Erstellt am: 8. 7. 2011 - 15:56 Uhr
"Don't clap for old people."
Jedesmal schwöre ich mir, dieses Mal perfekt vorbereitet los zu fahren. Ich habe eine neue Zahnbürste, Zahnpasta, sämtliche Kabel und Batterien. Ich fühle mich schwer profesionell, eine autarke Broadcastingeinheit, die am Flughafen von Belgrad rumsitzt und auf den lieben Fotografen L. wartet, der zwei Stunden später ankommt. Ich schau mir die "Partizan" und "Proud to be Serbian"-T-Shirts im Souvenirshop an, der Zoll ist auch kein Problem und schon stehe ich im Gewühl der Ankunftshalle.
"Exit raves Serbian Economy", die Schlagzeile hab ich im vorbeigehen gelesen und die Ankunftshalle ist die bildliche Umsetzung. Schwer aufgeregte britische Mädchen schieben Trollies die größer sind als der Koffer, mit dem ich für fünf Monat nach Südamerika fahren würde.
Ich sollte abgeholt werden, finde aber niemand mit einem Schildchen mit meinen Namen drauf. Ein zwei Meter Typ mit rosa Bodybuilderhose hat ein Schild mit "Exit Transport" in der Hand. Wir können uns aber nicht verständigen, ob er da ist, um mich abzuholen oder einfach irgendwen von Belgrad nach Novi Sad führen will, um Geld zu verdienen.
Er fragt mich wo ich hin will, welches Hotel, Kontakt Telefonnummer von jemanden von der Festivalorganisation und meine berufliche Souveränität bröckelt wie drei Tage altes Make Up. Ich weiß natürlich nicht, wo ich hin muss und wer das alles organisiert hat. Ich unterhalte mich weiter mit meinem neuen Freund, weil man hat schließlich viel zu selten Gelegenheit mit Menschen zu sprechen, die wie römische Gladiatoren aussehen und Hemden mit Cadillacs drauf zu rosa Bodybuilder Pluderhosen tragen.
Beim Informationsstand finde ich meinen Abholer. Sein Job ist es, verwirrte Journalisten am Flughafen einzusammeln. Ein britisches Junge-Mädchen-Duo, das so aussieht, als hätte sich die Requisite von Gossip Girl und Twilight gleichzeitig an ihnen vergangen, schließt sich uns an. L. trifft auch ein und verkraftet die "Haarspray trifft Emo Traurigkeit trifft Strokes anno 2007"-Frisur des Typen gar nicht.
Ich bemerke, dass ich kein Geld habe und freue mich sehr, als der auch deutsch mit mir sprechende Bankomat mich nach einer Aufhebung statt Abhebung vom Konto fragt. L. beschämt mich gleich noch einmal in meiner Unorganisiertheit. Er hat sich einen Zeitplan ausgedruckt mit Stage Times der Bands, die gesehen und fotografiert werden müssen. Ich bin zu müde, um zu lügen, dass ich die praktische Anwendung auf der Exit Seite auch gefunden habe und nicke nur zustimmend.
Meine neue Taktik: Immer freundlich lächeln und zustimmend nicken, wenn man gerade nicht so gute Karten hat. Die Fahrt von Belgrad nach Novi Sad dauert zirka 90 Minuten und ich bin glücklich im 35 Grad heißen Bus. Am Fenster ziehen Sonneblumenfelder in der Nachmittagsonne vorbei und ich überlege mir, was Menschen im allgemeinen und ich im speziellen für Wege zurücklegen, um Bands, die sie mögen, zu hören. Ich mag den Akt zu einem Konzert zu fahren, den Moment der Vorfreude sehr.
Wäre ich in Nordamerika und ein paar Jahre früher geboren zu einem Deadhead geworden, ist das vielleicht heute auch meine wahre Bestimmung oder bin ich nur so dehydriert, dass mir solche Lebenskonzepte als Option erscheinen?
