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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

28. 6. 2011 - 17:14

Journal 2011. Eintrag 125.

Der sterbende Ressortismus.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit einem subjektiven und deshalb sicher undifferenzierten Plädoyer gegen die klassische Ressort-Aufteilung der Medien.

Der hier gern und zuletzt letzten Dienstag zitierte Schweizer Professor Imhof trägt in seinen Thesen zum Status Quo des Journalismus auch ein Ceterum Censeo mit, das mich jedesmal unrund werden lässt.
Seine Klage über den Niedergang der Branche beginnt regelmäßig mit dem Verlust der journalistischen Expertise, des Spezialwissens, was seiner Meinung nach auf den Niedergang, die Ausdünnung und Aushöhlung der klassischen Ressorts zurückzuführen ist.

Ich bin da nicht seiner Meinung.

Im Gegenteil: ich gebe jetzt und hier - von einer heute Vormittag geführten Diskussion getriggert - als Ausgangs-These, den klassischen Ressort-Grenzen sogar die (Mit-)Schuld an der inhaltlichen Ausdünnung der Medien.
Ohne sicher zu sein ob das auch wirklich stimmt.
Auf Verdacht, begründeten Verdacht.
Und muss das im folgenden natürlich argumentieren.

Der klassische Ressortismus der Tagesmedien, der sich irgendwann (zu einem Zeitpunkt als es sinnhaft erschien) eingebürgert hat trennt zwischen Ausland, Inland, Regional/Lokal, Chronik, Wirtschaft, Kultur und Sport, zuletzt sind Wissenschaft, Society, Medien, Service, Bildung, Technologie, Lifestyle uä dazugekommen.

Der Verzicht auf die übergeordnete Expertise

Natürlich ist der omnipräsente Lokalreporter durch nichts zu ersetzen, ebenso wie der ausgefuchste Weltpolitik-Analyist oder der brillante Kultur-Kommentierer. Wie jede Branche orientieren sich aber auch die Medien nicht an den wenigen Spitzenkräften, sondern am Durchschnitt.

Und der richtet sich gern häuslich ein im Ressortdenken, verhüttelt und steckt Claims ab.

Nun hat sich aber nicht nur die Welt, sondern auch Österreich und vor allem auch unser aller Kommunikationsverhalten und Wissen in den letzten paar Jahren deutlich verändert. Was die in den Ressort-Ghettos oft freiwillig Gefangenen zwar deutlich verunsichert, aber kaum zu Konsequenzen veranlasst.

Kein Innenpolitik-Journalist kann heute ernsthaft ohne Expertise über Europapolitik auskommen, kein Regionalberichterstatter ohne Wissen um Innenpolitik und vice versa. Ein Außenpolitiker, ein Kulturjournalist oder ein Sportreporter ohne ökonomische Expertise ist ein armer Tropf, der die Frage des Warum nie ergründen können wird. Und umgekehrt ist ein Wirtschaftsjournalist, der sich nicht um die politischen und kulturellen Implikationen kümmert, kein Journalist, sondern ein Verlautbarer.

Informations-Verengung durch Ressort-Ghettos

Die Grenzen sind fließend - auch bei den anderen angeführten Ressort-Beispielen. Wer die alte Ressort-Expertise nicht erweitert, erhascht nur einen immer schmaler werdenden Blick auf die Welt.

Im Sport-Bereich fightet die alte Garde, für die jede wirtschaftliche oder gesellschaftspolitische Bemerkung nichts in "ihrem" Bereich verloren hat, gerade den letzten Abwehrkampf gegen die junge Garde, die genau das massiv einfordert.

Im Kulturbereich gibt es nicht einmal das: die junge Redakteurs-Generation wagt zwar manchmal die von den Altvorderen als ungehörig verdammte Vermengung' von realpolitischen Bezügen ins heimische Kulturgeschehen, scheitert dann aber gern an ihrer tendenziell großbürgerlichen Sozialisation.

Das massive Desinteresse der überregionalen, ausschließlich an Bundespolitik orientierten Medien an regionalen (Bundesländer-)Informationen führt dazu, dass der Rest Österreichs von der steirischen Protestwelle der Plattform 25 noch nie was gehört hat. In der Konsequenz finden Wutbürger-Debatten dann ausschließlich mit Referenzierungen auf Deutschland statt - weil man von Wutbürgertum im eigenen Hinterland einfach nichts weiß.

