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Markus Keuschnigg

Aus der Welt der Filmfestivals: Von Kino-Buffets und dunklen Sälen.

14. 7. 2011 - 12:48

Friedhof der Kuscheltiere

Alles hat ein Ende. Nur Harry Potter, der hat zwei. Jetzt im Kino: Das Finale der erfolgreichsten Filmsaga aller Zeiten. Alohomora!

Ein bisserl fühlt sich das ja schon an wie der Tod eines geliebten Haustiers. Bei genauer Überlegung ist der Blitz-vernarbte Harry Potter auch ungefähr so alt geworden wie der Lumpi von nebenan. 13 Jahre, 14 Jahre. So in etwa. Genug Zeit jedenfalls für mich, eine starke emotionale Beziehung zu diesem herrlich schauerromantischen und zutiefst englischen Schneekugeluniversum mit all seinen Hippogriffs, Basilisken, Riesenspinnen, Geheimbünden, Verrätern und Herzensfreunden aufzubauen. Zum ersten Mal begegne ich Potter wie viele andere auch Ende der Neunziger-Jahre: auf einer Rasenfläche vor meinem Elternhaus verschlinge ich die ersten beiden Bände, zähle auf meinem vor sich hin knisternden 486er-PC (das laubfroschgrüne, lustig vor sich hinblickende Wählmodem signalisiert mir: Zukunft!) die Tage, bis ich endlich weiter lesen kann, in Band drei, vier, fünf. Auf, gen Unendlichkeit. Damals schwöre ich mir, sollte die Rowling jemals aufhören zu schreiben, aufhören mir Geschichten aus dieser Welt zu erzählen, dann verbrenne ich ein Foto von ihr und schrei: Avada Kedavra! Jetzt hat die Milliardärin mit dem Desperate Housewife-Gesicht tatsächlich ihr Amt nieder gelegt. Und irgendwie ist es mir egal. Ich sage mir: lassen wir Potter reifen wie einen g’schmackigen Käselaib und irgendwann wird er dann schon wieder wo rausgerollt werden und auf der Zunge zergehen.

Harry Potter, dreckig

Warner Bros

Dirty Harry
Harry, Ron und Hermine warten auf das Finale

Warner Bros

BFF

Potter Facts

  • Für die Szenen mit den Jungzauberern war immer ein Zahnarzt am Set anwesend um eventuell ausfallende Milchzähne zu ersetzen
  • 588 Sets wurden für die Harry Potter-Filmreihe kreiert
  • In Robbie Coltranes Hagrid-Bart haben sich ein Fruchtriegel und ein Mini-Ventilator verfangen. Beide mussten heraus geschnitten werden.
  • 25,000 Kleidungsstücke wurden für die Harry Potter-Filme hergestellt.
  • Die Leavesden Studios wurden 1940 als Flugfeld errichtet.
  • 160 Brillenpaare und 70 Zauberstäbe hat Daniel Radcliffe als Harry Potter verschlissen.
  • In die Zauberbesen wurde - wie beim Flugzeugbau - Titanium eingearbeitet, um sie leicht zu halten.
  • Die Waggons des Hogwarts-Express datieren aus den 1950er-Jahren.
  • Der Stuhl von Albus Dumbledore wurde vom Thron in der Westminster Abbey inspiriert.
  • 22 Wochen wurde am Set des "Ministry of Magic" gearbeitet. Es ist das größte Set der Harry Potter-Filme.

Fags & Fries

Als ich letzte Woche in London weilte, trug diese hysterische Stadt Trauerflor. Die großen Zeitungen druckten Analysen und Statistiken, wie viele von Hundert sich eigentlich nach Hogwarts wünschen würden und ob das nicht Realitätsflucht und Infantilismus und so weiter sei. Mir ist das alles wurscht. Lieber bewundere ich die Tausenden Camper am Trafalgar Square, die auf die Weltpremiere des letzten Potter-Films warten und alldieweil Transparente wie „We survived the Battle of Hogwarts“ auf Pappendeckel malen, sich gegenseitig für die feschen Hogwarts-Umhänge und Dobby-Plastikmasken komplimentieren und bei jedem vorbeifahrenden Doppeldeckerbus mit Potter-Werbung juchzen und schreien.