Das Hotel, in dem wir untergebracht sind, atmet den großen Prunk einer vergangenen Ära. Bin ich ein schlechter Mensch, weil es mein erster Impuls ist, das "Bitte nicht stören"-Schild zu stehlen?
natalie brunner
Wir haben einen Host zugeteilt bekommen, der dafür sorgt, dass wir die Dinge, die jeder halbwegs erwachsene Mensch auch schwer betrunken hinkriegt, schaffen. Sprich, uns an der Hand nehmen zum Festival Eingang führen, und uns zusehen, wie uns die Akkreditierungen ausgehändigt werden.
Ich nutze die Situation, dass sich jemand um mich kümmern muss und für mich verantwortlich ist natürlich schamlos aus und lasse mich von meinem Host mit seinen mitgebrachten Schokoladenkeksen füttern. Ich habe Glück und er hat Humor, findet meinen "du könntest der Vater sein, den ich niemals hatte"-Scherz lustig.
natalie brunner
Er arbeitet als Volontär beim Exit, erzählt Typen wie uns etwas über Novi Sad und in meinem Fall hat der Typ auch großartige Geschichten auf Lager. Ich wußte nicht, dass Chicago eigentlich die größte serbische Stadt ist und sehr schön finde ich auch, dass er sich für keine der auftretenden Bands besonders interessiert, weil er am liebsten serbische Volksmusik hört und heute sich schon zwei Stunden konzentriert in die Klangwelt vertieft hat um das Exit durchzustehen.
Der Typ ist großartig, als er uns auch noch Orte zeigt, wo man 24 Stunden am Tag Essen kriegt, ist er mein Held. L. kauft sich für 1 Euro 30 Cent einen mächtigen Burger von dem sogar ich als Vegetarierin zugeben muss, dass er gut aussieht und ich krieg die Krise, weil ich vor kurzem in Paris 19 Euro für einen Burger zahlen musste, der natürlich nicht für mich war. Meat is murder! Angeregt von der Burgerdebatte erzählt uns der Gastgeber, dass beim Exit zahlreiche Konzerte nicht an den Gagenvorstellungen scheitern, sondern an den Ridern der Band. Man bräuchte Monate, um hier das Zeug aufzustellen und die Backstagräume so zu gestalten, wie es in dem Papier steht und deshalb kommen einige Konzerte einfach nicht zu Stande.
natalie brunner
Bad Religion sind offensichtlich nicht kompliziert, was die Gestaltung ihres Backstages betrifft, sie sind die erste Band, die wir sehen. Die Nummern klingen noch genau so, wie vor zwanzig Jahren und sie gewinnen gleich durch ihre Bühnenansage: "Dont clap for old people."
Ein kleiner streunender Hund rennt rum und hört sich eine Nummer an. L unterbindet meine "Ich will ihn adoptieren"-Anfälle mit einem strengen Blick und dem Hinweis, dass ich schon zwei monströs verzogene Hunde habe, - einer ein ehmaliger serbischer Straßenhund- , die bei meinen Freunden sind, und dass meine Mission hier Musikjournalismus und nicht Edith Klinger ist.
Ok, wieder Konzentration auf Bad Religion, sie sehen aus, als könnten sie Freunde des Hauptdarstellers von "King of Queens" sein und haben ganz offensichtlich Spaß an dem, was sie tun. Alles völlig legitim und schwer in Ordnung im Gegensatz zu dem, was House of Pain im Anschluss aufführen. Die Details, wie eine sehr profesionelle und freundliche Pressetante zuerst von einem Fettfleck von Security nicht zu ihrem eigenen Termin gelassen wird und dann durch souveränes Ignorieren vonseiten der Band in eine Schimpfworttirade verfällt, erspare ich euch, das Konzert war schlimm genug. Nur soviel: Manchmal wundert es mich, wie Menschen andere Menschen behandeln, weil es ihnen Dritte aufgetragen haben, sie aber nicht durchschauen, dass die die es aufgetragen haben im Auftrag derjenigen handeln, die sie jetzt verächtlich abweisen. Hierachie und Dummheit immer wieder ein köstliches Schauspiel, wenn man selbst nicht die ekelhaften Konsequenzen zu tragen hat.