Angst vor einem ressortlos denkenden Publikums-Feind

Und über die (aus deren Verweigerung anderes als die Nabelsicht der großen Player zu reportieren entstandene) Mitverantwortung des komplett-embeddeden Wirtschaftsjournalismus an der letzten globalen Krise werden ja bereits Bücher verfasst.

So hehr, gut und schön die Ressorts in einer idealen Welt funktionieren würden (ich stell mir das immer so vor, wie ich es bei dem Teil der Baltimore Sun-Belegschaft in The Wire erlebt habe, die genau für diese Ziele steht), so gescheitert ist der praktische Ressortismus in Österreich.

Den Hort der Fachredaktion, die Schutzräume der gewissenhaften Expertise lassen sich an wenigen Fingern abzählen - der Rest der Ressort-Politik besticht dadurch, sich Fort-Alamo-mäßig gegen einen "Feind" zu wehren, der Durchdringung, den Blick fürs große Ganze und übergreifendes Denken fordert.

Dieses "Feind" ist übrigens der/die Leser/Hörer/Seher/UserIn. Und dessen Forderung nach Entkastelung und einer Neuordnung nach tatsächlich lebbaren Wichtigkeiten ist eigentlich unüberhörbar.

Gezielte Lese-Verführung durch die wilden Welten

Möglicherweise ist den letzten analogen Generationen das Wissen um die alte Bedeutung der Ressort noch gegeben. Die digitalen Eingeborenen wissen nicht mehr wovon die Rede ist - und das zurecht. Das Interesse an Zusammenhängen, die für den eigenen Lebensbereich bzw -entwurf von Bedeutung sind, lässt sich durch die alten Schubladen nicht mehr bedienen.

Die impliziten Ansagen, dass jetzt, Obacht, die zum Mitreden wichtigen politischen Nachrichten und jetzt, Achtung, die für die Erbauung unverzichtbare Kultur daherkommen, werden mit den analogen Generationen wegsterben.

In seiner, auch unlängst hier schon angesprochenen Master-Thesis beschreibt Armin Wolf ja das deutsche Magazin "Neon", das als einziges Medium die deutschen Twentysomethings gezielt zum Lesen verführt.

"Neon" teilt sein Heft in 5 Sektionen und einen einführenden Teil, der "Wilde Welt" heißt.
1) Sehen (Politik und Gesellschaft)
2) Fühlen (Liebe, Sex, Freundschaft, Psychologie)
3) Wissen (Bildung, Körper, Alltagsleben)
4) Kaufen (Fashion, Gadgets, Reise)
5) Freie Zeit (Film, Musik, Literatur)

Neue Lebenswelten zu neuen Sektionen clustern

Das ist klarerweise für ein Tagesmedium so nicht handhabbar, zeigt aber, was man, mit ein wenig Empathie und Überlegung, zustandebringen kann.

Und auch für die Tagesmedien ist das nicht so schwer: Die Lebenswelten der Menschen zu clustern und so recht logisch zusammenhängende Thematiken zusammenzuführen.
Denn natürlich macht ein politisches Programm, das sich nicht an den Vorgaben der Mächtigen, sondern den Auswirkungen auf die Zivilgesellschaft (für die die Medien schließlich hergestellt werden) widmet, deutlich mehr Sinn als der allerorten leider viel zu biedere Bekanntgabe/Verlautbarungs-Journalismus.

Und genauso wie es im klassisch nach Ministerien aufgeteilten österreichischen Polit-System immer mehr Querschnitts-Materie gibt und immer mehr kooperiert werden muss, genauso braucht jede wie auch immer geartete Sektion ein Backbone des Wissens um die ökonomischen Grundlagen.

Neuorientierung rund um die Querschnitts-Materie?

In der Praxis würde das die Expertise und das von Imhof schon aufgegebene Spezialwissen deutlich stärken: keine eingebunkerten Ressort-Verantwortlichen, die "ihre" Klientel mit "ihren" am Gartenzaun endenden Sichtweisen bedient, sondern Verquickung und Zusammenführung - was dann wiederum den Detailblick von Experten, Gastautoren und Spezialisten deutlich besser zur Geltung bringen kann.

Klar, auch das ist die Darstellung eines Ideal-Zustands, der sich nicht an der kritischen Masse des Durchschnitts orientiert. Und natürlich kann das Phantom des nivellierenden Newsrooms alles niederwalzen.

Bloß: das Ende des alten Ressortismus ist unvermeidbar - schon allein, weil das Publikum, das ihn befolgt, wegstirbt. Insofern wäre die Bemühung um eine Neuorentierung im bestmöglichen Sinn gscheiter, als der aktuelle Abwehrkampf.