Erstellt am: 4. 7. 2011 - 21:30 Uhr
Journal 2011. Eintrag 130.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.
Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute noch einmal mit einem Eintrag, der der Jahres-Konferenz des deutschen Journalisten-Zusammenschlusses Netzwerk Recherche in Hamburg zu verdanken ist,
Freitag, Teil 1: Die Häppchenkamera und andere Begebenheiten auf der Hamburger Journalisten-Konferenz.
Samstag, Teil 2: Günter Grass, Sisyphos und die Systemfrage.
Sonntag, Teil 3: Die deutschen TV-Quasselrunden, die alten Sehnsuchts-Räume des Club 2 und die österreichische 'contra'-Chance.
Manchmal lässt sich auch aus den ödestmöglichsten Dingen Erkenntnisgewinn ziehen. Etwa aus einer 'Wozu braucht's öffentlich-rechtlichen Rundfunk?'-Debatte; die auch in Deutschland, und selbst unter den Qualitäts-Journalisten auf tiefstem Niveau stattfinden kann. Das hat vor allem mit einer Figur zu tun, die wohl die Titanic und Sonneborn erfunden hat. Denn echt kann dieser "Feuilletonchef der FAZ", der sinn-, wissens-, fakten- und ideenfrei, aber auch voll von Distinktions- und Klischeemief steckte und sich mit einer Gag-Kandidatur für den ZDF-Vorsitz horstschlämmermäßig in Stellung brachte, doch nicht sein, oder?
Sein Widerpart bei einem Streitgespräch, dessen Wert sich durch die Penetranz des Spaß-Kandidaten gegen Null einpendelte, war die große Hoffnung der deutschen Publizistik: Jakob Augstein, Verleger-Sohn, Freitag-Verleger und eine Art Giovanni di Lorenzo mit Kante.
Augstein wollte das Gespräch in die aktuelle Kampfzone führen, die hinter der jüngsten Debatte um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland steht: den Einsatz im Netz. Nachdem im Vorjahr der Irrsinn rund um die Depublikationen tobte, findet der Grabenkampf zwischen Verlegern und ARD/ZDF nun rund um die Tagesschau-App statt. Da der Darsteller der Claudius-Seidl-Figur auch dazu nichts wusste, hatte Augstein nix zu diskutieren und das Panel zerbröselte zu einem Prosecco-Stammtisch. Es wäre mir schon längst entfallen, wenn mir nicht angesichts der Bemühungen von Augstein jr. etwas schon länger Gedachtes, aber dann wieder Weggeschobenes wieder eingefallen wäre.
Die Verleger als Kühlschränke-Vertreter in Grönland
Der abstraktionsfähige Augstein dachte nämlich die Rolle der großen Verlagshäuser mit, und stellte sich so indirekt auch der Frage, wie denn das Geschäftsmodell der Medien im Internet von den öffentlich-rechtlichen so behinderungsfrei wie möglich gestaltet werden könnte.
Das ist nett, denkt aber den großen Denkfehler mit, statt ihn einmal kräftig in Frage zu stellen.
Dieses Geschäftsmodell für Nachrichten und Medien im Internet, das die Verlage, die Sender, die Konzerne und die Vertreter deren kommerzieller Interessen als gegeben annehmen, suchen und nicht so recht finden - das gibt es gar nicht.
Ich wüsste nicht, auf welcher Basis das jemals angenommen hatte werden können.
Wer hat den Medienmachern und Verlegern eingeredet, dass es hier Geld zu scheffeln gibt?
Wer hat diesen armen Schweinen das angetan?
Das Netz hat sich, seit seiner zufälligen Erfindung und seiner unkontrollierten Geburt und der unaufhaltsamen und exponentiellen Entwicklung, seit jeher als Anti-Geschäftsmodell präsentiert, zumindest im klassischen Sinn. Das Netz ist ein Verbreiter und Promotor, aber (abseits der reinen Verkaufsvermittlung) keine Cash-Maschine. Das Netz ist frei.
