Erstellt am: 8. 7. 2011 - 18:28 Uhr
Gegen den Strich
Am 30. Juni wurde ein neues Prostitutionsgesetz für Wien beschlossen. Einer der zentralen Punkte ist dabei das Verbot des Straßenstrichs im Wohngebiet, das außerdem, zum ersten Mal in Österreich, auch Strafen für Freier vorsieht. Das schwedische Modell sozusagen. Weiters wird mit dem Gesetz verfügt, dass minderjährige Sexarbeiterinnen zum Jugendamt zur Beratung geschickt werden, außerdem wird es strengere Auflagen für Bordelle und Laufhäuser geben.
Schon for dem Inkrafttreten am 1. November ist das neue Gesetz von verschiedenen Seiten unter Beschuss geraten. Die einen finden, dass es zu wenig weit geht, andere finden es zu ungenau formuliert, wiederum andere befürchten eine weitere Kriminialisierung durch Freierbestrafung und Einschränkung des Straßenstrichs.
Strafen für Freier
In Zukunft können in Wien auch Freier bestraft werden - das so genannte schwedische Modell. Für die NGO LEFÖ ist Schweden jedoch kein Vorbild, sagt Renate Blum. Sie glaubt, dass die Bestrafung der Freier im Endeffekt wieder die Frauen ausbaden müssen. Und sei es nur dadurch, dass sie schwieriger zum Geschäft kommen oder dass die Anbahnung heimlich oder versteckt passieren muss.
Als Denkfehler wird von der NGO außerdem kritisiert, dass das Gesetz davon ausgeht, dass jeder Mann ein potenzieller Freier ist: "Da kann es zu ganz absurden Situationen kommen. Denn das heißt ja, dass Sexarbeiterinnen, die auf dem Weg zur Arbeit sind, oder gar nicht heute arbeiten, dass mit denen kein Kontakt aufgenommen werden kann. Weil das Gesetz davon ausgeht, jeder Mann ist ein potenzieller Freier.“
Hat sich die Wiener Stadtregierung mit dem neuen Gesetz also zwischen alle Stühle gesetzt? Renate Blum, von der Migrantinnen-Organisation LEFÖ sagt: "Unserer Meinung nach gibt es bei dem Gesetz sehr wohl die Intention, möglichst vielen Interessensträgern gerecht zu werden." Und deswegen sei es bei dem Gesetz jetzt so, dass die Lage aus bestimmten Orten vor allem im 14. Und 15. Bezirk nun auf ganz Wien umgelegt werde, obwohl es anderswo gar nicht die gleichen Probleme gäbe.
Dem Verbot des Straßenstrichs im Wohngebiet sind zahlreiche erbitterte Streitereien zwischen AnrainerInnen und Sexarbeiterinnen vorausgegangen. Die einen würden den Straßenstrich am liebsten vollkommen verbieten, die anderen möchten vor allem zu sicheren und menschenwürdigen Bedingungen arbeiten. Eigentlich unvereinbare Standpunkte, denen das neue Gesetz irgendwie zugleich gerecht werden soll.
FM4/Irmi Wutscher
Unvereinbare Standpunkte
Ein Ort, der bezüglich der Eskalation des Konflikts zwischen BürgerInnen und Sexarbeiterinnen immer wieder genannt wird, ist die Felberstraße gleich neben dem Westbahnhof im 15. Wiener Gemeindebezirk. Hier machte eine BürgerInnen-Initiative mit großer medialer Aufmerksamkeit gegen die Sexarbeiterinnen mobil. „Unser Problem ist, das, dass sich der Strich so verändert hat in den letzten Jahren“, sagt Sprecherin Gabriele Schön, „Der ist wirklich förmlich explodiert.“
Christian Knappik, Sprecher einer Sexarbeiterinnen-Plattform, hat eine Erklärung dafür. Er sagt, vor ein paar Jahren habe es viel mehr Sexarbeiterinnen auf der Straße gegeben, aber es habe eben auch mehr Straßenstriche. Diese seien in den letzten Jahren durch die Politik aber sukzessive verkleinert worden „Jetzt sind nur mehr zwei, drei Fleckerl übriggeblieben, wo wesentlich weniger Sexarbeiterinnen als früher gedrängt zusammenstehen. Und die sind natürlich schriller, lauter, weil auch der Konkurrenzdruck gestiegen ist, und sie fallen natürlich wesentlich mehr auf als zuvor.“
