Erstellt am: 6. 7. 2011 - 23:21 Uhr
Fußball-Journal '11-64.
Bundesliga, Meisterschaft und der Cup, der ÖFB und das Nationalteam, das europäische Geschäft, der Nachwuchs und die vielen Irrsinnigkeiten im Umfeld: Das Fußball-Journal '11 begleitet nach dem Jahr 2010 auch 2011 wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Skandalisierungen und Stillhalte-Abkommen, die den heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen.
Heute, am Tag der Kader-Bekanntgabe des ÖFB-Junioren-Teams für die WM in Kolumbien ab 29.7. ist es Zeit all jene, die dafür gesorgt haben, dass dort nicht die bestmögliche Mannschaft auflaufen kann, ins Spotlight zu holen.
Die bisherigen Journale zur U20-WM:
Fußball-Journal '11-56: Steinschlag auf dem Weg nach Kolumbien.
Fußball-Journal '11-39: Eine erste Auswahl für die WM in Kolumbien, oder: die Schmerzen des Andreas Heraf.
Fußball-Journal '11-34: Ausflug nach Cartagena. Die U20-WM beginnt heute Nacht.
Fußball-Journal '11-20: Die jungen Legionäre tragen die ÖFB-Nachwuchsteams.
Fußball-Journal '11-4: Zu früh ins Ausland. Über das Doppelpass-Spiel von Medien und Fußball-Akteuren.
Der vorläufige 18er-Kader:
Tor: Samuel Radlinger (Hannover/D), Philip Petermann (Parndorf), Christoph Riegler (St. Pölten).
Abwehr: Patrick Farkas, Lukas Rath (Mattersburg), Michael Schimpelsberger (Rapid).
Mittelfeld: Emir Dilaver (Austria), Robert Gucher (Kapfenberg), Tobias Kainz (Heerenveen/NED), Christian Klem (Sturm), Marco Meilinger, Daniel Offenbacher (Salzburg), Daniel Schütz (Innsbruck), Kevin Stöger (Stuttgart/D), Marcel Ziegl (Ried).
Angriff: Marco Djuricin (Hertha/D), Andreas Weimann (Aston Villa/ENG), Robert Zulj (Ried)
Die eine österreichische U20-National-Mannschaft geht so:
Strebinger (Hertha); Florian Kainz (Sturm), Dragovic (Basel), Windbichler (Admira), Hinteregger; Hierländer (Salzburg), Alaba (Bayern), Büchel (Siena), Knasmüllner (Inter), Holzhauser; Aschauer (Stuttgart).
Das andere heimische U20-Nationalteam heißt so:
Radlinger (Hannover); Farkas (Mattersburg), Schimpelsberger (Rapid), Tobias Kainz (Heerenveen), Rath (Mattersburg); Dilaver (Austria), Gucher (Kapfenberg), K. Stöger (Stuttgart), Klem (Sturm); Djuricin (Hertha), Weimann (Aston Villa).
Welche ist stärker?
Diese Formationen würden einander sicher auf Augenhöhe begegnen, aber kompakter im Mittelfeld, sowohl in der Defensive als auch in der Offensive (Knasmüllner und Holzhauser) ist die erstgenannte Mannschaft, die über mehr Legionäre (gleich sieben) und noch dazu auf A-Teamspieler Dragovic als zentrale Abwehrsäule hätte. Und David Alaba, aktuell der beste österreichische Kicker, ein Junior, der bereits jetzt über strategische Skills erfüllt wie kaum ein heimischer Trainer.
Nur: die spielt nicht, diese Mannschaft, nicht bei der U20-WM in Kolumbien.
Die besteht nämlich nur aus Akteuren, die aus den allerunterschiedlichsten Gründen nicht nominiert werden konnten oder wollten.
Ganz schön scheiße, was?
Heute gab U20-Coach Andreas Heraf seinen Kader bekannt, 18 Mann hoch.
21 sind zugelassen, drei dürfen bis zum Nenn-Schluß in einer Woche noch nachgereicht werden. Aber mit Alaba, Dragovic und Holzhauser rechnet der ÖFB nicht mehr.
Und außerdem sind unter den 18 Akteuren bislang nur genau zwei echte Abwehrspieler dabei (Schimpelsberger und Rath) - der Rest sind Mittelfeld-Leute, die hinten einspringen müssten (Klem, Farkas, Tobias Kainz und Dilaver können das zur Not). Das bedeutet aber, dass die drei nachnominierten Verteidiger sein müssen - denn ganz ohne Abwehr wird es wohl nicht gehn.
