Erstellt am: 16. 7. 2011 - 20:56 Uhr
Die FM4 Bücherei mit Clemens Setz
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Gäste der FM4 Bücherei
Die FM4 Bücherei ist keine herkömmliche Bücherei, in der man Bücher ausleiht, sondern eine, in der Bücher vorgestellt werden.
Der oder die BesucherIn der FM4 Bücherei stellt seine oder ihre drei Lieblingsbücher vor, bzw. Bücher, die man durchaus lesen sollte.
Diesmal zu Gast: Clemens Setz
Clemens Setz ist in mehrfacher Hinsicht eine große Ausnahme in der österreichischen Literatur: Während seines Studiums schreibt er den ersten Roman "Söhne und Planeten", zwei Jahre später legt er mit "Die Frequenzen" einen Roman mit über 700 Seiten nach und wird für den Deutschen Buchpreis nominiert. Wiederum zwei Jahre später erhält er für den Erzählband "Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes" den Preis der Leipziger Buchmesse.
Das Besondere daran - Clemens Setz ist gerade mal 28 Jahre alt, äußerst freundlich, zuvorkommend und witzig.
In der FM4-Bücherei erzählt er, dass er als Jugendlicher mit einem Freund Stermann und Grissemann kopiert hat und so mit dem Schreiben begonnen hat. Und er zeichnet sein "Wahres Selbst". "Ich zeichne nicht mich, wie ich glaube, dass ich aussehe". Das Ergebnis ist ein Pinguin, mit dem habe er viel gemeinsam: "Ich bin monogam, hab etwas Rundes an mir, meine Füße sind irgendwie auseinander, ich hab einen Watschelgang, und je älter ich werde, desto eigenartiger wird mein Blick – ich hab einen entsetzten Vogelblick."
Clemens Setz ist häufig in Buchhandlungen und Büchereien anzutreffen. Allerdings nicht bei den Neuerscheinungen: "Ich geh lieber zu den richtigen Sachen, zu den alten Sachen."
Bücher behandelt er feinfühlig und vergleicht sie mit Hotelzimmern: "Sie überleben einen und sind sicher länger da als der Besitzer. Man ist also nur ein Besucher bei ihnen oder man mietet sie. Ich hab auch immer das Bedürfnis, sie sauber zu halten: Verlassen Sie den Raum so, wie Sie ihn vorzufinden wünschen. Darum schreibe ich auch wenig rein und wenn, dann radier ich das sofort wieder aus.
Ich mag das auch gern, wenn Bücher wie so eine Währung sind, die weiter im Umlauf sein soll, um Sinn zu ergeben. Bücher einfach so zu horten, das hat was Widernatürliches."
fm4/zita bereuter
In diesem Sinne - hier die transkribierten Buchempfehlungen von Clemens Setz:
Kobo Abe: Die Frau in den Dünen.
ullstein verlag
"Kobo Abe ist so eine Art Kafka von Japan. Er ist der Vertreter des existentialistischen Romans, der existentialistischen Parabel. Er hat eine unglaubliche Bösartigkeit und Kälte und ein beeindruckendes Mitleid mit allen möglichen Kreaturen gleichzeitig – was immer die interessanteste Mischung ist.
In dem Roman geht’s um einen Mann, der auf Insekten- bzw. Käfersuche ist. Er geht an den Rand einer Stadt und fällt dort aus Versehen in eine Sandgrube. Er kommt nicht mehr heraus, versucht zu klettern, der Sand gibt nur nach, und er merkt, hinter ihm, in dieser etwas größeren Grube, ist ein Haus. Und da ist eine Frau drin. Er begrüßt sie, versucht mit ihr rauszukommen. Sie hilft ihm nicht wirklich, und dann kommen oben Leute und schauen runter, und er ruft um Hilfe. Aber auch die helfen nicht, sondern sagen ihm, er soll den Sand schaufeln.
Er versucht zu entkommen, kommt aber nicht raus, und natürlich baut sich eine Beziehung auf mit dieser Frau: Also sie reden miteinander, kommen sich zwangsweise näher. Er hasst diese Situation zwar, aber es gibt nichts anderes, man lässt ihn nicht raus.
Er ist so ein Arbeitssklave, der Sand schaufelt und für die Leute im Dorf arbeiten soll. Die machen das regelmäßig, wie sich rausstellt.
Und die Frau, die auch eine Gefangene dieser Grube ist, ist froh, dass sie Gesellschaft hat. Ich möchte das Ende nicht verraten, aber das Ende ist exquisit.
Es ist vielleicht pessimistisch und bösartig zynisch, aber es ist witzig, und es ist auch am Ende in einem gewissen Sinn sehr rührend und wahr – es berührt einen, weil genau so sind die Menschen, genauso funktioniert es. Man hat eine Art Epiphanie am Ende, man sieht die Welt deutlicher. Von Spinnweben befreit."
