Erstellt am: 2. 7. 2011 - 15:44 Uhr
EVE Online: Bezahlen für den Sieg?
Für den isländischen Indie-Gamesentwickler CCP war der Juni ein PR-Desaster. Innerhalb weniger Tage kündigten Spieler mehr als 4500 Konten von EVE Online, dem bisher einzigen Spiel der Firma. In den Webforen zum Spiel entstehen Diskussionen von mehreren hundert Seiten Länge. Massively, die vielleicht wichtigste Website für MMO-Spielkultur, titelt gar: The day that EVE Online died. Bei den Spielern ist die Sorge um die Weiterexistenz „ihres“ Spiels tatsächlich die treibende Kraft hinter den Protesten, die wiederum selbst zum Ende von CCP und damit EVE führen könnten.
EVE Online gilt zu Recht als das härteste Onlinerollenspiel. Die Niederlage in einem Konflikt kann in EVE zum Verlust von Assets führen, für deren Aufbau man Wochen oder gar Monate verbracht hat. Das Geschehen in dem SciFi-Spiel findet – höchst ungewöhnlich für ein MMORPG – auf einem einzigen Servercluster statt: 330.000 Spieler befinden sich in der gleichen Welt (im Gegensatz zu den meisten anderen Onlinerollenspielen, bei denen nur wenige tausend Spieler auf Dutzenden voneinander getrennten Servern/Welten agieren). Das Zusammenspiel von so vielen Akteuren und die überdurchschnittliche Härte von EVE Online ergeben eine höchst ungewöhnliche Sandkiste, in der sich jeder ganz individuelle Ziele steckt und in der vor allem erwachsene Science-Fiction-Liebhaber ihre Zeit verbringen.
Vor einigen Tagen veröffentlichte CCP die EVE-Erweiterung „Incarna“. Sie bereichert das Spiel unter anderem um die Möglichkeit, die Raumstationen der SciFi-Welt auch mit menschlichen Avataren zu betreten, anstatt wie bisher ausschließlich mittels Raumschiffen, Fenstern und Dialogboxen zu agieren. Die über zwei Jahre lang angekündigte Erweiterung fiel aber mehr als dürftig aus: Statt der ursprünglich versprochenen riesigen Raumstationen erhielt jeder Spieler ein kleines Hauptquartier, das er derzeit noch nicht verlassen kann. Dafür aber hat CCP in dieses Quartier einen Onlineshop eingebaut, in dem virtueller Schnickschnack für die neuen Avatare verkauft wird – nicht um Spielgeld, sondern eine neue virtuelle Währung, die für reales Geld erworben wird. Erstaunlich am "Noble Exchange Shop" ist vor allem die Preisgestaltung seiner Waren: Ein Paar Schuhe kostet etwa 17 Euro, ein Shirt ca. €27, ein Monokel fürs rechte Auge des Avatars sogar €47. Der sonst gängige Begriff "Micropayment" ist wohl kaum mehr zutreffend.
CCP
Pay to win?
Auf die anfängliche Irritation über die Preise folgte eine noch größere Überraschung: Der Website EVEnews24 wurde ein internes Dokument von CCP zugespielt: Darin wird sehr konkret die Einführung von virtuellen Waren diskutiert, die Käufern auch Spielvorteile verschaffen können. Titel des fünf Seiten langen CCP-Dokuments: „Greed is good“. Die Entrüstung in der Spielercommunity stieg. Sollte ausgerechnet jenes Sandbox-Game, in dem Spieler Monate und Jahre lang auf selbst definierte Erfolge hinarbeiten, die man auch sehr leicht wieder verlieren kann, zu einem „Pay To Win“ (P2W) Spiel gemacht werden? Extrawaffen, mächtigere Raumschiffe, bessere Raumstationen, stärkere Skills - alles gegen echtes Geld? "Nicht mit uns", sagten Tausende EVE-Spieler - und während die Forumthreads auf der EVE-Website rasant wuchsen, leakte der CCP-interne Whistleblower ein weiteres File: Eine E-Mail des CCP-Chefs Hilmar Petursson an seine Mitarbeiter, in der er versucht, firmeninterne Kritiker zu beschwichtigen. „Dies ist eine Zeit, in der wir nicht so sehr darauf achten, was unsere Spieler sagen, sondern mehr darauf, was sie tun", schrieb der Chef inmitten der Proteste an seine Mitarbeiter und motivierte sie zum Durchhalten: "Wir haben bereits 52 Monokel verkauft." Als auch diese Mail auf EVEnews24 für alle zu lesen war, explodierten die Userforen - und eine Austrittswelle begann. Einige Tausend Spieler wechselten zum Konkurrenzgame "Perpetuum Online", wo die Server leicht in die Knie gingen. (Kurios ist dieser Wechsel der Spieler auch deshalb, weil CCP den anfänglichen Erfolg von EVE Online ebenfalls dem plötzlichen Wechsel Tausender Spieler verdankt: nämlich von "Star Wars Galaxies" und "Earth and Beyond" hin zu "EVE".)
