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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

3. 7. 2011 - 23:00

Journal 2011. Eintrag 129.

Die deutschen TV-Quasselrunden, die alten Sehnsuchts-Räume des Club 2 und die österreichische contra-Chance.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute als Teil 3 ein Rückgriff auf das finale Panel der am Samstag zu Ende gegangenen Jahreskonferenz des Journalisten-Zusammenschlusses Netzwerk Recherche in Hamburg.

Freitag, Tag 1 der Jahreskonferenz des hochkarätigen Journalisten-Zusammenschlusses Netzwerks Recherche in Hamburg.

Samstag, Teil 2: Günter Grass, Sisyphos und die Systemfrage.

Montag, Teil 4: Irgendjemand hat den Medienmachern eingeredet dass sie im Internet mit Information Geld machen können. Irgendjemand anderer sollte sie schnell mit der bitteren Wahrheit konfrontieren.

Das letzte Panel der Journalisten-Tagung des Netzwerk Recherche hieß "Quasseln statt informieren? - Vom Sinn und Unsinn der Fernseh-Talkshows". Der politischen Talkshows wohlgemerkt. Will, Meischberger, Illner, Plasberg und bald auch Jauch, wochentäglich und in Konkurrenz.

Das auf Effekt und Pose hingezirkelte Talkrunden-TV hat die politischen Magazine, Dokus und In-Depth-Interviews abgelöst - und diese Entwicklung wird als zentrales Symptom für die schwächer und populistischer werdende politische Debatte in Deutschland herausgestrichen; nicht nur von Günter Grass in seiner abgezirkelten Wutrede, sondern durchaus flächendeckend in jedem Panel, das einigermaßen gesamtheitlich argumentierte.

Da diese Entwicklung in Österreich noch nicht angekommen ist, und sich die Kultur der heimischen TV-Diskussions-Sendungen gerade halbwegs erholt hat, war der Vergleich für mich doppelt interessant.

Aber der Reihe nach:
Bernd Gäbler, ehemaliger Geschäftsführer des Grimme-Instituts, hat für die Otto-Brenner-Stiftung eine kleine Studie erstellt. Und weil auch in den deutschen Medien die schärfsten Kritiker der Elche früher selber welche waren - er war Redakteur bei Schreinemakers, also bei Quoten-Kommerz-Talk par excellence.

Im deutschen TV wird jeden Tag politgetalkt

Gäbler konfrontierte (pointiert unterstützt von der famosen Jutta Ditfurth) den Verantwortlichen für die ab September 5 wöchentlichen (und oft recht gleichartigen Talks), Thomas Baumann und den Leiter der sat.1-Talksendung "Eins gegen Eins" (kennt das jemand?) mit einer unbarmherzigen Analyse.

Anstatt Forum einer gesellschaftlichen Selbst-Verständigung zu sein, bieten die Talkshows Elite-Streit unter nur anthropolgischer Einbeziehung von "Betroffenen", was zu einer zunehmenden Entfremdung zwischen Politik und Lebenswirklichkeit führt.

Im übrigen wurde das Netzwerk Recherche an diesem Wochenende selber Gegenstand von Recherche; aus gutem Grund.

Anlässlich der am Rande der Veranstaltung stattfindenden Vorstandssitzung wurde bekannt dass der Verdacht bestünde Fördergelder (der Bundeszentrale für politische Bildung) nicht korrekt verbucht zu haben. Die Deutschen lösen das, nachdem sie ein paar Stunden kabbeln und aufgeregt sind, meist schnell und ordentlich: die Gelder wurden sofort zurückgezahlt, der Vorsitzende Leif tritt zurück, der restliche Vorstand (vor allem SZ-Star-Aufdecker Hans Leyendecker) ordnete eine Untersuchung durch zwei Wirtschaftsprüfer an. Im Herbst wird dann ein komplett neuer Vorstand gewählt.

Ob und inwieweit der für die Finanzen zuständige Chef Leif beim Antrag für die Fördergelder geschummelt hat, ist noch unklar. Persönliche Bereicherung gab es jedenfalls keine. Die Süddeutsche berichtet - etwa im Vergleich zur FR - scharf, man darf jedoch die Parteilichkeit der Berichterstatter (über die im Bereich Medien-Berichterstattung auf der Konferenz auch überaus kritisch debattiert wurde) nicht übersehen.

In Österreich hätte ein solcher Vorgang im übrigen wohl nichts ausgelöst: er wäre unbeachtet und folgenlos geblieben.

Die Themensetzung ist nie vorausschaunend, immer reaktiv; und begrenzt. Man hechelt die Schlagzeilen-Topics durch, versucht die Echtzeit-News einzuholen, schafft es so aber nicht einmal mittelfristige Entwicklungen abzubilden (die arabischen Revolutionen etwa kamen kaum vor). Die Auswahl der immerselben Gäste hat einen neuen Typus von Politiker, den unterhaltsamen aber substanzlosen Geschichtenerzähler, hervorgebracht.

Reflexartig werde auf One-Trick-Ponys und Gag-Auftritte (der Grieche aus der Lindenstraße anlässlich der Griechenland-Krise) zurückgegriffen, anstatt eine tatsächlich kompetente Runde zusammenzusetzen.

