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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

7. 7. 2011 - 22:01

Journal 2011. Eintrag 132.

Frau Bachmann und die Radiofamilie. Oder: der Onkel Guido ist nicht umzubringen.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit einer Anmerkung zur Namensgeberin des großen Lese-Bewerbes am Wörthersee - und was das mit Radio zu tun hat.

Zita Bereuter über den Bachmannpreis.

Wortlaut-Sieger Viktor Gallandi über den ersten Tag des Bewerbs.

Wortlaut-Sieger Martin Fritz über den Klagenfurter Literaturkurs.

Ingeborg Bachmann, die mythenumraunte Meerfrau mit Engelhaar, deren Flüstern erst in exilantischer Literatur Gehör fand, aber dann ordentliches, überösterreichisches, eigentlich unerhörtes, diese Ingeborg Bachmann kennt man außerhalb des Streifens im Schul-Unterricht nur einmal im Jahr, kurz, dann wenn der Lesewettbewerb in Klagenfurt medial aufpoppt, dieser Eurovisions-Songcontest, dieser Grand Prix der Volksmusik de la Chanson für die deutsche Sprachgemeinschaft, für die G-A-S-Community samt Messner- und Müllerland vielleicht noch, diese Tage der deutschsprachigen Literatur, die nur aus einer einzigen Gruppenphase des Lesens und des Fremd-Kommentierens bestehen, ganz ohne Chance auf ein Nachspiel, und auch noch ohne K.O.-Runde auskommen müssen.

Da und nur da ist sie präsent, die Frau, die am eigenen Suchtverhalten im eigenen Bett starb, die Frau, die in ihrer Außenseiter-Funktion die Vorgängerin von Thomas Bernhard und Elfriede Jelinek war, die an sich, dem Leben, den Umständen, den österreichischen Umständen so überstark litt, dass sie gar nicht anders konnte, als es zu thematisieren, als es in Erzählungen und Empfindungen zu übertragen.

Morgen schon, am zweiten Tag, wird sie wieder passè sein, in den Hintergrund getreten sein, von den Aktualitäten abgelöst worden sein - aber heute, gestern und vorgestern, da war sie kurz, wie immer um diese Jahreszeit wieder präsent, wie ein alter Filmstar, der nicht mehr sprechen, sondern nur noch winken kann, vor den Vorhang geführt, um sich den Applaus abzuholen.
Morgen schon wird sich Spinnen oder ein anderer, wohl eher keine andere, es sei denn es schneidet sich dann doch noch eine die Stirn auf oder bietet sie dar, in die Pole Position schieben.

Bachmann lässt lesen, wird aber nicht mehr gelesen

Ingeborg Bachmann wird, in dieser ihrer wiederkehrenden Redundanz dann doch auch schönen Hervorholung zum Trotz, nicht mehr gelesen.
Zumindest nicht deswegen. Die jungen Menschen, die sie finden, finden sie nicht über diesen Weg der öffentlichen Schaustellung. Sie finden sie indirekt, über Paul Celan, über Max Frisch, über Ilse Aichinger.

Und sie finden sie mit ihrem 60er/Früh70er-Werk, mit Undine, Franza und Malina, in jedem Fall aber finden sie sie nicht über das, was noch in Österreich entstand, sondern in dem, was ab 53, in Rom, Zürich oder Berlin war.

Ende letzten Jahres wurde bekannt, dass der amerikanische Historiker und Germanist Joseph McVeigh eine frühe Arbeit von Bachmann erforscht und bearbeitet hatte und dass das im Frühjahr bei Suhrkamp erscheinen würde.
Das Buch gibt es mittlerweile. Es heißt "Die Radiofamilie" und enthält 15 Bücher für eine Hörspielreihe des Wiener Senders Rot-Weiß-Rot, aus dem letztlich der ORF hervorging. Die Radiofamilie Floriani überlebte sogar das Ende von RWR im Jahr `55, als die US-Besatzer, deren Projekt der Sender war, Österreich verließen, erst 1960, nach 330 Folgen ging die Reihe zu Ende.

Die Radiofamilie

INgeborg Bachmann - Die Radiofamilie

suhrkamp

Ingeborg Bachmann: Die Radiofamilie. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Joseph McVeigh, erschienen im Suhrkamp Verlag, Berlin 2011. 414 Seiten. 24,90 Euro. Die Manuskripte wurden im Nachlass von Jörg Mauthe gefunden.