W. G. Sebald: Die Ringe des Saturn
fischer verlag
"Vielleicht ist das das vollkommenste Buch, oder das Buch, das man ohne Widerstand lesen kann. Es entspricht mir ganz von der Art, wie es gebaut ist, der Ton, die Sicht auf die Welt.
Das ist etwas Besonderes, weil es die Sebald-Magie in einer elementaren und klaren Weise zeigt.
Es ist eine Art Reisebuch. Sebald ist irgendwann in den 1990er Jahren an der Ostküste Englands durch die Grafschaft Suffolk gewandert, am Meer entlang und durch verschiedene kleine Städte und hat im Grunde nur Dinge aufgeschrieben und beschrieben, die ihm dort auffallen und an die ihn die Orte oder die Museen dort, oder Häuser, alte Denkmäler und Friedhöfe erinnern, oder er erinnert sich an Sachen, die dort passiert sind, vor vielen Jahrhunderten, oder irgendein Hafen erinnert ihn an die Heringsfischerei ... Über dieses sehr, sehr simple Muster des Erzählens – einfach nur assoziativ – kommt er zu unglaublich poetischen Augenblicken und Beschreibungen, wo einem das Herz stehenbleibt. ... Er ist ein Schriftsteller völlig ohne Haut. Die Empfindungen selbst von einem Zimmer oder von einem Bahnhof, von kleinen Tieren oder einem leeren Käfig, gehen so halluzinatorisch in ihn hinein und dann auch wieder in Sprache aus ihm hinaus – das macht einen völlig wehrlos beim Lesen."
Michel Faber: Under the Skin. Die Weltenwanderin
Canongate Books Ltd
"Leider ist der Titel sehr schlecht übersetzt.
Michel Faber ist ein Holländer, der als kleines Kind mit seinen Eltern nach Australien ausgewandert ist und heute in Schottland lebt – in einem kleinen verlassenen Bahnhof.
Das ist ein Sciencefiction Roman.
In dem Roman geht es um eine Frau namens Isserley. Sie fährt mit dem Auto in dieser etwas menschenleeren schottischen Landschaft herum und nimmt Autostopper mit: immer Männer. Immer eine bestimmte Art von Männern. Und sie spricht dann mit ihnen, lernt sie ein bisschen kennen und studiert sie auch. Man weiß nicht genau, warum. Sie hat auch ein bisschen Schwierigkeiten mit der Sprache – sie kommt wohl woanders her.
Und dann betäubt sie die Männer und bringt sie weg zu einer Farm.
<<Alle Männer werden von den Menschen, zu denen sie diese bringt - „Wotzel“ genannt. Nicht Menschen - Menschen nennen sie sich selber. Bald wird klar, dass es irgendeine Art von ... hm ... Außerirdischen vielleicht ist, aber eine Art von Wesen sind, die von woanders herkommen und anders ausschauen und nur chirurgisch so gemacht worden sind, dass sie wie Menschen ausschauen. Oder wie wir. Sie nennen sich selbst Menschen und uns nennen sie Wotzel.<<
kiwi verlag
Und wir sind sozusagen das Material für sie – so wie die Tiere der Welt für uns das Material sind, aus denen wir Dinge herstellen oder die wir essen.
Das klingt jetzt wie eine sehr, sehr primitive Ökoparabel, ist es aber überhaupt nicht. Es ist ein ganz feines psychologisches Portrait einer Außenseiterin, von jemandem, der in einer falschen Welt ist. Eine Liebesgeschichte ist es auch noch. (...)
Es ist schwer zu beschreiben. Ich merke, wenn ich es nacherzähle, dass es banal wirkt. Aber dieses Buch hat einen Zauber, den man durch eine Beschreibung gar nicht wiedergeben kann.
Es ist auch sehr spannend und hat Elemente von einem Thriller, aber es ist mit einem derartigen Gespür für feine Nuancen der Empfindung geschrieben.
Es ist ein sehr merkwürdiges Buch und sehr ungewöhnlich. Ich möchte es einfach nur empfehlen."
Die FM4 Bücherei mit Clemens Setz gibt es am Sonntag, 17. Juli 2011, in FM4 Connected (13-17 Uhr) zu hören.
artist | song | |
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Regina Spektor | On The Radio | |
Herman Dune | Tell Me something I donât know | |
Breathe Owl Breathe | Swimming | |
Iron & Wine | Walking far from Home | |
The Miserable Rich | For Heavens Sake | |
Gustav | Total Quality Woman | |
Peter Licht | Neue Idee |
Außerdem ab Montag, 18. Juli: Gebucht. Mit Clemens Setz auf Gullivers Reisen. Eine Sommer-Lese-Aktion.