Pfallers One-Trick-Pony und die Sehnsucht nach dem Club 2

Es geht darum Meinungs-Slots zu füllen - dabei zitierte der Diskussionsleiter Lutz Hachmeister vom Institut für Medienpolitik den österreichischen Philosophen Robert Pfaller, der diese Diskutanten als One-Trick-Pony bezeichnet hatte.

Die redaktionelle Dramaturgie überlagert die Möglichkeit der freien Entwicklung eines realen Gesprächs und drängt es in eine zu klar vorgegebene, quasi-geskriptete Pseudo-Reality-Show. Zuspieler und andere Gimmicks dienen auschließlich der Unterhaltung, dem "Gehen Sie nicht weg", also der Quote, die so klar vor dem Auftrag sich an der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung zu orientieren steht, dass eben nicht mehr seriös die Rede von Polit-Talks sein könne.

Das und vieles anderes mehr ging danach hin und her - jeder, der diese Talks kennt, kann sich das vorstellen.
Dazwischen blitzte immer wieder, in zwei, drei, dann vier Wortmeldungen, bei fast allen Diskutanten immer dann, wenn es um eine Positiv-Referenz ging, die man anstreben könnte, der Begriff "Club 2" auf.

Und das ist schon seltsam.
Seltsam im schönsten Sinn.
Dass ausgerechnet eine österreichische Erfindung, ein eher unstrukturiert und ohne Gimmicks laufendes Gespräch zwischen wild Zusammengewürfelten selbst im strengen Medien-Deutschland noch diese Sehnsuchts-Räume öffnet.

Die Jungen schauen sich das aber nicht mehr an...

Ich konnte dann nicht anders, als meinen Senf dazuzugeben, auf den aktuellen, durchaus gelungenen Rerun des Club 2 und sein vielleicht wichtigstes Feature (die nicht ausdefinierte Länge, das Open End) hinzuweisen und dann einen Aspekt anzusprechen, der von Gärber nur sehr kurz und von Baumann in leiser Resignation angesprochen wurde: dass die politischen Talk-Shows an den Jungen komplett vorbeilaufen würden.

Interessanterweise kamen von allen vier Diskutanten Reaktionen - denn die Wichtigkeit, sich um die jüngeren Zuschauer zumindest zu bemühen, sie zumindest mitzudenken, die ist bei den Deutschen da.

Im Club 2 gab es unlängst, und zwar bei einem Griechenland-Wirtschaftsthema, eine reine Frauenrunde; einfach so, ohne Quotenheini, wohl um zu zeigen, dass sich das ausgeht, ganz ohne klassische "Besetzungen". "Im Zentrum" ist, seit es nicht mehr im Haas-Haus ist, deutlich besser geworden. Und die Kreuz-&-Quer-Diskussionen sind sowieso Klasse.

Keiner unter 40 sieht sich das an.
Da niemand am Panel von Gegensteuerungs-Maßnahmen sprach, hab ich nachgefragt.

In einer durchaus ähnlichen Diskussion in Österreich habe ich in der Vorwoche die komplett gegenteilige Reaktion erfahren. Als ich - anlässlich eines ähnlich kurz/resignativ abgesprochenen Quasi-Jugendverzichts bei einer durchaus genauso wichtigen Thematik die Notwendigkeit von Gegensteuerungs-Maßnahmen thematisiert habe, hab ich von einer hiesigen Runde Abwehrhaltung und Desinteresse signalisiert bekommen, in jedem Fall nicht die Neugier und das Wissen um die Notwendigkeit dieser strategischen Überlegungen, die hier in Hamburg sofort greifbar waren.

Das Experimentierfeld 'contra'

In Deutschland hatte selbst der Sat.1-Mann Selbstkritisches zu sagen (sein österreichisches Äquivalent blieb komplett stumm), forderte der streitbare Gäbler Experimente in den dritten Programmen, live, in einem roughen Umfeld, riskant (erinnerte alles an das, was der Direktor Lorenz wollte, ehe er sich dann doch die Late-Nite mit Stermann&Grissemann servieren ließ) und sprach der sanfte Status-Quo-Verteidiger Baumann von der dringend nötigen Verjüngung der Gäste-Struktur und politikerloseren Ansätzen, die da sinnvoll wären. Die Lust des Denkens in Möglichkeiten lag deutlich über dem Panel.

Diese Ansätze gibt es ja, in der Praxis, in einem Programm, das den dritten Programmen der Deutschen entspricht: contra, die Dienstags-Talksendung auf ORF 1. Kein Wunderwuzzi-Format, aber ein Versuch, eine Risikonahme, ein Experimentiertfeld.

Konkrete Themen, Jugendforen, entscheidungsnahe Diskurse, unorthodoxe Konstellationen, neue Formen der Kombination von Reportage und Diskussion - einiges von dem, was Gäbler in seinem Zehn-Punkte-Papier (die vollständige Studie erscheint Mitte August dann hier) fordert, klappt da schon. Und die Bedeutung der Medien, im konkreten Fall des Fernsehens, für "die politische Willensbildung" rückt da ein Stückchen näher.

Wenn 'contra' in den Herbst kommt, dann kann sich daraus was entwickeln. Nein, die Erfolgsgeschichte des Club 2, der selbst die harten deutschen Profis rührselig werden lässt, ist nicht zu kopieren. Aber die Komplett-Resignation, was das Reinholen der jüngeren Medien-Nutzer betrifft, die kann nur so ein Projekt brechen.