Das alte Geschäftsmodell des Wissentransfers
Klar, dasselbe ist damals im 15. Jahrhundert, als Gutenberg die Menschheit mit der Erfindung des Buchdrucks in eine neue Galaxis schoss, gesagt worden. Das Druckwerk wandte sich gegen das Geschäftsmodell des Herrschaftswissens und verbreiterte die Machtbasis von Kirche und Fürsten um eine bürgerliche Elite.
Die sorgte dann ihrerseits dafür, dass die Segnungen des Wissens und der Bildung, die das geschriebene und leicht zugängliche Wort nach sich zogen, gedrosselt wurden, was dann wiederum das Geschäftsmodell der Informationspoltik und der Medien begründete.
Das Internet lässt die Wissens/Informationswelt nun wieder eine Klasse nach unten rutschen, ganz automatisch geht das, weil es kinderleicht ist, und die Kinder, alle Kinder, alles bedienen können. Und weil es unter dem Bürgertum, unter der Elite nur mehr eine Klasse gibt, weil der Mittelstand ja wegreformiert wurde, ist das Netz das Medium für alle. Jetzt schon ziemlich, künftig komplett.
Und dieser einmal losgerollte Informations- und Wissenstransfer lässt sich nicht mehr drosseln und aufhalten.
Wo ist der Massen-Markt für Paid Content im Netz?
Ja, die wirklich wichtigen Informationen laufen weiterhin auf anderen Kanälen - dafür sorgt der aktuelle Journalismus, der sein Herrschaftswissen ja auch schon nicht an den Konsumenten weitergibt. Aber Markt lässt sich damit keiner schaffen; okay ein sehr spezieller. Warum funktionieren wohl ausschließlich die Webgebote von Wall Street Journal und Financial Times wirklich?
Die breite Info-Masse, das Tagesgeschäft der Nachrichten, also Euro-Krise, Fukushima, DSK, Gaddafi, Otto Habsburg, Kanzlerfest, Strasser-Grasser, Hitlers Ehrenbürgerschaften etc., laufen längst über alle Kanäle. Sind nicht mehr zu dämmen. Und nur damit ist Geschäft zu machen, nachrichtentechnisch.
Klar, es gibt die Nischen, die Experten, die per Flattr oder per Abo oder per Werbebanner oder sonstwie leben können - aber das ganze große globale Verleger-Geschäft durch den schnellen Verkauf von schnellen Nachrichten, Gerüchten, Verschwörungsthesen und Unterstellungen, das gibt es im Netz nicht. Das Netz ist dafür zu frei. Und wird sich auch durch chinesische Methoden nicht mehr auf ein 1.0-Level runterholen lassen.
Es gibt also kein Geschäftsmodell.
Nicht im Netz.
Und bald auch sonst nicht mehr. Bald jetzt im Sinn einer historischen Betrachtung, nicht morgen.
Lewis-and-Clark-Imitatoren auf der Suche nach dem Claim
Es geht für Medien auch längst nicht mehr darum nur Information zu bringen, es geht drum die Übergänge zu erkennen und Systematiken zu schaffen.
Aber das ist eigentlich schon ein anderes Thema.
Das heutige ist simpler: irgendjemand, wahrscheinlich der allererste "Ich-kenn-mich-super-aus!"-Konsulenten-Poser hat den Menschen, die am meisten Angst vor Veränderung, Kommunikation und neuen technischen Entwicklungen haben, den Medien-Managern und Verlegern also, eingeredet, dass sie da in diesem neuen Ding, dem Internet, eine Art "Wilden Westen" vor sich haben, der nur drauf wartet, erobert, parzelliert und ausgebeutet zu werden. Und weil das danach einer dem anderen erzählt hat und nie jemand der Goldgräber-Stimmung widersprechen wollte oder es aus ganz opportunistischen Gründen nicht tat, glauben sie heute noch dran.
Und alle ringsherum auch. Selbst die schlauesten Denker der deutschen Publizistik.
Irgendjemand hat den Medienmachern eingeredet, dass sie im Internet mit Information Geld machen können. Irgendjemand sollte sie nun schnell mit der bitteren Wahrheit konfrontieren.