Erstellt am: 1. 7. 2011 - 10:47 Uhr
Der verkannte Nerd-Heilige
Langsam bohrt sich der nicht allzu saubere Finger ins linke Nasenloch. Nach einer kurzen seismologischen Untersuchung ist die Ausbeute sehr ergiebig. Der Finger wandert Richtung Mund und schwupps: Der Rotz ist aufgefressen. Mahlzeit.
Richard Stallman sprach vor drei Wochen an der Uni Innsbruck.
Seine Vorträge sind übrigens außerordentlich unterhaltsam. Die Fragerunde danach ist nur was für ganz Mutige.
Es gibt im Leben eines Journalisten angenehme Interviews, unangenehme Interviews und Interviews mit Richard Stallman. Das größte Problem des Programmierer-Superstars: Er führt sich auf wie einer. Etwas seltsam für einen Menschen, dessen Lebensmission darin besteht, andere Menschen von seinen Ideen zu überzeugen. Die Finger-Nase-Mund-Kombo ist irgendwann nicht mehr ganz so grauslich und immerhin bleibt mir das Knabbern an zuvor abgerissenen Zehennägeln erspart. Stallman hasst Interviews. Er bittet mich und einen weiteren Kollegen, ihn, den Meister, nicht allzu lange aufzuhalten. Schließlich habe er noch soviel zu tun. Die Welt retten zum Beispiel.
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Eine Stunde später sind wir fertig. Wobei: Interview ist vielleicht das falsche Wort: Stallman redet gerne. Mit dem Zuhören hat er aber so seine Schwierigkeiten. "Don't try to ask another question when I make a pause. My answers are long because I have important things to say", faucht mich der Nerd-Gott an, nachdem ich es nach zirka zehn Minuten Monolog gewagt hatte, mit einem unschuldigen "But... " eine Zwischenfrage einzuleiten. Schaffen wir es dann doch über das Einleitunswort hinaus, braucht es nur ein bedeutungsschwangeres Nomen und Stallman legt los. "Open Source" zum Beispiel. Oder "Linux". Bei diesen beiden gehen seine Augen hasserfüllt auf und die nächste Runde Schimpftirade kann beginnen. Aber beginnen wir am Anfang, nämlich seinem Erweckungserlebnis.
Wer ihn interviewen will, muss sich bereit erklären, eine zirka 50 Seiten lange Vorbereitung zu lesen. Kernstück der Vorbereitung ist eine Liste mit Wörtern, die in seiner Gegenwart besser nicht falsch verwendet werden sollten.
Das Erweckungserlebnis
Irgendwann in den 70ern am MIT in Boston. Richard Stallman ist einer der vielen jungen Programmierer im Uni-Betrieb, die sich selbst stolz Hacker nennen. Sie basteln an kleinen Programmen, schauen sich die Programme von anderen an, verbessern diese, schauen sich was ab und verteilen das Endergebnis wieder. Es muss eine schöne und friedliche Welt gewesen sein. Doch dann kam die Softwareindustrie. Und mit ihr die Patente. Programme hin und her schicken und veröffentlichen ist plötzlich nicht mehr drin. Die meisten Programmierer fügen sich ihrem Schicksal und heuern bei einer dieser Firmen an. Stallman nicht. Er wählt den harten Weg. 1984 kündigt er am MIT aus Angst, die Uni könnte die von ihm entwickelten Programme mit Lizenzen versehen. 1985 gründet er die Free Software Foundation. Von nun an verschreibt er sein Leben dem Kampf für freie Software.
