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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

1. 7. 2011 - 19:27

Flexen an der Mur

Lauschige Plätze im Schatten und am Wasser sind in Graz gefragt. White Elephant meißeln welche!

Es geht grad was Tolles ab in Graz, schreibt mir Gerlinde. Ich weiß! Die jungen Männer von White Elephant, dem so ziemlich wunderbarsten Designstudio der Stadt, schleifen gerade Steine an der Mur. Damit man dann lässig darauf sitzen kann und abhängen, wie GrazerInnen das gern nennen.

Das geht bis jetzt nämlich an keiner Stelle. Und immer vor dem Tribeka-Café sitzen ist an Sommertagen ja auch nicht so der Hit. Schattiger als am Kai ist es am Murufer.

Hammer und Meißel und Arbeitshandschuhe liegen auf Stein an der Mur

Radio FM4 | Maria Motter

Dieser Stein steht unter Denkmalschutz.

Seats that rock

Vom Andreas-Hofer-Platz, auf dem eine denkmalgeschützte Tankstelle die Aussicht auf ein mögliches Stelldichein nahe dem in Bau befindlichen Joanneumsviertel verstellt, will ich gar nicht anfangen. Was alles in Graz unter Denkmalschutz steht, glaubt man gar nicht. Auch mancher Stein, der unauffällig am Murufer lagert und von der alten Hauptbrücke stammt.

Die Stadtmöblierung schaut in Graz tendenziell eher traurig aus. Das chinesische Modell hat zwar noch nicht Schule gemacht. Wieder abtransportiert aber wurden die Buchstaben nach einem Entwurf von Johanna Prechtl, die erst mit großem Trara mittels Wettbewerb auserwählt und aufgestellt wurden. Auf die man sich längs und quer setzen und sogar legen konnte. Und die den lustigen Spruch "Graz ist ein Hot Spot" ergaben, wenn man an ihnen in der richtigen Reihenfolge vorbeispazierte.

Anonyme Personen hatten die hohlen Buchstaben über Nacht mit Beton gefüllt und damit fixiert. Das darf nicht sein, fand die Stadt. Nun scheint die alternative Sitzgelegenheit ersatzlos gestrichen.

Übrig bleibt das "Getier" am Mariahilferplatz. Praktischerweise sind die Bänke angekettet.

Jetzt kommt es aber: Neue Sitzgelegenheiten werden derzeit von White Elephant in Stein gemeißelt! Von manchem Stein mit Popo-Mulde aus kann man sogar die Füße im Fluss baumeln lassen!

Das haben sich Tobias Kestel und Florian Puschmann von White Elephant gut ausgedacht und lange schon gewünscht. Viele, viele andere auch. Happy Flexing!

Tobias Kestel setzt sich eine Atemschutzmaske und eine Schutzbrille zum Arbeiten auf.

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Trending Accessoire im Sommer 2011? Nicht nur in Athen, auch in Graz macht sich Atemschutz gut. Gegen Steinsplitter ist der Sichtschutz für Tobias Kestel allerdings wichtiger.
Zwei junge Männer flexen Steine am Murufer in Graz.

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Steinstaub fliegt durch die Luft an der Mur, wenn White Elephant Steine mit der Flex bearbeiten.

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Rauschen und Zittern

„Hier unten ist ein eigener Raum. Die Akustik mit dem Wasserrauschen, jeder ist in seiner Welt unterwegs", sagt Tobias. Ein Hund bleibt stehen, schaut zu Tobias mit dem Polierzeug und fängt unerbittlich zu bellen an. Sonst regen die morgendlichen Arbeiten niemanden auf.

Genau an diesem Platz, nur wenige Meter von der Hauptbrücke flussabwärts, sitzen viele am Liebsten. Allerdings verweilt kaum jemand allzu lange auf den spitzen Steinbrocken. Das White Elephant DesignLab will das ändern. Ein kleiner Eingriff macht’s: Vorerst fünf Steinen fügen White Elephant eine Delle zu. Die wird glattpoliert. Bei Bauarbeitern pflanzt sich das Zittern der Maschinen über die Jahre in Händen und Armen fort.

Profi Paul Lässer ist mit Diamantblättern und Maschinen angerückt. Er ist frischer Absolvent der Meisterschule Bildhauerei an der Ortweinschule und unterstützt das Duo Kestel/Puschmann.

