Erstellt am: 1. 7. 2011 - 20:19 Uhr
Journal 2011. Eintrag 127.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.
Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit Tag 1 der Jahreskonferenz des hochkarätigen Journalisten-Zusammenschlusses Netzwerks Recherche in Hamburg.
Samstag, Teil 2: Günter Grass, Sisyphos und die Systemfrage.
Sonntag, Teil 3: Die deutschen TV-Quasselrunden, die alten Sehnsuchts-Räume des Club 2 und die österreichische contra-Chance.
Das, was man da vor 11 Jahren losgetreten habe, sagt der Vorsitzende, Thomas Leif, sei mittlerweile die womöglich wichtigste Journalisten-Konferenz Europas.
Ich bin in Hamburg, einem Ort an dem sich derlei Ansprüche schon stellen lassen, in den Räumlichkeiten des mächtigen NDR, und es ist der erste Tag der Jahreskonferenz von Netzwerk Recherche. Und sie sind alle da, die Wortführer und Meinungsmacher, von Giovanni di Lorenzo bis Ines Pohl, vom Spiegel-Chef bis zum dpa-Chef, vom Tagesschau-Verantwortlichen bis Ranga Yogeshwar. Natürlich auch Investigativ-Legende Hans Leyendecker von der Süddeutschen, der ist der Vize von NR, R wie Recherche.
Wahrscheinlich deshalb hat diese Vereinigung das peinigende Wort vom "Qualitäts-Journalismus" nicht im Titel und führt es auch nicht andauernd im Mund, wie das in Österreich, fast schon seuchenhaft, üblich ist. In den fünf Panels, die ich an diesem ersten Tag besuche, kommt der Begriff nur einmal vor, und da wird er mit bewußter Vorsicht verwendet.
Leyendecker spricht von Reportern, Beschaffern und Schreibern, lässt die Unterschiede hochleben und strebt Verquickung an. So gehen die hier mit dem Qualitätsbegriff um.
Sie reden hier miteinander, auf hohem Niveau; die Selbstgefälligkeiten, die in Österreich ganze Runden zuspammen, sind hier - trotz der strengen Stundenlimits der Angebote - nur in Nebensätzen und Untertönen zu hören. Der Rest ist Diskussion, ein Diskurs, ein echter Diskurs. Und das in präzis gesetzten, bewußt Riskio nehmenden Worten, in ziemlicher Klarheit und ohne Scheu vor der Differenz.
Der Unterschied zu dem, was so eine Konferenz in Wien ausmacht, könnte nicht größer, und für uns peinlicher, sein.
Im Folgenden eine Auswahl der Anregungen, die ich heute mitgenommen habe.
Konformismus und Mainstream-Effekt
Der Konformismus der Branche sei der aktuell größte Mißstand, sagt Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der Zeit. Dass man durch allzu viel Gleichzeitigkeit und minderer Überlegung dieselben Themen spiele, dieselben Figuren hochlobe oder niederwürge, dieselben Meinungen durchlaufen lasse. Ein Witz, sagt er, angesichts der tollen Ausgangslage und vergleicht mit Berlusconis Italien (einem failed state, wie Georg Mascolo, der CR des Spiegel, kurz später sagen wird), zitiert aber auch die Ekel-Kehrseite des Gegenmodells, Köppels Weltwoche, und ihre Martyrer-Pose der Dauer-Opposition zu allem.
Jeanne Rubner von der Süddeutschen nennt es noch später den Mainstream-Effekt: alle begleiten dasselbe, schaffen dadurch Nachrichten-wellen, die dann tsunamiartig überschwappen, Ehec lässt grüßen, die Schweinegrippe sitzt im Vorjahressessel und lacht nur laut.
Noch nie haben sich alle so für den Journalismus interessiert
...sagt Mascolo, um festzustellen, dass man aus dieser Interessenlage recht wenig macht. Seit Fukushima verlieren die deutschen Medien fast flächendeckend an Usern - an reine TV.Newskanäle und das Netz. Vielleicht, weil man sich "zu klug" gemacht hat, ohne wirklich was zu wissen, immer nur die aktuelle Sau durchs Dorf getrieben hat.
Diese Gleichzeitigkeit von Interesse und Abwendung verstört di Lorenzo sichtlich.
Journalismus-Verdrossenheit sagt dann Tom Schimmek, ist die kleine Schwester der Politik-Verdrossenheit und er entstehe aus der eigenen Verdrießlichkeit.
Und es kommt, sagt Ines Pohl, die taz-Chefredakteurin, noch eine Menge mehr Alarmismus und Skandalismus auf alle zu.
