Erstellt am: 14. 7. 2011 - 13:39 Uhr
Europäische O-Töne
- O-Töne - noch bis 25. August jeden Donnerstag um 19.30 Uhr in den Innenhöfen des Museumsquartiers in Wien. Bei Schlechtwetter in der Arena21.
- Am 28. Juli liest übrigens der Wortlautjuror Clemens Setz aus seinem Buch "Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes", der auch bald mit uns auf Gullivers Reisen unterwegs ist.
- Das ganz Programm findest du hier.
Das sommerliche Literaturfestival O-Töne hat in den letzten Jahren immer österreichische AutorInnen als Open-Air-VorleserInnen eingeladen. Heuer präsentiert es jeweils ein österreichisch-europäisches Double-Feature.
Am Donnerstag, 14. Juli, wird neben Linda Stift aus der Steiermark Melinda Nadj Abonji Platz nehmen.
DAPD
Bis vor kurzem war die ungarisch-serbische Schriftstellerin aus der Schweiz kaum jemandem ein Begriff. Seit sie allerdings im Herbst 2010 sowohl den Deutschen als auch den Schweizer Buchpreis erhalten hat, kann sie sich vor Interviewanfragen und Leseveranstaltungen kaum retten.
Jung und Jung
Ausgezeichnet wurde sie für ihren zweiten Roman "Tauben fliegen auf" (2010), der den Zerfall Ex-Jugoslawiens in der Geschichte einer Immigrantenfamilie spiegelt. Dabei schöpft die Autorin auch viel aus der eigenen Biographie.
Dazwischenleben
Als Fünfjährige kommt Nadj Abonji 1973 gemeinsam mit ihrer Familie aus Serbien in die Schweiz. Aufgewachsen ist sie in der Provinz Vojvodina, wo viele Angehörige der ungarischen Minderheit leben. In der Schweiz bauen sich ihre Eltern schließlich ein eigenes Café auf.
Ildiko, die Ich-Erzählerin ihres Buches, macht ganz ähnliche Erfahrungen. Doch wie sich Vater und Mutter fast bis zur Selbstaufgabe anpassen, wird ihnen die Tochter später übel nehmen. Sie selbst vermisst das Land ihrer Kindheit. Die Hausmannskost ihrer Großmutter Mamika und die fröhlichen Familienfeiern kennt sie nur mehr von anfänglichen Besuchen im Urlaub. Mit dem fortschreitenden Zerfall Jugoslawiens zerbricht aber auch diese Idylle. Die Vojvodina wird für sie zum Ort der Sehnsucht, während die Realität ganz anders aussieht:
Und es ist absurd und absolut möglich, dass einer meiner Cousins desertiert, weil er als Ungar nicht in der jugoslawischen Volksarmee kämpfen will, und es kann sein, dass ihn einer von Draganas Cousins erschießt, weil er bei der jugoslawischen Volksarmee kämpft und Deserteure erschossen werden; es kann aber auch sein, dass einer von Draganas Cousins desertiert, weil er sich als Bosnier fühlt, als bosnischer Serbe nicht in der jugoslawischen Volksarmee kämpfen will, es kann sein, dass dann mein Cousin Draganas Cousin erschießt, weil mein Cousin nicht desertiert ist, für die jugoslawische Volksarmee kämpft, um vielleicht sein eigenes Leben zu retten; aber möglicherweise werden beide erschossen, von einem Muslim, einem Kroaten, einem Blindgänger, von einer Mine zerfetzt, irgendwo, an einem unbekannten Ort, im Niemandsland, während wir hier zusammen Brötchen streichen, in unserer Küche.
Seit jeher sträubt sie Melinda Nadj Abonji also gegen nationale Zuschreibungen, will sich von keiner Seite vereinnahmen oder kategorisieren lassen, wo sie doch genau gegen dieses Schubladendenken anschreibt.
Jung und Jung
Erwachsenwerden
Aus diesem Grund kann man ihre Bücher auch nicht einfach als "Migrantenliteratur" abstempeln. In "Im Schaufenster im Frühling" (2004), ihrem Debütroman, der kürzlich neu aufgelegt wurde, beschreibt sie das Erwachsenwerden von Luisa, einer jungen Frau, die sich schmerzhaft von ihrem brutalen Vater emanzipiert. Wenn hier von Krieg die Rede ist, sind nicht die Konflikte am Balkan gemeint:
Krieg ist, wenn ich nachhause komme, das war für sie normal.
Später, wenn Luisa in die Wohnung zu ihrem Liebhaber fährt, wiederholt sie die naiven und zum Teil destruktiven Verhaltensweisen ihrer Kindheit. Menschen, die es gut mit ihr meinen, den Friseur Herr Zamboni oder ihre Nachbarin Frau Sunder, lässt sie nur allmählich an sich heran. Wie ein scheues Tier bringt sie der Welt ein enormes Misstrauen entgegen, und attackiert, wenn sie sich bedroht fühlt.
weitere Buchempfehlungen auf
fm4.orf.at/buch
Sprachlich ist Nadj Abonji in ihrem Debüt unglaublich präzise und schreibt kurze, nüchterne Sätze. In "Tauben fliegen auf" hingegen findet sie eine wesentlich üppigere, bildreichere Sprache. Da wird geflucht, Trauerweiden singen und Seen erzählen Geschichten. Als Textperformerin und Musikerin - sie singt und spielt Geige - ist das für sie ganz normal. Jede Geschichte sucht sich ihren eigenen Ton, und das funktioniert bei Nadj Abonji intuitiv:
Beim Schreiben höre ich meiner inneren Stimme zu. Es ist also nicht unbedingt so, dass ich dabei viel nachdenke. Mich interessiert vielmehr das Unbewusst-Bewusste, das heißt, ich versuche einfach meinen Verstand nicht zu früh zu gebrauchen. Natürlich tue ich das trotzdem, aber eben nicht zu früh.