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Todor Ovtcharov

Der Low-Life Experte

6. 7. 2011 - 10:31

Gevatter Tod

Terry Pratchett will sterben.

Zuerst wollte ich es nicht glauben. Pratchetts Bücher entdeckte ich irgendwann zwischen meinem zehnten und elften Lebensjahr und bin mit ihnen aufgewachsen. Die Scheibenweltstories faszinierten mich fast so sehr wie die Bücher Jules Vernes und ich konnte, bis ich vierzehn war, irgendwie mit der Produktvität Pratchetts mithalten.

Ich las sie wie besessen. Ich las sie in der Straßenbahn, ich las sie zu Hause und ich las sie sogar im Unterricht. Ich weiß nicht, ob ich zu dieser Zeit in Sofia oder in Ankh-Morpork gelebt habe. Meine Heimatstadt wurde genau wie die größte Scheibenweltmetropolle von den Gilden der Diebe und der Mörder regiert. Der Gestank des „Perlovska“-Flusses, den ich jeden Tag auf meinem Schulweg überqueren musste, war genau so schlimm, wie der des großen Flusses Ankh. Meine Lehrer an der Schule erschienen mir genau so dumm und unfähig wie die Professoren an der Unsichtbaren Universität. In diesem Ambiente ist es verständlich, dass die Grenze zwischen Fiktion und Realität manchmal etwas verschwommen wirkt.

Terry Pratchett

epa

Terry Pratchett ist nicht nur mein Kindheitsheld und einer der meistgelesenen und bestverkauften Autoren unserer Zeit. Die Welt, die er geschaffen hat, ist im Gegensatz zu der Welt Tolkiens und die Welten anderer Fantasygrößen eine heldentumfreie Welt. Er gab den Fantasyprotagonisten menschliche Eigenschaften. Rincewind – der dümmste Zauberer der Welt, ist feige, gierig und pessimistisch. Der Captain der Staatwache und Zwerg de jure Carrot Ironfoundersson ist gutmütig, aber naiv. Der über Ankh-Morpork regierende Patritzier ist kaltblütig wie die meisten wirklichen Politiker oder Manager. Pratchett nahm die Weltgeschichte mit ihrer ganzen Relativität und implantierte sie in der Scheibenwelt, der auf eine riesige Schildkröte durchs All wandert. Und all das garniert mit einer Portion schwarzen Humors.

Illustration des Gevatter Tod von Josh Kirby

Josh Kriby

Eins der wichtigsten Charaktere Pratchetts ist Tod. Ein zwei Meter großes Skelett in einem Kaputzenumhang, der MIT SO EINER STIMME SPRICHT. Tod erinnert die Scheibenweltbewohner daran, dass sie auch sterblich sind. Nun will Terry Pratchett endlich Tod selber treffen. Ob er so aussehen wird, wie er ihn sich vorgestellt hat? Ich will in keine großen Diskussionen über das Thema Sterbehilfe eingehen. Laut Albert Camus ist die Frage, ob wir uns das Leben nehmen dürfen, die wichtigste philosophische Frage der Welt. Gehört unser Leben uns oder haben wir es von Gott bekommen? Terry Pratchett ist selbst der Schöpfer. Er hat eine Welt geschaffen: mit ihren eigenen Gesetzen, Bevölkerung und Wertesystem. Ich habe diese Welt gesehen, nein, ich habe sogar dort gelebt, glaubt mir! In dieser Welt hat er Tod erfunden. Und jetzt will er den Tod treffen, bevor Alzheimer ihn vergessen lässt, was er erschaffen hat.

Ich respektiere seine Entscheidung. Hemingway hat sich erschossen, Jack Kerouac starb vom Alkoholismus und Puschkin in einem Duell. Heute leben sie immer noch durch ihre unsterblichen Werke. Auch Sir Terry wird durch seine Bücher weiterleben, denn sie haben in unzähligen Menschen dieses Planeten Emotionen gebracht. Deshalb werde ich nicht weinen.