Streit um die Schutzzonen
Auch die seit einigen Jahren eingerichteten Schutzzonen rund um Schulen, Kirchen oder Spitäler haben die Situation nicht unbedingt gebessert, meint Knappik: „Diese Regelungen mit den 150 Metern haben dazu geführt, dass eigentlich keiner mehr gewusst hat, wo darf man jetzt stehen und wo nicht?“ So seien Sexarbeiterinnen an denselben Orten von der Polizei mal gestraft worden, dann wieder nicht. „Diese Unsicherheit und die Willkür haben dazu geführt, dass sich der Konflikt so aufgeschaukelt hat.“
EPA/TAMAS KOVACS
Gabriele Schön unterstellt den Sexarbeiterinnen absichtliches Nicht-Wissen und Nicht-Einhalten der festgelegten Zeiten. Neben der Lärmbelästigung werfen die AnrainerInnend ihnen vor, ihren Müll einfach auf die Straße zu werfen und auf offener Straße sexuelle Handlungen durchzuführen. Gabriele Schön fühlt sich als Bürgerin und Anrainerin in „ihrer“ Straße übervorteilt: „Mit den Sexarbeiterinnen kann man auch gar nicht sprechen, teilweise verstehen sie die Sprache nicht. Und sie pfeifen auf alle Regeln! Und wenn es einmal so ist, dass die eine Gruppe auf alle Regeln pfeift und die anderen müssen sich an alle halten, dann ist etwas gründlich schiefgelaufen.“
Konfrontiert mit diesem Vorwurf meint Christian Knappik, dass es schon möglich sei, sich auf Regeln zu einigen. Nur müsse man auch mit den Betroffenen sprechen „Wenn ich Sexarbeiterinnen nicht informiere, wo sie stehen dürfen, sie aber auch nicht in die Beratungen einbeziehe, dann wird das auch nicht funktionieren.“
Den schwarzen Peter, wer unzureichend informiert und kommuniziert hat, schieben sich beide Seiten gegenseitig zu. Gesprächsrunden haben aufgrund der verhärteten Fronten zu keinen Ergebnissen geführt und auch die Einrichtung eine AnrainerInnen-Hotline und der Einsatz von Streetworkerinnen vor Ort hat keine Deeskalation gebracht. „Ich habe nicht das Gefühl, dass das etwas bringt in Bezug auf die Einhaltung der Grenzen“, erklärt Gabriele Schön, „die Frauen werden schon informiert, zum Beispiel, dass da Leute schlafen wollen, dass sie mit dem Müll aufpassen sollen, aber ich glaube nicht, dass sie über die Schutzzonen informiert werden. Das ist dazu da, dass man diesen Graubereich belässt.“
Verlagerung nach Drinnen oder an den Rand
Gabriele Schön hätte gerne, dass sich die gesamte Sexarbeit drinnen abspielt, also in Bars oder Stundenhotels. Und tatsächlich gibt es mit dem neuen Gesetz die Tendenz, die Frauen von der Straße in Räumlichkeiten zu verdrängen. Im Interesse aller Sexarbeiterinnen ist das aber nicht, sagen die NGOS. LEFÖ zum Beispiel ist seit Anfang der neunziger Jahre auf der Straße unterwegs und spricht mit den Frauen: „Und in den vielen Gespräche hat sich herausgestellt, dass die Straßenprostitution etwas ist, wo viele Frauen lieber arbeiten.“ Denn auf der Straße können sie entscheiden, wann sie anfangen und wann sie aufhören. Sie müssen keinen Alkohol konsumieren wie in den einschlägigen Bars und sie müssen auch kein Geld abgeben, weil sie die Infrastruktur der Betreibern benützen. Auch Christian Knappik meint, die Verlagerung der Strichs nach drinnen würde die Autonomie der Frauen untergraben.