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So sehr dieser Mann es hasst, mit JournalistInnen zu reden, so sehr liebt er es, vor Publikum zu sprechen. Der Saal an der Uni Innsbruck ist knackevoll. Sogar Michi Tschuggnall ist da. Stallman betritt die Bühne und bittet alle zehn Minuten, dass ja kein Foto von ihm auf Facebook erscheint. Und ja kein Mitschnitt des Vortrages im faschistischen mp3-Format. Und überhaupt sind alle Smartphones böse. Beschämt stecken sich die ZuseherInnen ihre Geräte in die Hose. Manche wagen es trotzdem und filmen mit. Stallman erzählt die Geschichte, die er schon so oft erzählt hat. Es ist die Geschichte vom kleinen Programmierer, der sich mit der großen bösen Welt angelegt hat. Vom Betriebssystem GNU, das irgendwie nicht so viele Leute kennen. Und vom bösen Linus Torvalds, der all die Lorbeeren kassiert hat, die eigentlich Richard Stallman zustehen würden. Zumindest, wenn es nach Richard Stallman geht. Der Vortrag hat natürlich keine Powerpoint-Präsentation. Oder besser gesagt: Präsentations-Programm-Präsentation. Denn Powerpoint ist ein böses Wort. Genauso wie Photoshop. Und Open Source ist überhaupt das letzte.
Der verkannte Messias
Das Leben von Richard Stallman ist nämlich das Leben eines frustrierten Erfinders, dessen Innovationen immer nur anderen zugerechnet werden. Klar, sowas macht einen fertig. Jahrelang haben er und seine Buddies an GNU gearbeitet, einem freien Betriebssystem, das für alle gratis zur Verfügung stehen sollte. Ende der 80er Jahre war es dann fertig. Aber nur fast. Es gab nämlich noch keinen ordentlichen Betriebssystemkern, auch Kernel genannt. Ein Kernel ist sowas wie die Schnittstelle zwischen Hard- und Software. Anfang der 90er Jahre entwickelte dann ein finnischer Student namens Linus Torvalds einen solchen Kernel, der GNU endlich konkurrenzfähig machte. Linux war geboren, der Finne weltberühmt.
Ein paar Jahre später spaltete sich eine Gruppe aus der Free Software Bewegung ab, weil sie es mit Stallman nicht mehr ausgehalten haben. Sie nannten ihr Projekt Open Source.
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Diese zwei Ereignisse dürften einen Schalter in Stallman umgelegt haben. Seitdem ist seine Mission für eine freie Software-Welt in den Hintergrund gerückt. Ihm geht es in erster Linie um die verlorene Definitionsmacht. Er verlangt von der Menschheit, dass sie "GNU/Linux" sagt und nicht einfach nur Linux. Und außerdem darf "Open Source" nicht mehr als Begriff für freie Software verwendet werden, weil die nämlich auch kommerzielle Anbieter mit ins Boot holen und damit, laut Stallman, Verrat an der Sache begehen.
Irgendwann hat er den Anschluss an die Neuzeit verpasst. Die Frage nach freien Programmen ist aktuell bei weitem nicht so brisant wie die Frage nach freiem Content. Diesbezüglich schlägt Stallman eine Art Voting-System vor. Will heißen: KonsumentInnen stimmen darüber ab, welchen KünstlerInnen wieviel Geld gegeben wird. Meine Frage, ob er als Hacker das wirklich ernst meint, lässt er mich leider nicht fertig stellen. Seine volle Konzentration auf das richtige Wording verstellt den Blick auf die wirklichen Anliegen: Nämlich den Kampf gegen Software-Patente. Stallmans Gegenmodell der totalen Freiheit kommt aber in einer derartigen Trucker-Attitüde daher, dass eigentlich niemand weiß, was er jetzt genau damit meint.
Nach rund eineinhalb Stunden kommt Stallman langsam zum Schluss seines Vortrags. Dafür setzt er sich einen Heiligenschein auf und redet irgendwas von einer Religionsgemeinschaft, die er rund um GNU gebildet hat. Klar, das ist ironisch gemeint. Klar, er macht sich damit über Religionen lustig. Aber der Scherz ist bekanntlich das Loch, aus dem die Wahrheit pfeift. Denn wenn schon die Welt dieses Genie nicht anerkennt, so darf er sich wohl selbst ein bisschen als Heiliger fühlen.