Und das führt uns auch schon zum ersten derer, die verhindern, dass Österreichs U20-Nationalteam unter den bestmöglichen Vorzeichen zu einem einzigartigen Ereignis, das diese Generation nie mehr erleben wird, fährt: zu einer Weltmeisterschaft.
Der erste ist, so tragisch das ist, der Teamchef selber:
Prügelwerfer 1: Andreas Heraf himself
Heraf ist zunächst einmal von der Reise an sich überfordert - in der Kronen-Zeitung spricht er ernsthaft davon seine Spieler den 24 Stunden lang dauernden Flug nicht schlafen lassen zu wollen, also künstlich wachzuhalten, um so den Jetleg auszugleichen.
Abgesehen davon, dass 24-Stundenflüge nach Australien führen und Kolumbien (auch mit Transfer-Stop in Amsterdam, London oder Paris) nicht länger als 15, 16 Stunden dauert - wie absurd ist diese Idee denn?
Ähnlich absurd wie die Idee seine Spieler jetzt schon durch Sauna-Besuche (!) an die Hitze in Barranquilla gewöhnen zu wollen.
Diese und anderen Unsinnigkeiten in der Vorbereitung (dazu kommen wir noch) sind aber nur teilweise Herafs Schuld.
Ihm ist jedoch das sukzessive Verlorengehen von Spielern anzulasten, deren Fehlen ihm jetzt, angesichts der Absagenflut der Vereine, massiv auf den Kopf fällt.
Heraf beklagt selber die Abwesenheit von Rechtsverteidigern (in seinem Kader kann er nur Leute wie Farkas oder Dilaver umschulen, Schimpelsberger wird in der Zentrale unverzichtbar sein), hat aber den Grundstein selber gelegt, als er den jungen Werder Bremen Rechtsverteidiger Kevin Krisch vor zwei Jahren aus recht nichtigen Rechthaber-Gründen aus dem Kader entfernte.
Die mögliche Variante den offensivstarken Florian Kainz von Sturm rechts hinten einsetzen zu können, hat er auch vergogelt - Heraf mag den Blondschopf nicht, findet dass er nicht gut ist. Als einziger in Österreich. Komischerweise reicht es bei Flo Kainz nämlich locker für die U21-Einberufung. Also wieder: ein unnötiges Eigentor. Hier, auf der rechten Abwehrseite, hat sich Heraf sein Grundproblem selber erschaffen.
Ähnlich sieht es in der Abwehrzentrale aus: nie hatte sich Heraf getraut für U19-Qualispiele oder die letztjährige Euro Aleks Dragovic anzufordern. Das hat dazu geführt, dass der Bursche selber oder seine Berater auch nie Druck auf die Vereine ausgeübt hat (so wie das etwa Alaba bei der EM tat), weshalb die viel zu späten Bemühungen jetzt auch so erfolglos sind.
Die möglichen Alternativen wurden nie erprobt: Hinteregger übersah Heraf so lange, bis ihm der (natürlich auch auf Druck von Salzburg) direkt vor dem Trainingslager absagte; Windbichler, Janeczek oder Bubalovic wurden auch nie ernsthaft getestet.
Dazu kommen die drei bekannten Problemboys, an deren Troubles Heraf selber immer ordentlich mitgestrickt hatte. Er könne besser reden als zuhören, hat er in einem Interview im Kurier kürzlich gesagt.
Nach dem, wie er die Abläufe der jeweiligen Problem-Fälle (in aller Ausführlichkeit) schildert, ist sein Vielreden und Wenigzuhören durchaus prägend mitschuld an den Zerwürfnissen mit Stefan Hierländer, Marcel Büchel und auch Christoph Knasmüllner, die das selbstverständlich mit Eigensinn, Eislaufeltern und Eitelkeit losgetreten haben.
Allerdings ist im Umgang mit minderjährigen Schutzbefohlenen immer der Trainer/Coach/Betreuer in der Verantwortung den richtigen Schritt zu setzen. Und Strafaktionen und Canossa-Gänge vor versammelter Mannschaft sind kein probates Erziehungs-Mittel; es sei denn man definiert die ÖFB-Juniorenteams als Bootcamp.