natalie brunner
House of Pain sind übrigens auch nicht auf den für sie bestimmten Parkplatz gelassen worden. Das hat aber nichts mit ihrem vergessenen Ruhm zu tun, letztes Jahr twitterten die Antwoord, als sie schon auf der Bühne stehen sollten, "Scheiße, wir sitzen im Auto von Boys Noize und die lassen uns nicht rein." House of Pain haben es doch auf die Bühne geschafft, was viellecht doch nicht so gut war. Es ist eines der Konzerte, das ich lieber nicht gesehen hätte, um mir den Mythos nicht zu zerstören. Ich schreibe das hier als Everlast Fan, ich mag seine Country-Folk Whitey Ford Alben, ich weide mich gerne in der Traurigkeit des White Trash Beautiful Trailer Park Queen Universums, das er besingt.
House of Pain spielen mit Band. Ein Ganzes wird es zu keinem Zeitpunkt, alle machen irgendwas mit ihren Instrumenten. Everlast und Danny Boy stehen wie müde alte Grizzleys auf der Bühne, machen nach jeder Nummer Pause, genehmigen sich ein Gläschen Whiskey. Zu keinem Zeitpunkt entwickelt die Show Druck: Ich unterstelle Danny Boy Schulterprobleme. Als er die Menschen auffordert, die Arme hoch zu nehmen, kriegt er ihn selbst fast nicht hoch.
natalie brunner
Einen guten Moment bescheren sie mir doch. Everlast beginnt zu singen, eine Ballade, er fleht den Herrn um Gnade an und da ist sie plötzlich, die Verlorenheit und Traurigkeit, das Kämpfen mit dem Scheitern, das ich an seiner Musik so schätze.
Es ist ein seltsames Beispiel, wie man aus dem Bild der Idee die man geschaffen hat, herausfällt, was würden die Jungs aus dem Jump Around Video wohl sagen, wenn man ihnen das gestrige Konzert gezeigt hätte?
Arcade Fire nach House of Pain zu sehen, ist wie nach einem Whiskey-Vollrausch in einem kalten Wasserfall im Dschungel zu duschen. Die ganze Müdigkeit, die Schwere das Verschleimte, Zugekleisterte, das den Kopf umnebelt, ist mit einem Schlag weg. Lebendige Menschen, die ihre Emotionen emphatisch kommunizieren können, stehen auf der Bühne. Es ist eine große Verbeugung vor dem Lebens mit all seinen Höhen und Tiefen. Eine Feier das man überhaupt noch was spürt, egal ob Schmerz oder Freude.
n
Pulp sind als nächste dran. Ein schwarzer Vorhang verhüllt die Bühne. Mit einem Laser werden von hinten Nachrichten und Fragen wie "Do you remeber the first time" oder "Meet me at the bar" projiziert. Sie spielen ein sphärisch gelooptes Intro und nach dem ich vor zwei Tagen eine "Creation Records"-Doku gesehen habe, höre ich überall nur mehr My Bloody Valentine, die beste Band der Welt. Anhand solcher Assoziationen, die auch mir seltsam vorkommen, stelle ich fest, ich muss wirklich müde sein und lege mich präventiv vor das Rote Kreuz Zelt in die Wiese. Neben mir urmarmen sich Menschen, welche Rührung.
Pulp beginnen mit "Do you remeber the first time" und ich habe den direkten Vergleich zum Primavera. Dort ist viel mehr Enthusiasmus und Liebe vom Publikum in Richtung Bühne gegangen.
natalie brunner
Es war spannend zu sehen, wie Pulp mit der riesigen Bühne vollkommen anders umgingen als Arcade Fire. Jarvis war alleine, seine Bandkolleginnen hatten mit ihren Instrumenten einen Kreis um ihn gebildet, so dass er perfomen konnte. Arcade Fire standen Schulter an Schulter am vorderen Rand der Bühne. Jarvis bemüht sich redlich mit seinen Serbisch-Kenntnissen und singt auch ein Geburtstagsständchen für Ringo Starr.
natalie brunner
Pulp wären nicht Pulp, wenn sie nicht auch diesen Abend in perekter Eleganz und Souveränität gemeistert hätten.