Gryffindor-Wand in London

Markus Keuschnigg

Hufflepuff-Wand am Trafalgar Sq.

Popkultur ist schon was Schönes, weil die Kunst zur Kultur und dann zum Phänomen wird. Potter, das ist so viel mehr als ein paar Bücher und Filme, es ist eine Herzenssache, eine Philosophie, eine Einstellung. Selbst die zynischen Journalisten, die beim Pressekonferenz-Behemoth vor dreiundzwanzig anwesenden Talents andächig schweigen und lauschen und träumen, scheinen sich bewusst zu sein, dass da grad etwas ziemlich Anmutiges beerdigt wird. Mir läuft eine Träne über die Wange als der edle Michael Gambon erzählt, dass er unter seiner Dumbledore-Robe immer eine Gürteltasche „with fags and a lighter“ spazieren getragen hat und dass er sich immer wieder „fries and other food“ in den Rauschebart gesteckt hat um die Maskenbildner zu pflanzen.

Harry Potter-Fans

Markus Keuschnigg

Mehrere Tage vor der Weltpremiere campieren bereits Hunderte Potter-Fans am Trafalgar-Square. Zelte durften sie auf Weisung der Stadtaufsicht nicht aufschlagen. Im Regen kommt man sich allerdings näher, erzählt man sich.

Potterland ist abgebrannt

Und jetzt also der letzte Film, das Potter-Finale, wieder inszeniert vom tollen Briten David Yates, der seit Harry Potter und der Orden des Phönix inszeniert und das ehemalige Bonbon-Entertainment in ein nobles, feist stilisiertes Schattenmonster verwandelt hat. Was mir an seinem Zugang immer schon gefallen hat, ist, dass er keine Beweisführungen mehr braucht: keine Ewigkeitsflüge durch Hogwarts, kein Draufhocken mehr auf den Ritualen, keine Erklärungen, wie diese Welt denn funktioniert und wieso der Zuschauer jetzt eigentlich verzaubert sein sollte. Er nimmt diese Welt als selbstverständlich an, als gäb’s keine andere Wirklichkeit als eben diese. Er vertraut seinen Figuren, gibt ihnen Zeit und Raum, um sich zu entwickeln. In keinem anderen Film der Reihe war das so deutlich fühlbar wie in Harry Potter und die Heiligtümer des Todes – Teil 1, in dem die Helden-Triangel querfeldein flüchten muss, in einem kleinen Zelt ausharrt, sich die Psychen aneinander reiben. Da wird dann gestritten und gekeift, zwischen spinnenästigen Bäumen wie aus einem Hammer-Horrorfilm; und während der Nebel über die atemberaubend kargen, herbstlichen Nobel-Landschaften wabert, tanzen Harry und Hermine zu einem Nick Cave-Song. Stillstand ist hier nicht Tod und Kontemplation kein Kassengift mehr.

Im zweiten Teil des Finales freilich steht alles im Zeichen der großen Schlacht um Hogwarts. Die Schlinge um Voldemorts Hals wird enger, weil the boy who lived immer mehr seiner Horkruxe findet und zerstört, in denen der dark lord Teilstücke seiner Seele verstaut hat. Irgendwann, als er sich mit seinen Todessern vor Hogwarts massiert, dessen Gründe von der göttlichen Minerva McGonagall (Maggie Smith) und ihren Professorenkollegen vermittels eines Schildzaubers abgeriegelt worden sind, weiß man auch, finaler wird’s nimmer. Und dann fällt der Bann und der Himmel blitzt in allen Zauberspruchfarben und die Kamera fliegt durch die Schlacht der Schlachten, zwischen den Riesen und Spinnen und Guten und Büsen hindurch. Die Musik von Alexandre Desplat gibt sich derweil angemessen hymnisch und angemessen abgestimmt auf das ganze Dunkelmunkeln.

