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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

29. 6. 2011 - 17:49

Kein Rückzug vom Aufstand

Gegen das steirische Landesbudget demonstrierten BürgerInnen wie Jahrzehnte nicht. Die treibende Protest-Plattform 25 lädt nun in eine "Oase des Aufstands". Wie ist das zu verstehen?

Yvonne Seidler, Sprecherin der "Plattform 25"

Radio FM4

Yvonne Seidler, "Plattform 25".

Drei Burschen radeln auf den Grazer Tummelplatz zu, bremsen abrupt und entledigen sich ihrer Turnschuhe. Die Sneakers schleudern sie gegen ein Plakat: "Es gibt keine Alternative". Nach dem Wurf tigern sie in Söcklingen zu ihren Schuhen und schlüpfen wieder hinein, erzählt Yvonne Seidler begeistert. Ob die Burschen auch das Kleingedruckte auf dem Plakat gelesen haben, sagt die Sprecherin der "Plattform 25" nicht.

Seit die SPÖ und die ÖVP in der Steiermark das Landesbudget mit drastischen Einsparungen im sozialen wie kulturellen Bereich beschlossen haben, regt sich Widerstand. Zehntausend Menschen gingen im April in Graz auf die Straße, für viele ist es die erste Demonstration ihres Lebens. Aufgerufen hat dazu die "Plattform 25", die sich spontan aus VertreterInnen so unterschiedlicher Organisationen wie Jugend am Werk, dem Kunstverein BAODO oder dem Elevate Festival formiert hat. Gegen das Vorhaben der Landesregierung, Kürzungen bis zu 25 Prozent im Kulturbereich vorzunehmen und im Sozialen, im Jugend- und Bildungsbereich sowie im Gesundheitswesen ebenso bis zu 25 Prozent einsparen zu wollen, gingen die Menschen auf die Straße. Allein, der Protest kam reichlich spät.

Nur nicht mucksen, gar unangenehm auffallen und damit die letzten Subventionen riskieren, schien vielfach die Vogel-Strauß-Strategie. Durch die "Plattform 25" gewann der Protest an Raum und Breite. Die steirische Landesregierung segnete ihre "Reformmaßnahmen" und das Landesbudget wie zu erwarten ab. Und die Plattform setzt ihre Kritik fort. Kleinteiliger und in unterhaltsamer Form.

Abgetragene Schuhe liegen unter einem Plakat mit der Aufschrift "Es gibt keine Alternative". Und ein Schuhpaar hängt in einer Baumkrone.

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Sneakers zum Pflücken? Noch bis 5. Juli fliegen Schuhe gegen Frust und finanzielle Kürzungen am Grazer Tummelplatz.

Aktuell zählt der lose Zusammenschluss über 500 Organisationen und lädt zu einer "Oase des Aufstands" in die Postgarage. Welch seltsamer Titel. Angekündigt sind "kulturelle Erfrischungen", u.a. von Schauspieler und Kabarettist Josef Hader, dem Theater im Bahnhof und Bands wie Air Rapide und Mašina.

Wie und ob der Protest weitergehen soll, will ich von Yvonne Seidler wissen, die als Sprecherin der "Plattform 25" fungiert. Hat man sich damit abgefunden, am "Sparpaket" der Landesregierung nichts ändern zu können? Und was hat der gebündelte Widerstand gebracht?

Verbotsschild. Darin: "-25%"

Plattform 25

"An diesem Budget kann man in jeder Landtagssitzung etwas verändern." So sieht es Yvonne Seidler. "Es macht Sinn, weiter zu protestieren, um deutlich zu machen: Wir resignieren nicht und denken immer noch daran, dass es Veränderungen geben wird. Und es gibt sie ja."

Betroffen von den Auswirkungen des verabschiedeten Doppelbudgets 2011/12 sind viele. Angefangen von streng gekürzten Sozialleistungen wie der Wohnbeihilfe zu Subventionen im Kulturbereich, wie etwa bei dem jungen Kulturfestival "regionale", das nun statt mit vier Millionen Budget mit der Hälfte auskommen muss. Es ist das einzige größere Kulturfestival, das außerhalb von Graz, in den Regionen stattfindet und war Auftraggeber für die "kleinen" Kulturinitiativen, bei denen der zuständige Landesrat nicht sparen wollte. Indirekt sind sie dennoch betroffen.

Im Bereich der Leistungen für behinderte Menschen, wo die massivsten Kürzungen vorgesehen und die Empörungen groß waren, ging die Landesregierung schlussendlich nicht so weit, wie sie wollte. Ersatzlos streichen wollte sie Dienste, die jedoch für ein möglichst selbstbestimmtes Leben unverzichtbar sind: die Wohn- und Freizeitassistenz. Für viele Personen hätte das einen Um- oder Rückzug in betreute Wohnformen bedeutet. Und dennoch: Das sind kleine Veränderungen in Teilbereichen. Insgesamt fürchtet Seidler eine massive Verschlechterung von Lebensqualität. Ein konkretes Beispiel: Schon jetzt werde in Graz deutlich, wie die Armut unter Kindern durch die nicht unumstrittene Form der Mindestsicherung zunimmt, die vor einem halben Jahr eingeführt wurde. Unterm Strich bekommen jene, die auf finanzielle Unterstützung durch den Staat in ihrem täglichen Leben angewiesen sind, durch die Regelung dieser Mindestsicherung weniger Unterstützung als zuvor. So die Klagen.