Politiker lieben die Häppchen-Kamera
Warum sollte, fragt Ilka Brecht, Redakteurin des ZDF-Politmagazins Frontal 21, ein Politiker sich unseren Fragen stellen, wenn ihm die Häppchen-Kameras genügen? Ein paar Worte für die News, zwanzig, dreißig selbstbestimmte Sekunden sind allen allemal lieber als die Gefahr der kritischen Nachfrage; die in den ab demnächst alles zuquatschenden ARD-Dauer-Talkshows auch nicht gegeben ist.
Da fällt mir Gabi Waldners Lamento von letztem Dienstag ein: dass sich der Kanzlerfest-Gastgeber Faymann noch nie dem Report gestellt hat. Ja, eh, warum, wenn es die Häppchen-Kameras auch tun. Immerhin gibt es die ZiB2, die das, was es in Deutschland gar nicht mehr gibt (halbwegs toughe Politiker-Interviews), kultiviert hat.
Be first. But first be sure
Das steht auf den T-Shirts der Helfer. Und es ist ein Grundsatz des NR.
Tempo geht vor Recherche, die Vermutung vor der Gewißheit, sagt Ranga Yogeshwar, wenn er, der gelernte Physiker und Wissenschaftsjournalisten-Zampano, von Fukushima spricht. Tagelange Sondersendungen, in denen es ncihts zu erzählen gab, ein Alptraum.
In diesem Zusammenhang peitschen sie sich selber, die Fachjournalisten und bekennen Versagen. Auch weil der Tsunami und seine Toten so in den Hintergrund getreten wären gegenüber Fukushima und seiner Atom-Gefahr. Yogeshwar zeigt Charts, wie die Wertigkeit war: in den USA oder Frankreich nur Tsunami, kein Atom, in Japan lag die Welle vor dem unsichtbaren Gift, nur in Deutschland war es anders. Alles nur wegen der eigenen Ego-Debatte rund um den Ausstieg, klagen sie.
Österreich ist 78 ausgestiegen und auch hier hat daas Nuklear-Problem die Flutwellen-Toten schon nach drei, vier Tagen deutlich überlagert. Da kommt es halt auf die Verfaßtheit einer Gesellschaft an. Da sind sie in ihrer ein wenig zu hastigen Selbstgeißelung wieder zu vorschnell, die schlauen anatischen Nachbarn.
Tektonische Verschiebungen...
.. ortet der Medien-Wissenschafter Fritz Wolf. Alles hin zum Echtzeit-Journalismus (und das bestätigt das, was die Elefantenrunde zu Beginn postuliert hatte) und weg vom Hintergrund (und das belegt, was die Fukushima-Runde meinte). Kai Gniffke, der Chef der ARD-Tagesschau und Wolfgang Büchner, der Chef der dpa hassen Wolf und alles, was er sagt.
Wolf greift sie eigentlich eh sehr konstruktiv an.
Er fordert in einer fetten Studie ganzheitliches Denken der Programm-Macher, über den News-Bereich hinausgehend. Kontinuität in der Hintergrund-Arbeit auch abseits der reinen Nachrichten-Sendungen, die richtige Mischungs aus Dokus, Portraits und Filmen, ja bis hinein in die Fiktion.
Komisch, ich kannte die Studie, die Fritz Wolf da gemacht hat gar nicht, aber das war doch mein Thema zuletzt, hier das mit dem Programm-Prinzip und hier das mit der Wichtigkeit der Fiktion.
Den Gesamtzusammenhang, die Vertiefung immer im Blick haben, als öffentlich-rechtlicher sowieso; und im Selbstverständnis der Deutschen gilt das auch für die Qualitätspresse, ganz klar.
... und der Journalist als Kurator
Gniffke und Büchner sprechen lieber von der Lust des Verstehens und der Konflikt-Kultur, die einer Gesellschaft ohne echte Probleme (siehe Di Lorenzo weiter oben) nicht schaden kann. Eva-Maria Schnurr, die das letzte Panel moderiert spricht dann noch davon, dass Journalisten wohl immer mehr zu Kuratoren werden müssen, wenn sie ihre Aufgabe sinnhaft erfüllen wollen.
Das ist ein schönes Bild, aber das hört kaum noch einer.
40 Angebote in sieben Schichten, das war irgendwie zuviel.
Morgen werden es noch mehr, nämlich 46 Panels bzw Referate sein. Eines über Radio ist auch dabei, gleich um 10 Uhr.