Paul ist zufrieden. Auf getaner Arbeit sitzt es sich hervorragend.

Paul Lässer sitzt auf dem geschliffenen Steinbrocken an der Mur. Er ist staubig vom Arbeiten, doch schaut zufrieden auf den Fluss.

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Himmel und Erde auf Hawaii

Kalten, harten Stein bearbeiten White Elephant noch bis inklusive zweiten Juli an der Mur. Auf Hawaii hat das Designduo mit weichem, flüssigen Gesteinsmassen zwischen den Zuständen hantiert. 2009 auf Big Island, als die "Surfer Flows" fröhlich schwappten. In Hitzeschutzanzügen nahmen Flo Puschmann und Tobias Kestel Stempelungen vor.

Projekte, die zu sehr aus der Natur geschöpft hätten, ließen sie sein. Zu groß wird die Ehrfurcht vor Ort. "Das hört sich kitschig an, aber wenn jemand die Gelegenheit hat, das zu sehen – es ist sehr speziell. Wir haben eher etwas verformt, als es herauszureißen. Und das wurde fest", erklärt Tobias ihr "Lava Project".

Extrem heiß war es und eine elementare Erfahrung: „Lava quillt immer wieder flächig aus und kühlt schnell ab. Dabei bilden sich an der Oberfläche kleine Flankerln, die einen sehr hellen, glasklaren Klang haben. Da muss man mit dem Ohr ganz nahe hin. Für fünf, zehn Sekunden. Die ganze Fläche strahlt so eine Hitze ab und permanent weht ein Wind. Das ist gigantisch", erinnert sich Tobias Kestel.

Die Lava auf Hawaii ist besonders. Das Gas blubbert aus ihr und fließend bildet sie eine sehr smoothe Oberfläche. Plötzlich explodieren kann sie nicht.

Hand hält eine Farbskala Richtung Himmel. Im Hintergrund Lava-Boden.

White Elephant DesignLab

Tobias Kestel streicht mit der Hand über den glatt  polierten Stein.

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Tobias kontrolliert die Glätte. Schön poliert ist die Sitzfläche. Zur Arbeit auf Hawaii ist die Steinmetzerei in Graz ein schöner Kontrast.

Lava als Material zu bezeichnen, findet der Industrial Designer Tobias Kestel im Rückblick beinahe frevelhaft. Die Homeland Security auf Hawaii ließ Kollege Florian Puschmann und ihn mit ihrem Equipment samt Hitzeschutzanzügen ohne Einwand einreisen. Bei der Bevölkerung hielten sich die Beiden mit Auskünften über den wahren Grund ihres Aufenthalts lieber bedeckt. Vorsichtig hörten sie sich um. "Jene Einheimischen, denen wir es erklärt haben, verstanden es. Viele sagten aber: Don’t mess with Pele!"

Die Göttin Pele ist Lava, höchstpersönlich. Also gaben ihr Kestel und Puschmann stets ein bisschen etwas von ihrem Proviant auf der mehrstündigen Wanderung ab. Das wurde ihnen auch dringend geraten. Power Bars, Reis und Bananen für Pele - "da gibt es ja die unglaublichsten Bananensorten!".

„Wir sind nicht – wie soll ich sagen – abergläubisch. Aber vor Ort ist das glühendes Zeug, das aus der Erde kommt!“

Karin Lernbeiß und Tobias Kestel wählen den nächsten geeigneten Steinbrocken an der Mur.

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Wilde Wellen

Weniger berauschend natürlich könnte es in den nächsten Jahren in der Grazer Stadtmitte zugehen. Geht es nach dem amtierenden Bürgermeister Siegfried Nagl und dem Konzern "Energie Steiermark" wird die Mur in den kommenden Jahren eingebremst. Für ein neues Kraftwerk im Stadtgebiet werben sie eifrig. Zuletzt progagierte Nagl die Idee einer Ruderregatta.

Nicht alle können der geplanten, neuen Staustufe soviel abgewinnen. Die Initiative "Rettet die Mur" kämpft dagegen an und sammelte Unterschriften. Indes sprach sich der Grazer Gemeinderat mit der Mehrheit von ÖVP, SPÖ und FPÖ für das Murkraftwerk aus. GegnerInnen bereiten derzeit eine Einleitung für eine Volksbefragung vor.