Und was geht mich das an?

Im Herbst finden sich weitere Bescheide in den Briefkästen. Kindergartengebühren werden fällig, der Regress wird wieder eingefordert, am Kontoauszug steht die gekürzte Wohnbeihilfe. Du könntest von den Sparmaßnahmen betroffen sein, noch ohne es zu ahnen.

Was ist ein "sozialer Härtefall"? Einzelne Menschen schildern ihre Situation. Lesenswert.

Am Aktionstag "der 'einzelnen' Härtefälle" melden sich 87 Menschen. Sie wollen ihre persönliche Geschichte öffentlich am Mariahilferplatz erzählen. Groß ist die Scham bei jenen, die auf die Mindestsicherung angewiesen, vom Regress betroffen sind - also finanziell für die Aufwendungen für Angehörige aufkommen müssen - und sich unter der Armutsgrenze wiederfinden. PolizistInnen, die während der Veranstaltung Dienst tun, decken sich gegen Ende mit Buttons der Protest-Plattform ein. Verständnis für das Unverständnis des "Einsparens" sickert durch. Eine Beratungseinrichtung ist und wird die Plattform 25 wohlgemerkt keine. Durch das breite Spektrum der aktiven Vereine und Organisationen gelangen Betroffene jedoch schnell zu kompetenten Stellen.

Martin Blumenau zu regionalen Bürgerprotesten, wie sie etliche gerne nachlässig wahrhaben wollen. Nicht zuletzt auch große Medien.

Auf der Hauptbrücke tauchen seit Wochen kontinuierlich und über Nacht Botschaften in bunter Kreide auf. "Spüre in dein Herz". "Wir brauchen ein neues System" - und vielleicht stand da auch noch etwas darunter, aber das kann ich so verwischt nicht entziffern. Auch "Austrian Revolution" liest man. Die AktivistInnen der steirischen "Plattform 25" beziehen sich auf den Widerstand in Madrid und Barcelona. Wo ist der Zusammenhang?

Hanna Silbermayrs Beobachtungen der spanischen ¡Democracia Real!-Bewegung.

"Widerstand gegen diese neoliberale Politik gibt es zunehmend auf der ganzen Welt", sagt Yvonne Seidler. "In Griechenland sieht man, wohin eine unglaubliche Misswirtschaft der Politik führt, mit furchtbaren Konsequenzen. Und in Spanien lehnt sich die Bevölkerung gegen dasselbe System auf. Auch in Graz gibt es Widerstand. Wobei der möglicherweise eher an die Gallier erinnert, in Relation und im österreichischen Kontext". Trotzdem sei da etwas Zeitgeistiges, sagt sie, und schließt mit der Krise der Sozialdemokratie an und spricht von Werteverrat.

Eine Frage der Formfindung

Die Argumentation ist nichts Neues. Der kleinste gemeinsame Nenner ist der Aufruf zu einer Alternative zur gegenwärtigen Politik. Das ist ambitioniert schwammig. Da sind sich die NGOs, Kulturvereine und sozialen Organisationen bis hin zu KPÖ und Grüne einig, die Teil der Plattform sind. Gefordert wird, Abstand von Event-Politik zu nehmen (heftig kritisiert werden die Ausgaben für die kommende Flugshow in Zeltweg), Steuererhöhungen in bestimmten Bereichen vorzunehmen und die Mittel im Sozial- und Kulturbereich bedarfsgerecht zu erhöhen. "Weil das Investitionen sind, die sich für eine Gesellschaft rechnen".

Mit direktem Protest hat man sich die vergangenen Monate hindurch beschäftigt. Nun wollen sich die Engagierten fachlich mit den konkreten Zuständen auseinandersetzen und dafür auch mit universitären Instituten kooperieren. Stichwort: Jugendwohlfahrt, Inklusionspädagogik, Integrationspädagogik.
Die Gefahr, dass sich die Wirkung des Protests durch den Spagat zwischen direktem Aktivismus und fachspezifischer Dokumentation und Analyse in Langzeitstudien verliert, ist gegeben.

Plakat zur Veranstaltung mit dem Titel "Oase des Aufstands" ist wie alte Zirkusschrift mit Fallschirmspringern

Josef Fürpaß

Eine VIP-Lounge für alle: In der "Oase des Aufstands" gastieren am 29. Juli u.a. Air Rapide, Calim, Josef Hader und KünstlerInnen von < rotor >. Postgarage, Graz, ab 20.00 Uhr.

"Die derzeitige Regierung hat schon angedroht, diesen 'erfolgreichen' Weg fortsetzen zu wollen. Das sind gefährliche Drohungen. Da muss man aufpassen, was passiert“, warnt Seidler. Nach der "Oase" in der Postgarage macht auch die Plattform 25 Sommerpause. Um im Herbst, wenn alle ihre Bescheide aus den Briefkästen geholt haben, erneut dazu aufzurufen, prekäre Lebenslagen nicht still und leise zu akzeptieren.