Lord Voldemort

Warner Bros

Perfektes Farbenspiel: Der dunkle Lord bereitet sich auf seinen Angriff vor...
Voldemort greift an

Warner Bros

...geht in die Offensive...
Voldemort gegen Harry Potter

Warner Bros

...und kämpft im Finale...
Harry Potter gegen Voldemort

Warner Bros

...gegen Harry Potter.

Goodbye my love, goodbye

Zwei Stunden lang darf man sich verabschieden, von der angenehm dementen Luna Lovegood und ihrem Vater Xenophilius, von Lucius Malfoy und seinem gefallenen Sohn Draco, von Hagrid, McGonagall, Dumbledore und all den anderen. Ganz klar ist aber, dass dieser Film weder Ron, noch Hermine und nicht mal Harry Potter gehört. Die Absolutismen von Gut und Böse, die brechen und der Schwere des Konflikts in sich zusammen: Yates bereitet den unwahrscheinlichen Helden eine Bühne. Neville Longbottom mausert sich vom Tollpatsch zum heldenhaften Widerstandskämpfer, der schließlich den alles entscheidenden Letztschlag anbringen wird. Und Severus Snape, dieses zischelnde Biest von einem Professor, dem Alan Rickman mit seiner Sprachmelodie und seinen kontrollierten Bewegungen einen ikonischen Charakter verliehen hat, gibt sich als tragischste Figur des Potter-Universums zu erkennen.

Severus Snape

Warner Bros

Neue Helden braucht das Land: Severus Snape und...
Neville Longbottom

Warner Bros

...Neville Longbottom.

In seinen großen Momenten, da wurde mir ganz flau im Magen, da konnte ich kaum mehr grad schauen durch meine gigantomanischen 3D-Brillen. Im Besonderen die Achterbahnfahrt durch den Gringotts-Untergrund, die bedrohlich aus der Leinwand schwebenden Dementoren und freilich das Farb- und Bewegungsgewitter der finalen Schlacht zwischen Harry und Lord Voldemort, werden so räumlich erfahrbar. Und dann, ganz am Ende, wenn alles entschieden ist, dann klärt sich die Farbpalette des großartigen portugiesischen Kameramanns Eduardo Serra plötzlich auf: in einem Epilog zeigt uns Yates einen Augenblick aus der Zukunft. Erneut laufen Kinder durch die Wand im King’s Cross-Bahnhof, erneut landen sie mit ihren Eltern am Bahnsteig 9 ¾, erneut hüpfen die Schokoladenfrösche über die Fensterscheiben des Hogwarts-Express. Yates knüpft damit an den ersten Film an, lässt dann doch ein bisserl Nostalgie zu, durch meinen Kopf sausen die Erinnerungen an all die vielen Momente mit diesem Universum und auf der Tonspur tributiert Desplat das gewaltige Hedwigs Theme von Komponistenlegende John Williams.

Drache in Gringotts

Warner Bros

Die 3D-Flucht aus Gringotts inklusive Drachenritt in eye-candy der Güteklasse A

Autorin Rowling hat mittlerweile ihre Internet-Plattform Pottermore angekündigt. Zusatzinformationen und Mini-Erzählungen will sie dort veröffentlichen, im 2.0 Modus Operandi. Eh schön. Aber die eigentliche Geschichte, die schreibt sich sowieso in mir weiter. Potter, als wir uns zum ersten Mal getroffen haben, hat sich ein Teil deiner Seele an der meinigen fest gezurrt. Wir schwingen dieselben Zauberstäbe sozusagen. Fare well. Und rest in peace. Am Friedhof der Kuscheltiere.