Die wöchentlich auftauchende Radiofamilie wurde von den damaligen Wiener Mentoren Bachmanns, Jörg Mauthe und Peter Weiser, erfunden und diente zur unterhaltenden Volksbildung. Anhand des Alltags-Lebens einer scheinbaren Durchschnitts-Familie wurden die großen Themen der Nachkriegs-Phase verhandelt.
Und über allem schwebte das, was den Besatzern kulturell am wichtigsten war: die Entnazifizierung, die Pazifizierung und die Demokratisierung eines Volkes, das sich nach tausenden Jahren an Knechtschaft und Terror-Herrschaft zu einem in seiner Mehrheit hinter dem NS-Wahnsinn und hinter der Verfolgung von Minderheiten, hinter nationalistischen Blut-und-Boden-Blödsinn stehenden, ganz leicht aufzuhetzendem und zutiefst an amoralischen Konzepten festhaltenden Mob entwickelt hatte, dessen Widerpart des Anstands man im einstelligen Prozentbereich abzählen kann.

Dafür, nein, dagegen waren zehn Jahre Demokratie-Bildung zwar, wie man an aktuellen Entwicklungen sieht, deutlich zu wenig - trotzdem wurde in dieser Phase der Grundstein für die Möglichkeit einer demokratischen Gesellschaft gelegt. Der aktuell wieder unterhöhlt und unterwaschen wird, dass es eine Art hat.

Programme wie die 1952 entwickelte Radiofamilie waren ein wichtiger Teil davon. Und es war Ingeborg Bachmann, die in den elf frühen Folgen, die sie alleine verfasste (vier andere sahen sie als Co-Autorin) vor allem der Figur des Onkel Guido seinen speziellen Charakter gab.

Guido, der leichtlebige und leichtgläubige Bruder des Hausherrn, war ein Ex-Nazi, der sich selber als Opfer stilisiert, als einer der auf den Hitler hereingefallen war und deshalb keinen Grund sieht, sich mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen. Dabei hat er zu Beginn der Reihe Berufsverbot - was ein deutliches Zeichen dafür ist, dass er kein Minderbelasteter, sondern Täter war.

Bachmann lässt diese Figur aber nicht im Regen der platten Denunziation stehen, sondern verpasst ihm faustische Dimensionen, lässt ihn das Leben verachten und mit Tigerblut-Injektionen hantieren.

Die Kunst des Radiohörspiel-Skripts

Die Florianis leben neben ihren Alltags-Problemen auch in einer Umgebung, die mit Entnazifizierung, Schwarzhandel, Korruption und Fremdenhass umgeht.
Denn Bachmann setzte sich gern über die Ausgangsbedingungen, dass die Serie nämlich die Vorteile eine demokratischen, pluralistischen und liberalen Gesellschaft ausleuchten sollte, hinweg, um sie so einem diesbezüglich ahnungslosen Publikum schmackhaft zu machen, und brachte diverse düstere Aspekte ein.

Die Probleme mit den Mitbürgern aus den vormaligen Kronländern, egal ob Tschechen, Serben oder Kroaten, aber auch deren Konflikte untereinander, alles anhand aktueller zeitgeschichtlicher Entwicklungen. Das paternalistische, bildungsbürgerliche Kulturmenschen-Gehabe des Familienchefs Fritz, eines höheren Beamten. Die Feindseligkeit neuen künstlerischen Entwicklungen gegenüber, die immer auch mit nationalistischen Stereotypen gepaart ist.

Dass die junge, damals gerade 26-jährige Bachmann die Kunst des radiotauglichen Schreibens von scheinbar alltäglichen und umgänglich-unterhaltenden Dialogen mit entsprechender Substanz und Tiefgang beherrschte, das ist die erstaunliche Erkenntnis der McVeighschen Aufarbeitung.
Die war auch notwendig, weil Ingeborg Bachmann keinen Wert darauf gelegt hat diese Arbeit in ihrem Lebenslauf festgehalten zu wissen; die zeitgleichen Radio-Hörspiele - ja. Die Arbeiten für die Literaturzeitschrift - klar. Ansonsten wurde nicht viel über die Wiener Zeit `51-`53, als Radio-Redakteurin, bekannt. Auch weil es ein Job war, um Geld zu verdienen, wie aus ihren Briefen an Paul Celan hervorgeht.

Seltsamerweise wird McVeighs Buch hauptsächlich in Deutschland rezensiert - in Österreich ist es recht still. Und wenn, dann wird - wie hier in der TT - durchaus verharmlosend von hellbraunen Schatten gesprochen.
Der Onkel Guido ist eben nicht umzubringen.