APA/EMANUEL MAUTHE
Wobei die Bürgerinitiative dieses Argument der Selbstständigkeit nicht gelten lassen möchte. Gabriele Schön sagt, sie sehe auf der Felberstraße hauptsächlich Zuhälter und prekär arbeitende Frauen. „Das sind noch nur zehn, zwanzig Prozent, die wirklich freiwillig und selbstständig arbeiten. Wir haben hier überwiegend Frauenhandel, das ist Zuhälterei und moderne Sklaverei!“
Die Verlagerung der Straßenprostitution an die Stadtränder und die Ausfallsstraßen ist für die Sexarbeiterinnen auch keine Alternative, meint Renate Blum: Es gäbe keine Infrastruktur vor Ort, wie zum Beispiel Toiletten, Duschen oder einfach nur Räume, wo man sich aufwärmen oder ausruhen könne. Prinzipiell sei zwar vorstellbar, dass von den Organisationen solche Räume zu Verfügung gestellt würden. Aber das nächste Problem sei, dass solche abgelegenen Orte auch wesentlich gefährlicher seien: Die Stundenhotels sind viel zu weit weg, die Frauen müssten zu den Freiern in die Autos steigen und die Gegend verlassen. „Das Gefahrenpotenzial der Sexarbeit gilt es aber so gut wie möglich zu minimieren und sichere Arbeitsbedingungen für die Frauen zu schaffen", sagt Renate Blum. Deswegen sei es sehr gut vorstellbar, das die Sexarbeiterinnen mit den neuen Bestimmung zunehmend in die Illegalität getrieben werden, da sie aufgrund der genannten Nachteile weiterhin auf der Straße und in der Stadt arbeiten werden, bloß eben heimlich.
LEFÖ
Forderung: Sittenwidrigkeit abschaffen
Eine jahrelange Forderung der NGOs ist, Sexarbeit jeder anderen Erwerbsarbeit gleichzustellen. Das ist bisher nicht möglich, da Prostitution per Gesetz noch immer als "sittenwidrig" definiert ist, und daher nur geduldet ist. Mit der Abschaffung der Sittenwidrigkeit hätten die SexarbeiterInnen klar geregelte Arbeitsrechte, die Grauzonen würden abgeschafft und die Frauen könnten zum Beispiel bei Nichtbezahlung die Freier klagen. Davon ist das derzeitige Wiener Gesetz weit entfernt, erklärt Christian Knappik. Mit dem Verbot des Straßenstrichs im Wohngebiet mit einzelnen Erlaubniszonen werde wieder ein Graubereich geschaffen. Immerhin: Der Wiener Gemeinderat hat vor in einem Forderungskatalog an den Bund die Abschaffung der Sittenwidrigkeit einzufordern.
Gabriele Schön glaubt, dass diese Legalisierung keine Lösung der Situation ist. „Sicher kann man sagen, das ist ein Beruf wie jeder andere. Aber ich glaube es ist keine Beruf wie jeder andere sondern ein höchst problematischer.“ Wobei sie nicht unbedingt das Verhalten der Frauen als sittenwidrig ansieht, sondern dass sich die Freier an der Armut der Frauen bedienen. „Man braucht nicht glauben, dass sich hier am Straßenstrich die weniger Betuchten einfinden“ sagt sie „Sondern da kommen die feinen Herren mit den protzigen Autos und bedienen sich und ich finde es einfach widerlich, das jeden Tag anschauen zu müssen.“ Wobei natürlich das Verdrängen der Sexarbeit außer Sicht nicht heißt, dass sie nicht passiert.
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Ermessensspielraum
Das neue Wiener Prostitutionsgesetz trägt den AnrainerInnen-Forderungen nun also Rechnung und verbietet den Straßenstrich im Wohngebiet. Mit Ausnahmen allerdings, denn es soll einzelne „Erlaubniszonen“ geben, wo die sein werden, das wird erst festgelegt. Denn das Gesetz ist so aufgebaut, dass es viel Spielraum in der Handhabung gibt, sagt Renate Blum. Begleitend zur Implementierung des Gesetzes wurde von den politischen EntscheidungsträgerInnen eine Steuerungsgruppe eingerichtet.
Diese besteht aus allen LobbyistInnen rund um die Sexarbeit, sowie der Exekutive, den verschiedenen Magistraten und PolitikerInnen. „Da werden wir auf der einen Seite schauen: Wo wird es Orte geben, wo die Frauen auf der Straße arbeiten können. Aber auf der anderen Seite eben auch: Wie lässt sich dieses Gesetz evaluieren und wie wird es umgesetzt? Wie sieht es mit den Strafen aus, funktioniert die Beratung der Minderjährigen, wird das angenommen und so weiter“ erklärt Blum. „Es wird also noch ganz viel darum gehen: Wie sieht das in der Realität aus?“
Die Steuerungsgruppe trifft sich noch im Sommer das erste Mal und wird bis zum tatsächlichen Inkrafttreten des Gesetzes am 1. November bestimmen, wie die einzelnen Bestimmungen exekutiert werden sollen. Aber auch danach wird parallel die Umsetzung des Gesetzes evaluiert. Es ist also vielleicht noch nicht das letzte Wort gesprochen, in Sachen Straßenstrich.