Erstellt am: 10. 7. 2011 - 23:39 Uhr
Journal 2011. Eintrag 134.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.
Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute - aus zwei konkreten Anlässen, der FP-Telefonnummer-Hack-Aktion und der Filibuster-Aktion des VP-Parlamentsklubs - ein paar Worte über die Wertigkeit von politischen Aktionismus.
Ich bin ja ein großer Freund des Aktionismus. In jeder Lebenslage, life imitating art und andersrum.
Und auch im Medium, klar.
Wenn es etwa FM4-intern um einen Ansatz geht wie man ein Thema, eine Geschichte angeht, und es klingt mir zu konventionell, dann bin ich der erste Aktionismus!-Schreier. Manchmal auch dann, wenn die Hinweise darauf, dass sich in einer eher langweiligeren, herkömmlicheren Form die Inhalte besser darstellen lassen; denn, so mein festgefahrenes Credo - der Aktionismus ist vor allem als Hingucker, besser: als Hinguckmacher unschlagbar.
Wer die richtigen Dinge dezent und subtil anspricht ist gegenüber dem aktionistischen Klotzer im Nachteil - und das nicht nur beim abgstumpften Mainstream-Publikum, das sich anders sowieso gar nicht mehr erwischen lässt, sondern längst auch bei den distiguiert Distinkten. Und zwar egal, ob es sich da um die forschen Digital-Nativen inmitten ihrer 7-Sekunden-Ansprechbarkeits-Welt oder um die alteingesessene Macht-Elite handelt (die, wenn es nach Frank Stronach geht, künftig sowieso allein bestimmen kann: sein Wahlrecht erst ab 40-Vorschlag, sensationell!).
Die FPÖ der größte Aktionist Österreichs
Aktionismus finden wir ja immer nur dann blöd, wenn er gerade stört, wenn man direkt betroffen ist - wenn etwa ein Flashmob den Verkehr lähmt. Sind wir da nicht dabei, kommentieren wir das aus der Distanz, sind wir offen dafür.
Der praktische österreichische Aktionismus ist das Ventil des Anarchos in uns allen, im unterdrückten Zukurzkommer, als den der Österreicher sich ja gern selbstmitleidig sieht.
So gesehen ist die FPÖ der größte Aktionist Österreichs: ihre Proponenten schießen ja gerne kleine flashmobartige Aktionen raus, die schnell aufflackern, schnell wirken, schnell verpuffen aber in sich nichts bedeutet haben.
Aus all diesen Gründen ist mir meine Aktionismus-Schreierei dann auch durchaus vergangen, in den letzten Jahren.
Weil sich das, was ich damit meine, mit dem heutigen Bild nicht mehr verträgt.
Von einer politischen zu einer ästhetischen Frage
Meine aktionistische Sichtweise kommt aus einer Zeit, in der das Aufmerksam-Machen auf Dinge/Themen, die sonst gar nicht vorgekommen wären, noch der zentrale Faktor; ein politischer Faktor war.
Dieses Problem stellt sich heute nicht mehr: alles kommt vor, irgendwo, es gibt nichts nicht mehr.
Es geht nur noch um Gewichtung und Einfluss - und da lässt sich nicht sagen welche Methodik sicheren Erfolg hat; weil es diese Sicherheit nicht gibt.
Die Form-Frage, also die Aktionismus-Ja-oder-Nein- bzw. die Viel-oder-Wenig-Aktionismus-Frage, ist damit von einer politischen zu einer ästhetischen Frage geworden.
Mein (veraltetes) Aktionismus-Bild geht davon aus, dass die Notwendigkeit der Aktion ihre inhaltliche Bedeutung quasi automatisch in den Mittelpunkt stellt.
Weil das aber nicht mehr nötig ist, passiert es dann auch immer seltener. Und deshalb kann Aktionismus 2.0 Anlass geben, zum Naserümpfer zu werden.
Ambitionierter Aktionismus für die Häppchen-Kultur?
Ich habe ein durchaus erschreckend' Weilchen gebraucht, um das und die Naserümpfer zu verstehen, die sich lieber mit formal auf der sicheren (=langweiligeren) Seite angesiedelten Methoden zufriedengeben und (aus ihrer aktuellen Sicht berechtigt) den Aktionismus als reine l'art pour l'art-Veranstaltung sehen.
Dahinter steht natürlich der Wunsch die noch Ansprechbaren zu erreichen, also die, die sich nicht nur auf die Häppchen und den Halbsatz-Gag stürzen, sondern Hintergrund wollen. Die sind durch schieren Aktionismus eher vergrätzt.
Umgekehrt erreicht ambitionierter Aktionismus nicht mehr wie früher eine Masse, in deren Kern viele ihrer Aufnahmefähigkeit nicht Bewussten versteckt sind, sondern eine Masse, deren Willen etwas über Häppchen-Info hinaus anzustreben fast flächendeckend gedeckelt ist.
Das bedeutet, dass sich furioser, hintergründiger Aktionismus nur noch bei sehr großen Themen mit ganz simpler Botschaft ausgeht - eine Aufgabenstellung für jeglichen politischen Populismus, der die Demokratie retten will.
Aber das ist wieder ein anderes Thema.
Aktionismus-Verschwender von heute: planlose Hacker...
Und jetzt die Praxis zur Theorie - nämlich die beiden aktuellen Beispiel, wo purer und knackiger Aktionismus nicht funktioniert haben.
Das war zum einen bei der lustigen Hacker-Aktion rund um die FPÖ-Telefonnummern.
Ich kann mir nicht helfen, aber das ist ein Muster ohne Wert, eine Hihi-Aktion ohne Handlungsebene. Ja, ein Gudenus hat eine peinliche Wunschkennzeichen-Nummer, der alte Herr Scrinzi gar kein Handy, und Straches harter Kern nützt den A1-Bonus. Inhaltlich ist diese krachig-laute Aktion von ziemlich genau nichts begleitet, da ist die Terminologie genauso schwülstig wie die die angegriffen wird. Achja, Bruno Kreiskys Telefonnummer stand sogar im Telefonbuch.
... und alternde Filibusterer
Das war zum anderen die recht spontan organisierte Filibuster-Aktion der (einiger) Männer des ÖVP-Klubs, um eine parlamentarische Diskussion über das leidige Söhne/Töchter-Thema in der Bundeshymne zu verhindern.
Wenn sich in einer kreativitätsfreien Zone wie einem Parlaments-Klub der Aktionismus just dann einstellt, wenn es ums Abschießen einer ideologisch zu gewagten Idee aus dem eigenen Lager geht, dann hat das durchaus etwas von einem Knieschuss.
Diese Aktion der Graubrote-Biedermänner des konservativen Klubs zeigt nämlich überdeutlich die Crux der eigenen Profession auf. Dass nämlich deren inhaltliche Diskurs/Sprachlosigkeit sein Ventil auch nur auf der formalen Ebene suchen kann. Auch hier: nichts auf der Handlungs-Ebene, keine Auseinandersetzung.
Nur aktionistisches Gegockele.
Hacker und Filibusterer einigt genau das: das eitle "Seht-her-was-wir-können!"-Ding. Dahinter steckt Frust und die Abwesenheit jeglicher Überlegung auf der inhaltlichen Ebene. Dieser Aktionismus ohne Gehalt ist es aber, der den Aktionismus unserer Tage definiert. Und das sollten Aktionismus, yeah!-Befürworter, die da alte Ideale im Hinterkopf haben, mitbedenken. Da hat ein Begriff seine Bedeutung eingebüßt und noch nicht alle haben's bemerkt.