Erstellt am: 15. 7. 2011 - 13:20 Uhr
Idyll und Unheil
Holiday & Horror: Fime aus dem österreichischen Sommerkinoprogramm, wo statt Erholung Angst, Schmerz und Gewalt lauern: "Plein Soleil" (9.8, Kino am Dach), "Deliverance" (19.8, Kino am Dach), "127 Hours" (4.8.Open Air Kino Burghof Klagenfurt)
Urlaub ist eine Angelegenheit, die oft mit solch hysterischer Erwartung und Vorfreude beladen wird, dass die gemeine Schwester der Erwartung, die herbe Enttäuschung, gerne und mit ordentlichem Tamtam ihre Aufwartung macht. Filmisch wird das seit jeher komödiantisch verwertet, besser als Gerhard Polt in "Man spricht deutsh" hat es noch kaum jemand gemacht, manchmal aber kann man den Urlaub, den Freibrief aus Trott und Alltag, die Errungenschaft des Wirtschaftswunders, auch im Thriller wiederfinden.
Der 17jährige, eigenbrötlerische Anton (Ludwig Trepte), der in „Was du nicht siehst“ auf der Auto-Rückbank hockt, hat nicht unbedingt hohe Erwartungen an den bevorstehenden Urlaub, er tut seiner Mutter Luzia (Bibiana Beglau) einen Gefallen und hat sich ihr und ihrem neuen Freund Paul bei einem Trip in die Bretagne angeschlossen. Von Anfang an hängt das Unheil über diesem Urlaub, da kann das Meer noch so schön rauschen und die Sonne strahlen, das Patchworkfamilienglück ist immer nur kurz und stets bedroht. Dabei ist ein bisschen Glück doch das, was Antons Mutter so dringend sucht, in der Bretagne, in der neuen Zweisamkeit, im Abschließen eines tragischen Kapitels, dem Selbstmord von Antons Vater.
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Anton fühlt sich in dieser neuen Zweisamkeit überflüssig. Je näher sich Paul und seine Mutter kommen, umso mehr zieht er sich zurück und nimmt Reißaus. Eine nicht greifbare Bedrohung wabert in diesem Film, verdichtet die Atmosphäre, lässt Angst und Unsicherheit in den Urlaub und das stylische Ferienhaus mit der großen Glasfront einbrechen. Ein Paar, das die Angewohnheit hat, manchmal wie die „Shining“-Zwillinge aus dem Nichts aufzutauchen und das im Nachbarhaus wohnt, übt eine mysteriös-magische Anziehungskraft auf Anton aus. David und Katrin sind ungestüm, frei, wild, ihre Aura aus Gewalt und Sexualität zieht Anton in den Bann.
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Wenn die Sprache von Wolfgang Fischers Spielfilmdebüt „Was du nicht siehst“ ab und zu in theaterdeutsche, überartikulierte Sperrigkeit verfällt und sich in Gespreiztheit wälzt, so ist dies nur ein minimaler Makel in einem visuell und konzeptuell außergewöhnlichen Film. Die Kamera von Martin Gschlacht, die stets mit einem Hexen-Zeigefinger lockt, wird zu einer bedrohlichen Verführung, der man ebensowenig widerstehen kann, wie Anton dem anziehenden Paar von nebenan.
Die schroffe Atantikküste, das wilde Meer und vor allem ein beinah verwunschen wirkender Wald wird für Anton zu einem zu erobernden Freiraum, einer Alternative zur Zivilisation, die ihn verschreckt und in der er keinen Platz zu finden scheint. Doch die Natur ist kein Idyll, sondern voll dunkler, düsterer Abgründe, auch hier ist die Möglichkeit des Glücks stets bedroht, Nebel scheint die Jugendlichen beinah zu verschlucken, ein totes Reh treibt in einem See. Tod, Verderben und Verweseung findet man in großen, überhöhten und stets gebrochenen Bildern. Antons seelische Abgründe, ein sexuelles Erwachen und ein beunruhigendes Gewaltpotential spiegeln sich in diesen unglaublichen Bildern, die einem in dieser Imposanz in deutsch-österreichischen Filmen eher selten unterkommen. Allerspätestens wenn sich die Bäume, die das Ferienhaus umgeben in den Glasflächen spiegeln und ihre Schatten aufs Designerparkett fallen, wenn die Natur aud diese Weise in die Zivilisation eingedrunen ist, dann weiß man endgültig, dass das Unheil schon längst seinen Lauf genommen hat und nicht mehr aufzuhalten ist.
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Coming-of-Age-Elemente in einem düsteren Thriller, in dem man nicht mehr zwischen Traum, Realität und Illusion zu unterscheiden weiß. Eindringliche Bilder mit leuchtenden Farben irrlichtern durch „Was du nicht siehst“ und lassen einen daran erfreuen, dass das deutsch/österreichische Kino mit Genrekinoanleihen wieder einen Schritt von den Attributen weggeht, die man ihm sonst zuweist. Eigenständigkeit, die sich an Referenzen zu bedienen weiß und keine Berührungsangst vor den so oft gemiedenen großen Gefühlen, Bildern und Übertreibungen hat.
Beeindruckend nutzt Wolfgang Fischer die filmischen Möglichkeiten des Erschaffens einer schwebenden Traumwelt, beherrscht von gleich mehrerern Damokles-Schwertern. Unbeschwertheit ist flüchtig, eine Szene, in der die drei Teenager in einem See plantschen bündelt die Kräfte dieses Films. Zärtlich liegen die drei ineinander verschlungen, für einen Moment ist Ruhe, bis wieder die Aura der Bedrohung hervorschnellt und die Idylle auflöst.
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Frederick Lau spielt unangenehm bedrohlich David, einen jungen Mann zwischen sommersprossigem Ungestüm und Gewalt schwankend. „Schlag ihn“, fordert er und zeigt auf einen am Boden liegenden Jugendlichen, dem er Sekunden zuvor den Arm gebrochen hat. Wenn sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aufzieht, dann sitzen in seinen Mundwinkeln Arroganz und Wahnsinn.
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"Was du nicht siehst" läuft ab 15. Juli in den österreichischen Kinos
Kinopublikum, das von dieser Fixierung auf Filmenden besessen ist, könnte „Was du nicht siehst“ knatschig verlassen, weil es sich das eh von Anfang an gedacht hat, aber ich bitte um den Blick aufs Ganze. Ein Film ist mehr als sein Twist und sein Ende, auch wenn uns M. Night Shyamalan da kurzfristig mal ein bisschen verwirrt hat. „Was du nicht siehst“ gelingt es, eine Atmosphäre der konstanten, schwebenden Bedrohung zu kreieren und zu halten und die Natur als Ort zu erfassen, in dem Idyll und Unheil händchenhaltend durchs kühle Moos hüpfen. Hüpft doch eine Runde mit ihnen mit.