"You forget that this game bred us for this war", schrieb ein User an CCP. Auch in EVE selbst wuchs der Protest: Wichtige Sonnensysteme wurden von hunderten Piloten blockiert, das Wirtschaftssystem des Spiels kam für einige Stunden zum Erliegen.
CCP
Der Internet-Radiosender EVEradio strahlte eine dreistündige Debatte zum Thema aus, an der sich Games-Journalisten und langjährige Spieler beteiligten. Brendan Drain, seit 8 Jahren EVE-Spieler und Autor auf Massively.com, in dieser Sendung: "These are all symptons. The scariest part about this: It's obvious that there has been some sort of cultural shift. Something that we have not seen before is now coming into the light and that is what got players really really worried."
Kultureller Wandel
Die Proteste und der vorhin angesprochene kulturelle Wandel sind auch anderswo in der Games-Industrie bekannt. Bei EA Games zum Beispiel freut sich Ben Cousins, Entwickler des P2W-Games "Battlefield Heroes", dass ausgerechnet die aktivst protestierenden Forum-Poster auch jene sind, die dann am meisten Geld für Pay-To-Win Artikel ausgeben: "Forum Posters were spending ten times than what the average user spends during an entire customer lifetime. There seemed to be a disconnect between what they were saying, which was 'I will leave the game and never spend a Penny', and what they were doing, which was sticking around and spending more than ten times what the average user spends."
Die Befürchtungen, CCP könnte EVE Online zu einem Pay-To-Win-Spiel umbauen, werden also durch mehrere Umstände genährt. In den letzten Jahren ist die Zahl der P2W-Spiele dramatisch angestiegen. Sie gelten in der Gamesindustrie mittlerweile als lukratives und daher zukunftsträchtiges Geschäftsmodell. Seine Befürworter betonen, dass sich virtuelle Güter dann am besten verkaufen, wenn sie dem Spieler einen Vorteil verschaffen – und sie heben besonders hervor, dass dieser Vorteil „heimlich“ sein muss, um andere – nichtzahlende - Mitspieler nicht zu vergrämen. Auch Ben Cousins von EA Games betonte auf der letzten Game Developers Conference die Wichtigkeit dieser Geheimhaltung beim Extrawaffenkauf: "In a battle between two players the loser must not know that they've lost because of the use of an item by the other player."
Moralische Bedenken werden mit dem Hinweis auf Vorteile durch bessere Ausrüstung im Motorsport oder beim Golfspiel weggewischt – und mit Hinweis auf die überragenden Geschäftergebnisse. Wie Ben Cousins Lobrede auf Pay-To-Win-Modelle auf der diesjährigen Game Developers Conference genau geklungen hat, lässt sich hier nachhören. Es sind 40 Minuten, aber sie sind so hörenswert wie ekelerregend.
CCP
„Jene Spieler, die sich am meisten im Forum über die Pay-To-Win-Waffen beschwert haben und damit gedroht haben, nicht mehr zu spielen, haben in der Folge am meisten Geld von allen Spielern für diese Waffen ausgegeben“ - die Erkenntnis des "Battlefield Heroes"-Entwicklers Cousins lässt jene firmeninterne E-Mail des CCP-Chefs Hilmar Petersson, in der er zum Ignorieren der EVE-Forum-Posts aufruft, in anderem Licht erscheinen. Petursson wollte nur dem Verhalten der Spieler Beachtung schenken - und er rechnete damit, dass die am lautesten protestierenden auch die treuesten und zahlungswilligsten Spieler bleiben würden. Er hatte sich verrechnet.
Irrtum
Die meisten Spieler von Ben Cousins "Battlefield Heroes", einer Konsolenparodie des Shooter-Genres mit Cartoon-Grafik, sind Kinder und Teenager. Der durchschnittliche "EVE Online"-Spieler aber ist 29 Jahre alt.
Battlefield-Heroes-Spieler mögen nach dem Flaming im Forum vielleicht zum Handy greifen und per SMS-Payment die nächste Extrawaffe kaufen. Doch wenn EVE-User unzufrieden sind, dann kündigen sie ihren Account. Mit diesem Verhalten hatte man bei CCP freilich nicht gerechnet. Was CCP allerdings richtig macht: Die Firma ermutigt die User seit einigen Jahren zur Errichtung einer demokratisch gewählten Vertretung der Spielercommunity, dem sogenannten "Council of Stellar Management" (CSM). Ebendieses diskutiert zu dieser Stunde Grundfragen von Ethik und Pay-To-Win Geschäftsmodellen. Das Positive daran: Die Diskussion findet in Island statt, im Hauptquartier von CCP – denn nach einer Woche extremer Proteste hat sich der EVE-Developer doch zur Kommunikation über die verunglückte "Incarna"-Erweiterung durchgerungen.
