der Medien (von Käseblatt bis Qualitätszeitung), das ganze Interview zu lesen anstatt sich mit den vorgegebenen Häppchen zu begnügen.
Die Standard-Umsetzung referenziert, wie hier erfolgt, auf den Traumfrau-Sager, dann auf die coole Kleidung und die vielen Autos und zum dritten auf den Satz "Wenn die mich im Nationalteam nicht mögen, dann ist das deren Problem." Und imaginieren, wie das Gratis-Blattl heute dann einfach irgendeine tätowierte Schwarzhaarige, am besten halbnackt, dazu.
O für Opfer
Die Passagen in denen er seine Kauflust und seine Konsumraffgier ironisiert und relativiert, von der Familie, die ihn da runterholt, fehlen. Die das Nationalteam betreffende Passage ist aus dem Zusammenhang gerissen, mit den Nicht-Mögern sind weder ÖFB noch Kollegen, sondern einzelne Neider von außerhalb gemeint.
Frage: Wie sieht ihre Traumfrau aus?
Arnautovic: Sie muss tätowiert sein, das steht bei mir an erster Stelle. Und schwarze Haare und Silikonbrüste haben. Außerdem muss sie mich selbstverständlich so nehmen, wie ich bin.
Frage: Blondinen haben keine Chance bei Ihnen?
Arnautovic:Doch - meine Freundin ist blond.
Frage: Und wie groß sollten die von Ihnen favorisierten Silikonbrüste sein?
Arnautovic: Puh, da kenne ich mich nicht aus. Aber meine Freundin hat auf jeden Fall welche.
Aber das ist alles weniger relevant.
Wichtiger ist der Subtext, der, hochsüffisant, nicht nur von Nacktmodel-Insbildrücker-Medien, sondern auch von der "seriösen" Presse angeschlagen wird. Man mokiert sich über die Diskrepanz, die zwischen den Macho-Tönen im umstrittenen Interview angeschlagen werden und der familiengerechten Bravheit von Arnautovic' Twitter-Account.
Und damit sind wir im Herzen des Problems.
Denn genau diese Diskrepanz ist es, woran wir, die Mehrheits-Österreicher, seit Jahren kiefeln; ohne Lernerfolg wohlgemerkt.
Genau diese Diskrepanz kriegen wir nicht auf die Reihe. Für unser Verständnis ist das ein unmöglicher Widerspruch. Der hiesige Schwiegersohn-Kandidat hat entweder ein braver Familienmensch zu sein oder ein Hallodri, den man schon noch biegen wird - beides zusammen geht nicht.
In anderen Kulturen geht das, problemlos.
Gelglattpolierte großgoscherte Balkan-Burschen
Und genau das nicht kapieren zu wollen ist unser Problem.
Und daher kommt dieser abgrundtiefe Hass, diese Verachtung für den Prototyp des unerwünschten "Ausländers", des anlassigen, gelglattpolierten, großgoscherten Burschen von Balkan oder aus der Türkei, der uns mit seiner lauten Sprache, seinem tuntig-glitzernden Auftritt, seiner Neigung zum Aufbrausen, seiner Missachtung aller Regeln im Umgang mit Frauen, seiner prolohaften Attitüde, was lächerliche Statussymbole betrifft, unendlich auf die Nerven geht.
Und zwar jedem von uns, auch den Gutwilligsten, Antixenophobsten und Korrektesten, auch jenen, denen klar ist, was eine solche Punzierung bedeutet. Nämlich eine unzulässige Pauschalierung und eine unzulässige Klischee-Zuschreibung. Denn natürlich sind diese speziellen Burschen auch innerhalb ihrer Communities nur eine Minderheit.
Da aber jede Äußerung gegen die Rotzlöffel mit Ex-Yugo oder türkischem Hintergrund sofort (und auch zurecht) eine klare politische Zuordnung erhält, schlucken alle brav runter und stauen ihren Ärger auf. Und der entlädt sich dann in Fällen wie dem hier. Der entlädt sich dann über Marko Arnautovic.
Der schlecht beratene Fußballer mit der Fettnapf-Garantie
Marko Arnautovic, ein toller Fußballspieler, aber auch ein ganz schlecht beratener, was seinen öffentlichen Auftritt betrifft, hat seit einiger Zeit das Opfer-O auf der Stirn prangen - jeder halbgare Fußball-Journalist schlägt auf ihn ein.
Und mit dem Seitenblicke-Interview wird sich die Einschlagtruppe erweitern - Arnautovic wird damit zum mehrheitsfähigen Watschenmann.
All das, was sich abertausende Runterschlucker-Österreicher den schlimmen Buben in ihrer Heimatgegend nicht sagen trauen, das prasselt jetzt auf den Silikontitten-Fan ein.
All der aufgestaute Hass, nein, eigentlich Neid auf dieses Anders-Sein, auf diese kulturelle Möglichkeit tiefen Familiensinn und abgrundtiefen Sexismus zu vereinen, erwischt den Modetoren jetzt mit aller Wucht.
Er ist der Prototyp des integrationsunwilligen Rotzlöffels. Seine Arbeit, seine Leistung zählt da zwölfe: Fußballspieler werden angeneidet wie Politiker, ihr Verdienst wird dem von Gangstern gleichgesetzt, Arbeit ist so ein Spiel auch nicht, und wer dabei gesehen wird, dass er nach Mitternacht etwas trinkt, wird vernadert.
Arnautovic ist das ideale Opfer.
Vor allem, weil man von ihm, dem Unbelehrbaren, dem medial unbeleckten und Ahnungslosen erwarten kann, dass er in jede Medien-Falle tritt, also auch weiterhin ein ideales Opfer sein wird.
Der ÖFB hat - mit der Ausrede Arnautovic - einen Schwenk in seiner Secondos-Politik unternommen. Nachdem es eine Zeitlang wirkliche Bemühungen gegeben hatte, fährt man jetzt eine Art FPÖ-Kurs: die 'Ausländer' sind schuld, eine Bande die von Arnautovic, Pehlivan und Kavlak angeführt wird.
Dass im U20-WM-Kader nur mehr drei Spieler mit (teils schon recht weit zurückliegenden) Migrations-Spuren zu finden sind, ist da ein erster Fingerzeig. Die Tendenz bei deutschen oder schweizer Jugendteams ist im Übrigen genau gegenläufig.
Und Arnautovic wird, so nicht sein Verband (nein, das ist ein Scherzerl, der ÖFB arbeitet da teilweise mit den Medien zusammen an seiner Demontage, der wird den Teufel tun) oder sein Verein ihn mit einer diktatorischen Medien-Supernanny versehen, ihnen diesen Gefallen auch weiterhin tun.
O wie Opfer eben.
Der Elchtest für die Integationsfähigkeit
Nun bleibt das aber keine Narren-Episode aus dem Society-Umfeld.
Der Umgang mit Arnautovic wird vielmehr zum Elchtest werden.
Denn zur Integration gehören nicht nur "Andere", die sich "anpassen", sondern eben auch Wissen um die Anderartigkeit der Anderen und die Einsicht, dass sich allzu Menschliches (zum Beispiel Rotzbuben-Blödheit der Marke Arnautovic) mit giftig-galligem Oberlehrer-Gerede in Luft auflösen wird.
Trottelbuben gibt es nämlich in jeder Größe, jedem Gewicht und von jeder Herkunft. Genug, in ganz Österreich; Manchmal verstecken sie sich auch hinter zurückgegelten Frisuren und schick-hellen Schnösel-Hemden. Und haben genau denselben Tattoo-Titten-Dreck abzusondern wie das Opfer Marko.
Ganz ohne das daraus eine mediale Treibjagd entstehen könnte. Weil es in diesen Fällen kein politisches und gesellschaftliches Interesse gibt einen Prototypen zu schaffen, an dem wir unsere Ängste abarbeiten können.
Solange Arnautovic da als Sündenbock dienen muss, solange wird Österreich den Elchtest nicht bestehen.