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Natalie Brunner

Appetite for distraction. Moderiert La Boum de Luxe und mehr.

4. 7. 2011 - 17:34

Ghostpoet

Live life and try to survive it...

Man soll den Tag nie vor dem Abend loben, aber ich glaube, man begibt sich nicht zu tief ins Reich der Spekulation, wenn man behauptet, dass der britische MC Ghostpoet eine der Entdeckungen des Jahres ist.

Ghostpoet stammt aus London, hört im wirklichen Leben, sofern es so etwas gibt, auf den Namen Obaro Ejimie. Er hat nigerianische Wurzeln und einen Akzent, der manchmal bei seinen Reimen durchscheint. Ghostpoet ist laut seinen Lyrics Mitte Vierzig und das ist ein doch hohes Alter für ein Debüt. Man spürt, dass in "Peanut Butter Blues & Melancholy Jam" einiges an Lebenserfahrung aber auch an Bitterkeit steckt. "Live life and try to survive it" ist das Mantra, das aus Ghostpoets zweiter Single hängen bleibt.

Ghostpoet kommt aus dem Schattenreich, ist eine gebrochene Geisterstimme, die nach der letzten Afterhour in unserem Kopf zu spuken beginnt und Dinge in den Kopf pflanzt, die tagelang nicht mehr verschwinden. Einmal "Survive It" hören und es wird nie mehr etwas anderes in eurem Kopf laufen, wenn ihr des Nächtens mit Kaffetasse in der Hand um die dunklen Ecken eurer Nachbarschaft zieht. Die sprachliche Virtuosität und die teilweise kryptisch verspulte Tiefe von Ghoestpoets Reimen, lassen einen lange nicht los. Es ist ein Album, das es tatsächlich geschafft hat, mir neue Perspektiven zu eröffnen, darüber, wie Leben und Träume sich gegenseitig hineinpfuschen und wie man sich selbst bei größten Katastrophen wieder in Balance schupfen kann: "Seeing life from my granddad's eyes".

Unruhe, Paranoia und Frustration, aber auch Gelassenheit und Melancholie reflektiert der manchmal etwas dissonante Sprechgesang und die von Dub, Hip Hop, Garage und in Spurenelementen Sogar Grime beeinflusste Soundwelt von Ghostpoet. Würde man einen Familienstammbaum von herausragenden britischen MCs und Producern in Personalunion zeichnen, dann gehen wohl einige Blutlinien von Ghostpoet sowohl zu Roots Manuva als auch zu Tricky. Die drei sind Musiker, die sowohl auf textlicher als auch musikalischer Ebene einerseits Neuland geschaffen andererseits die Stadt, die Kälte, die Krise, die Verlorenheit akustisch porträtierten.

Atmosphären und Stimmungen zu beschrieben war eine Qualität, die man dem Reggae Hip Hop Hybrid aus Bristol zuschreibt, ein Sound, der Mitte der 90er den Namen Trip Hop bekam. Ghostpoet ist sehr gut darin uns in seine Welt zu ziehen, darin ist er Tricky vielleicht ähnlich, aber während Tricky in seinen musikalischen Exorzismen sich oft auf seine jamaikanischen Bad Boy Wurzeln bezieht, es zu Ausbrüchen kommt, sind die Dämonen, mit denen Ghostpoet kämpft, strikt in den Grenzen des inneren Kosmos.

Unser Held scheint ein Freund von Substanzen zu sein. Der Albumtitel "Peanut Butter Blues & Melancholy Jam" ist ein Indiz dafür: Unser Mann ist ein großer Freund von Substanzen. Es ist ein smarter Zug im Titel klassisches Frustfressen mit Gemütszuständen zu verbinden. Ein Mensch, der auf seiner Website Rotwein, Absinth, Drogen und porridge with bananas als Einflüsse aufführt, spricht wohl einerseits die Warheit und hat andereseits auch viel trockenen Humor zur Substanzenkühlung.

"Cash and Carry me home", das erste Lebenszeichen von Ghostpoet, ist eine sehr gelungene Meditation über die Dämonen, mit denen man Sonntag Früh bzw. Mittag bzw. Abend zu kämpfen hat. Eine Nummer über die Zeit, zu der man verwirrt bis zum Gehtnichtmehr nach Hause taumelt, sich darüber ärgert, dass man einiges an Substanz verschwendet hat und sich zu fürchten beginnt, dass die morgendliche Leere bis zum nächsten Mittwoch dauern könnte.

Ghostpoet live beim Run Vie am 7. September im Wuk in Wien und am am 25. November beim Stop Spot Festival in Linz.

Aber es gibt auch die Lichtstreifen am Horizont von "Peanut Butter Blues & Melancholy Jam". "Us Against Whatever", eines der schönsten Liebeskonzepte, die in letzter Zeit erdacht wurden.