Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Journal 2011. Eintrag 133."

Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

9. 7. 2011 - 22:04

Journal 2011. Eintrag 133.

Ein paar Branchenmythen zum Zustand des Journalismus.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit einem dezent kommentierten embeddeden Video des Zeit-Online-Leiters Wolfgang Blau, auf das ich in einer Reaktion - danke an dieser Stelle an Fabian Greiler - auf den Journal-Eintrag 130, in dem ich auf die Geschäftsmodelllosigkeit der Internet-Medien hinweisen musste, gestoßen bin.

Die Zeit setzt sich im Übrigen gerne mit diesen Themen auseinander.

Auf das Video mit der Rede von Wolfgang Blau, dem Leiter der Online-Redaktion der Zeit, bin ich im Zuge von Reaktionen auf mein letztwöchiges Journal über das zurecht bestehende Geschäftsmodell des Online-Journalismus gestoßen.

Die Rede trägt den Titel Die sieben Branchenmythen zum Zustand des Journalismus und wurde bei einer Anhörung beim deutschen Bundestag aufgenommen - und von der wichtigen deutschen Online-Platform Carta verbreitet. Carta geht in eine problematische Sommerpause, aus der man eventuell, aus finanziellen Gründen, nicht mehr zurückkommen wird - aber das ist eine andere Geschichte.

Die Geschichte, die Blau erzählen will, ist die vom Mythos, dass Online schuld am Untergang von Print und dem Ende der diversen Geschäftsmodelle ist.
Und das tut er unaufgeregt und sachlich - auch, wenn man mit ihm nicht immer übereinstimmen muss, ist das ein wesentlicher Input:

Mythos 1. Blogs stellen eine Gefahr für traditionelle, kommerzielle Medien dar

Ob also die bislang ausschließlich den klassischen linearen Medien vorbehaltene Aufklärungs-Funktion durchbrochen wird? Ja, durchaus, wird sie, und das ist auch gut und richtig so. Mit ihrem Quasi-Monopol auf Wissensvermittlung ist der traditionelle Journalismus in den letzten Jahrzehnten nämlich überaus fahrlässig umgegangen.

Blau stellt klar, dass Blogs eine thematische Bereicherung sind, dass sie tiefer in spezifische Zonen hineingehen können und er betont auch etwas sonst gern Ignoriertes: dass unsere aktuelle Definition von Blog noch deutlich zu diffus ist.

Mythos 2. Google ist schuld am Niedergang der Tageszeitungen

Google hat - wie andere Marken im Netz - ein breiteres, zielgenaueres und kostengünstigeres Konzept eines neuen Anzeigenmarkts hingestellt - mit dem können die linearen Medien nicht konkurrieren, ja.
Mit Journalismus aber hat das nichts zu tun.
Blau bleibt recht dezent, obwohl er einen sehr bösen Satz sagt: dass nämlich die linearen Medien "Konzepte aus dem Industriezeitalter" seien, was letztlich bedeutet, dass sie den Ansprüchen des Informationszeitalters nicht gewachsen sind.

Und er spricht das Problem der machbaren Schnittmenge an: durch die (wegen des Internets entstandene) hohe Ausdifferenzierung von allen möglichen Spezial-Interessen ist es deutlich schwerer als früher, dieses Publikum zu finden.

Mythos 3. Nur Print- und Broadcastmedien können für gesellschaftlichen Meinungspluralismus sorgen

Soll heißen: die Online-User sind in ihren Spezialinteressen verlorene Babies, die das Wesentliche nicht mehr mitkriegen.

Blau hat Recht: alle Untersuchungen belegen das Gegenteil. Netzuser, vor allem die Jungen, sind Vielfach-Quellen-Nutzer und Weiterführer und unterscheiden sich drastisch vom eingefahrenen Ein-Zeitungs-Leser alten Schlages, der das Gegenteil der eigentlichen Annahme war und noch immer ist.

Mythos 4. Der Online-Journalismus hat noch kein Geschäftsmodell

Dem kann auch Blau nicht entgegnen. Der Hinweis auf ganze zwei so halbwegs gelungene Modelle im gesamten deutschsprachigen Raum - und dabei muss er sogar auf derstandard.at hinweisen, wiewohl Österreich sonst nicht einmal mit der Kneifzange angefasst wird (das andere ist Spiegel-Online) - ist zu wenig substanziell unterfüttert.

Geschäftsmodell gibt es keines.
Das habe ich hier eh schon deutlich ausgeführt - dazu kommen wir aber auch im Verlauf der nächsten Punkte noch.

Mythos 5. Das Internet begünstigt eine Boulevardisierung des Journalismus

Auch hier sagt Blau was ganz wichtiges: dass - im Gegensatz zu TV, Radio und Print, wo Zahlen und Quoten (im Normalfall) alles sind - die Klick-Raten im Netz nicht die Bedeutung haben, die ihnen die Verlage alten Stils zugestehen.
Wichtig für die Anzeigenkunden ist nämlich nicht so sehr die Breite, als vielmehr die Tiefe der Userschaft, ihre spezifische Charakteristik.
Und die/das lässt sich deutlich besser und leichter herausarbeiten.

Das merkt auch jeder, der ein Online-Projekt betreibt und, wie Blau so schön sagt, in Echtzeit die Wirkung seiner Arbeit verfolgen kann.

Er meint, dass es nicht möglich ist, zugleich die "beste" (also die unter special-interest-Gruppen anerkannteste) und die klickstärkste Seite im Netz zu sein.

Traditionelle Verlage positionieren ihre Sites aber, recht grund- und auch sinnlos, deutlich boulevardesker als ihre Print-Ausgaben - und driften so an den Ansprüchen glatt vorbei.

Denn die wirklich reichweitenstarken Angebote, die die wirklichen Anzeigen-Batzen auf sich ziehen, die kommen nicht aus dem klassischen Medienbereich. Und dort, wo deutlich mehr User erreicht werden, als es mit den grindigsten News-Angeboten überhaupt möglich ist, fließt das Anzeigen-/Werbegeld dann hin.

Insofern sind die Anstregungen der Verlage völlig falsch kalkuliert.

Mythos 6. Ohne öffentlich-rechtliche Online-Auftritte wären Verlags-Websites profitabler

Schutzbehauptung, um den aktuellen Fight der Verlage gegen ARD/ZDF zu rechtfertigen. Sachlich schwachsinnig.

Mythos 7. Der wirtschaftliche Niedergang der klassischen Medien ist eine substantielle Gefahr für die Demokratie

Das Internet, sagt Blau, zwinge jede Branche zum grundlegenden Nedenken. Weil die Medien diesen Prozess als einzige Branche quasi live übertragen, hören wir diese Klagen halt laut.

Die Probleme hinter dem wirtschaftlichen Niedergang und der Anbiederung bzw. der Erpressung der Politik sind anderswie/wo zu lösen, nicht auf Kosten einer Beschneidung des Netzes.

Da bietet aktuell der britische News of the World-Fall eh eine Menge Anschauungs-Material.
Blau weist lieber auf die Möglichkeiten hin: Datenjournalismus, kollaborativer Journalismus, Social-Media-Journalismus, ja vielleicht sogar die Geburt einer neuen Art des Journalismus, der das, was er seit Jahrzehnten vorgibt und nicht einlöst, nämlich die Schaffung einer transparenteren Welt, auch erfüllen kann.