Brendan Drain von Massivly denkt allerdings, dass die Entscheidung für Pay-To-Win Angebote bei CCP schon gefallen ist - auf einer Chefetage die sich von der Basis der eigenen Firma und von den Spielern zunehmend entfernt: "They've decided that this is what they're going to do. They're going to take the rest of the company along with them. Customers and players are going to have to go along. The decision has apparently been made that this is CCP's playground now, and we're going to play in it or not play in it – and it's gone away from being the players playground."
Gerade Onlinerollenspiele aber leben von der Partizipation der Spieler. Viele Onlinewelten wurden schon durch diktatorisches Gehabe ihrer Erfinder zerstört. Ein Indiz für solches ist für manche EVE-Fans auch die von CCP geplante Konsolenerweiterung der SciFi-Welt: Denn der First-Person-Shooter "DUST 514" wird sich um die Eroberung von Planeten drehen, das Spielgeschehen von EVE direkt beeinflussen - und laut Greed is good"-Dokument ebenfalls bezahlbare spielbeeinflussende Gegenstände beinhalten. Auch für das dritte geplante Spiel im Portfolio von CCP sind demnach Pay-To-Win-Items angedacht: "World of Darkness", das Vampir-Game zum gleichnamigen Pen-and-Paper-RPG. Diese beiden in Entwicklung befindlichen Spiele sind für EVE-Fans nicht nur wegen ihrer geplanten Bezahl-Items ein Ärgernis: Die Spieler werfen CCP auch vor, dass EVE-Abogebühren seit Jahren überwiegend in die Entwicklung der beiden neuen Games fließen, anstatt in die Weiterentwicklung von EVE selbst. "The day that EVE Online died", die pessismistische Schlagzeile auf Massively letzte Woche, ist für diese Fans bereits wahr geworden. Für andere zeigen gerade die jüngsten Ereignisse, dass EVE das beste Computerspiel ist: Denn die Grundfrage, ob "Pay To Win"-Geschäftsmodelle moralisch vertetbar sind wird anderswo gar nicht gestellt.
Updates über die Ergebnisse des Treffens zwischen CSM (die Spielervertretung) und CCP (die EVE-Developer) gibt es hier in Kürze.
Update 1: Noch kein offizielles Statement, aber einen ersten persönlichen Reisebericht eines CSM-Mitgliedes gibt es hier.
Update 2 - Kein P2W:
Die offizielle Stellungnahme von CCP ist nun da. Darin streitet der Gamesentwickler ab, jemals Bezahl-Items, die den Spieler einen unfairen Vorteil verschaffen würden, geplant zu haben. Das klingt wenig glaubwürdig, doch die Gefahr, dass EVE zu einem P2W-Game werden könnte, scheint damit fürs erste gebannt zu sein. "It is CCP‘s plan that the Noble Exchange (NeX store) will be used for the sale of vanity items only. There are no plans, and have been no plans, as per previous communication and CSM meetings, to introduce the sale of game breaking items or enhancements in the NeX store."
Update 3:
In der Stellungnahme der EVE-Spielervertretung CSM heißt es: "We are convinced that CCP has no plans to introduce any game-affecting virtual goods, only pure vanity items such as clothing and ship skins. We have been repeatedly assured that there are no plans for ‘gold ammo', ships which have different statistics from existing common hulls, or any other feared ‘game destroying' virtual goods or services. We have expressed our deep concern about potential grey areas that the introduction of virtual goods permits, and CCP has made a commitment to discuss any proposals that might fall into these grey areas in detail with CSM at the earliest possible stage."
Ob man den Beteuerungen seitens CCP, dass trotz des geleakten "Greed is good"-Dokuments niemals P2W-Items geplant waren, Glauben schenkt oder nicht: Die Tatsache, dass der Game-Developer sich mit dem CSM getroffen hat, dass er künftige Entscheidungen über Items mit dem CSM besprechen will, und dass es überhaupt so eine Spielervertretung gibt, ist einzigartig in der Welt der MMO-Games.
Zum Abschluss gibt es hier noch das eben veröffentlichte, offizielle Video zur Debatte: Es zeigt CSM-Chairman Mittens und EVE-Producer Arnar Gylfason in einer Diskussion über die Geschehnisse: