Erstellt am: 1. 7. 2011 - 16:06 Uhr
Schöne neue Arbeitswelt
Der Geographiestudent Vinzenz schneidet gerade an einem Film über Innsbrucker Holocaust-Flüchtlinge. Ihm gegenüber sitzt die Architektin Waltraud und erledigt Bürokram. Drei Tische weiter werkt Anna an ihrer Diplomarbeit und der Handelsvertreter Tudor schreibt Verkaufskonzepte. Vinzenz, Waltraud, Anna und Tudor sind vier von ca. 15 Personen, die sich ein Büro teilen. Co-Working ist der Terminus dafür - das Konzept hat sich von den USA aus in Europas Großstädten ausgebreitet. In Wien gibt es etwa die Co-Working Spaces Schraubenfabrik oder Sektor5, in Linz den Daxbau und in Dornbirn das Coworkinglab. In Innsbruck gibt es bisher keinen Co-Working-Space, aber diese Woche konnten die InnsbruckerInnen ausprobieren, wie das denn so wäre, bei Arbeit_Raum, dem Innsbrucker Co-Working-Festival.
Simon Welebil
Vinzenz ist schon die ganze Woche im Großraumbüro, dem umfunktionierten Veranstaltungssraum des Kulturzentrums Die Bäckerei. In seinen eigenen vier Wänden fühlt er sich immer blockiert, und nicht wirklich kreativ. Hier, "zwischen all diesen anderen Ameisen", könne er sich besser motivieren und etwas "wegarbeiten". Er genießt die entspannte Atmosphäre, den Austausch mit den anderen Co-WorkerInnen und auch die Geräuschkulisse, das Brühen der Kaffeemaschine, den Drucker, die leisen Gespräche. Telefoniert und geraucht wird nur draußen, dieser Konsens hat sich im Laufe der Arbeitswoche herausgebildet.
Simon Welebil
Was den vielen sogenannten Neuen Selbständigen, deren einziges Produktionsmittel häufig ein Laptop mit Internetanschluss ist, fehle, seien Kommunikationsinseln, wie sie ein Büro oder hier der Co-Working-Space biete, etwa eine Kaffeeecke oder eine Kantine, meint Susanne Pedarnig, eine der VeranstalterInnen von Arbeit_Raum. Nina Fuchs und sie haben das Co-Working-Festival initiiert, um Strategien gegen die Vereinzelung im prekären Arbeitsalltag zu suchen und einen Diskurs auf praktischer Ebene loszutreten, wie Arbeitsstrukturen und Arbeitssituationen anders ausschauen könnten. Was gibt es für alternative Möglichkeiten der Organisation von Arbeit, welche Mittel braucht es dafür und welche Veränderungen sind dafür notwendig, waren ihre Ausgangsfragen.
Arbeit_Raum geht über einen Co-Working-Space hinaus. Tagsüber wird intensiv gearbeitet, am Abend gibt es Vorträge und Diskussionen zum Großthema Arbeit: über ein Grundeinkommen, Burnout oder wie Architektur und Neue Medien die Arbeit strukturieren. Das Co-Working-Festival stellt einen Raum dar, in dem Arbeit auf praktischer und theoretischer Ebene reflektiert werden kann und der Platz für Experimente bietet. Eine Stimmtrainerin bietet ihren MitarbeiterInnen etwa Atemübungen an und ein Shiatsu-Praktiker gibt Tipps zum Arbeiten am PC.
Hemma Übelhör
Nina Fuchs und Susanne Pedarnig sehen Co-Working nicht als Patentlösung für die Probleme der Neuen Selbständigen an, sondern nur als eine Möglichkeit von vielen, die es sicher nicht allen recht machen kann. Davon ausgehend sollen andere Möglichkeiten angedacht werden. Die beiden wollen darauf hinweisen, dass Arbeit nichts Isoliertes ist, sondern mit anderen gesellschaftlichen Bereichen zusammenhängt. Sie wollen Perspektiven erweitern.
Simon Welebil
Arbeit_Raum geht heute zu Ende. Das Co-Working-Festival war nur als temporäre Einrichtung geplant, ob es eine Fortsetzung geben wird, bleibt offen. In dieser Woche des Co-Working hat sich Einiges entwickelt. Personen, die sonst wahrscheinlich nicht zusammengefunden hätten, weil sie ganz verschiedenen Berufen nachgehen, haben erkannt, dass ihre Arbeitssituationen ähnlich sind. Im Raum werden sie als Gruppe sichtbar. Synergien werden genutzt und Netzwerke geknüpft. Wenn sich diese Netzwerke über Arbeit_Raum hinweg erhalten, haben die Organisatorinnen eines ihrer Ziele erreicht.