Dass Heraf sowohl bei Salzburg (Teigl) als dann in der Folge auch bei den Bayern (eben Alaba) und vor allem dem VfB Stuttgart (Holzhauser und Aschauer) auf Granit biss, ist durchaus seiner zu späten und zu laschen Kontaktaufnahme zuzuschreiben.
Tagelang war zu hören, dass der ÖFB nicht zu Bayern-Sportchef Nerlinger durchdringen würde. Nun selbst ich kennen jemanden, der jemanden kennt, der dort problemlos durchklingeln kann, also...
Dieses Gejammer im Vorfeld wird im übrigen durch die knochentrockenen Vorgaben von Paul Gludovatz konterkariert.
Prügelwerfer 2: Fink, Nerlinger, Bobic
Während die Holländer, Engländer und Berliner kein Theater um die Freigaben machen, spielen Basel, Bayern und Stuttgart Katz und Maus mit den Ösis, verarschen sie nach Belieben.
David Alaba weiß nicht einmal noch ob er wirklich in München spielen wird (das hängt davon ab ob Bayern noch Arturo Vidal bekommt, der spielt aktuell aber mit Chile bei der Copa America, und das noch Wochen...) - trotzdem wird er zurückgehalten.
Die Jungprofis Aschauer und vor allem Raphael Holzhauser, das Spielmacher-Supertalent, werden in Stuttgart definitiv nicht zur Stamm-Mannschaft gehören, trotzdem zeigen Labbadia und Bobic dem ÖFB die lange Nase.
Einzig im Fall Dragovic ist die Absage aus der Ignoranz-Historie verständlich. Allerdings hatte sich Heraf auch nie getraut Dragovic anzufordern, weil ihn dann Teamchef Constantini umgebracht hätte - und der hat ja schon Herzogs Versuch sich für Olympia 2012 zu qualifizieren durch ähnliche egoistische Muffigkeiten versaut.
Thorsten Fink und die anderen haben aber auch eine tolle Ausrede für ihr Mißbetragen: im eigenen Land schafft ihr das ja auch nicht, sagen sie.
Und da kommen wir zum nächsten Hauptschuldigen, und das sind:
Prügelwerfer 3: Hochhauser und Salzburg
Die offiziell so sehr auf die auch für Österreich wertvolle Nachwuchsarbeit ausgerichtete Fußball-Sektion der Marketingabteilung von Red Bull in Salzburg, vor allem Manager Heinz Hochhauser, hat den Flächenbrand der heimischen Abstellungs-Wurtschigkeit entfacht.
Salzburg tut so, als würde man auf die jungen Herren Hinteregger, Teigl, Meilinger und Offenbacher nicht verzichten können, als würde von deren Einsätzen der Erfolg in der Meisterschaft abhängen. Man brachte Martin Hinteregger dazu, ein bereits zugesagtes Trainingslager zu schwänzen, man behielt Georg Teigl, als Flügelspieler etwa die Nummer 5 im Kader, zurück.
Hochhausers Haltung, seine Taten, sind ein Fanal, unverfroren und beleidigen die Intelligenz.
Dass Mittelfeldspieler Klem, der wohl die Abwehr verstärken wird müssen, in der offiziellen ÖFB-Aussendung als Stümer angegeben wird - geschenkt! Da passiert gern und oft Schlimmeres. Dass alle Medien diesen Schwachsinn einfach nachdrucken, das ist viel Bezeichnender.
Dragovic würde übrigens, auch wenn die Kronen-Zeitung ihn da bewußt fehlzitiert gerne spielen beugt sich aber den Realitäten.
Glücklicherweise haben die anderen Bundesliga-Klubs nicht komplett nachgezogen. Die Austria hat, dank Karl Daxbachers Weitsicht, nicht auf Emir Dilavers Daheimbleiben bestanden, obwohl der nach dem Abgang von Baumgartlinger die Nummer 2 auf der 6er-Position ist.
Mattersburg und Ried stellen, ohne herumzutaktieren, gleich mehrere Kader-Mitglieder. Und auch Sturm würde wohl Klem und Flo Kainz hergeben - aber dieses Problem hatten wir schon.
Der Sündenfall ist in Salzburg passiert - und das ist deshalb so fatal, weil das in Deutschland am ehesten wahrgenommen wird.
Mitschuld an der Blamage ist aber auch, wahrscheinlich sogar in allererster Linie der Verband.
Prügelwerfer 4: der ganze ÖFB, Präsident und Sportchef
Klar gibt es keine Freistellungs-Direktiven durch die FIFA. Aber das wußte man.
Man weiß auch seit dem Vorjahr um den Termin der WM.
Und dass man mit den Vereinen reden muss.
Dringend und ausführlich.
Und hätte längst einen Generalvertrag mit der Bundesliga schließen können - erpresserische Gegengeschäfte mit der Liga lassen sich schon einrichten, wenn man will.
So befindet sich der ÖFB-Präsident auf einer viel zu späten und unglaubwürdigen Bettel-Tour, die ihn nur als König ohne Land alt aussehen lässt.
International liess man den ohnehin schon mit Vorbereitung und Trainingslagern überlasteten Heraf sich allein zersprageln anstatt da auf sportdiplomatischem Weg schon längstens Gut-Wetter gemacht zu haben.
Es ist ein wenig armselig wenn der ÖFB Franz Beckenbauer als Unterstützer für 'überhaupt und so, yeah!' präsentiert und es dann nicht schafft diesen "Paten" einzusetzen um David Alaba, das Herz und Hirn der Mannschaft, den eigentlichen Strategen und Chefcoach auf dem Platz, ohne den sich das Team nie qualifiziert hätte, nach Kolumbien zu bekommen.
Sich mit dem Firlefranz fürs Familienalbum fotigrafieren zu lassen allein ist zu wenig, da hätten sich Windtner und Ruttensteiner schon in langfristige Lobby-Arbeit schmeissen müssen.
Andererseits: ist von einem Verband, der aus einer internationalen Pressekonferenz nach einem EM-Qualispiel eine reine Verarsche macht, echter Einsatz zu erwarten? Eben.
Dass sich ÖFB und Heraf zu wenig und zu spät bemüht hatten, das bestätigt indirekt und direkt Paul Gludovatz, wenn er seine Anstrengungen anlässlich der 2007er-WM in Kanada vergleicht.
Dazu kommt eine absolut ungenügende Vorbereitung.
Österreich hat von allen Mannschaften die kürzeste.
Und Österreich reist von allen Mannschaften am allerspätesten an (das auch noch saunageschwächt und mit Schlafentzug, wie wir jetzt wissen...), weniger als eine Woche vor Start.
Gruppengegner Panama etwa spielt schon seit Wochen Tests in Südamerika, auch schon prophylaktisch in der Höhenluft in Ecuador.
Die Gruppenspiele in Barranquilla und Cartagena entheben uns des Problems der Höhenluft (das würde erst ab dem Achtelfinale auftauchen) - an der Küste herrscht feuchte Hitze und da ist einzig eine rasche und effektive Akklimatisation wichtig. Also die frühestmögliche Anreise. Ist nicht passiert. Trotzdem man's weiß.
Dass ausgerechnet hier, ausgerechnet beim Nachwuchs, ausgerechnet bei dieser Weltmeisterschaft diese biedere, peinliche Knausrigkeit des Verbands durchschlägt, dass ausgerechnet dieses Jahrzehnte-Ereigniss einer WM in Südamerika (denn nach Brasilien 2014 wird es kein Österreicher, es sei denn ein Schiedsrichter, schaffen) durch die organisatorische Dürftigkeit des Verbands fahrlässig aufs Spiel gesetzt und massiv gefährdet wird, spottet jeder Beschreibung.
Die einzige Hoffnung ist dass die anfangs erwähnte B-Mannschaft sich den Schlafentzug nicht gefallen lässt, die Hitze verträgt, den allzu exotistisch-rassistisch-touristischen Blick, den vor allem männliche Österreicher im fernen Ausland gern annehmen, schnell ablegt, sich keinen Virus einfängt, sportlich über sich hinauswächst und ein kleines Wunder schafft.
Ich bin aber genau das, diese dauernde Notwendigkeit auf Wunder hoffen zu müssen, auf irgendwelche Neo-Cordoba-Generationen warten zu müssen, die dann die verheerenden Strukturen und Nach/Unzulässigkeiten im System ÖFB überdecken und überkommen, wirklich leid.
Du auch?
Denn jegliche, nicht nur sportliche Arbeit gründet sich auf dem Versuch sich vom reinen Glück unabhängig zu machen und Strukturen zu schaffen, die als Ausgangsbasis für Nachhaltigkeit dienen.
Alles andere ist nur lulu.