Erstellt am: 27. 6. 2011 - 22:20 Uhr
Fußball-Journal '11-62.
Bundesliga, Meisterschaft und der Cup, der ÖFB und das Nationalteam, das europäische Geschäft, der Nachwuchs und die vielen Irrsinnigkeiten im Umfeld: Das Fußball-Journal '11 begleitet nach dem Jahr 2010 auch 2011 wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Skandalisierungen und Stillhalte-Abkommen, die den heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen.
Exkurse in die weite Welt kommen auch vor.
Heute mit drei recht prototypischen (und hervorragenden) Spielen vom Wochenende und der Rolle, die dabei den zentralen Mittelfeld-Akteuren zukam: das Finalspiel der Copa Oro, der Nord/Mittelamerika-Meisterschaft zwischen USA und Mexico, das U21-EM-Finale zwischen Spanien und der Schweiz und das erste WM 2011-Match des deutschen Frauenteams gegen Kanada.
Wer sich nicht so recht auskennt, kriegt hier im aktuellen laola1-Taktik-Schwerpunkt alle nötige Basic-Infos.
Den modernen Sechser, so sagt man, hat Fernando Redondo erfunden, in seiner Zeit in Spanien, vor allem bei Real Madrid in den 90er. Klar gab es auch schon davor defensive Mittelfeldspieler, die mehr konnten als rennen, grätschen und putzen, über das Destruktive hinausgingen und das Spiel lesen und aufbauen konnten.
Der Argentinier hat all diese Qualitäten in sich vereint und mit einem bestimmten Glamour, einer Eleganz versehen, die die Attraktivität dieser Position sichtbar gemacht und so in ihrer heutigen Bedeutung im kollektiven Bewußtsein verankert hat.
Redondo war auch außerhalb des Platzes ein strategischer und prinzipientreuer Denker. Er verweigerte die WM-Einberufung für 1990, weil ihm Basile zu defensiv und destruktiv spielen liess; er verweigerte die WM 98, weil er die Pseudo-Disziplin-Vorschriften von Passarella (der verlangt hatte, dass er sich die langen Haare schneidet) nicht goutierte. Erst Bielsa griff 99 wieder auf ihn zurück. Ein Jahr später stoppte eine schwere Verletzung seine Karriere.
Genug der Lagerfeuer-Geschichten.
Heute ist der Sechser nach diesem Vorbild, aber auch der nach dem Modell Makelele oder auch die Hunnen-Variante Effenberg, Standard; im Weltfußball, mittlerweile auch in Österreich - großteils.
Der Solo-Sechser oder die Doppel-Sechs?
Die fußballstrategische Frage, die sich am häufigsten stellt ist nicht die OB es eines Sechsers bedarf, sondern die nach der Anzahl: eine Solo-Sechser oder die Doppel-Sechs.
Ich würde das gern anhand dreier großer Matches des Wochenendes durchdiskutieren.
Da wäre zum einen das U21-EM-Finale zwischen Spanien und der Schweiz, das am Samstag abend stattfand und mit dem Titelgewinn der Spanier endete. Die sind damit Weltmeister, Europameister und U21-Titelträger; zählt man Barcelona dazu, auch noch Champions League-Sieger.
Aber auch die jungen Schweizer sind taktisch ausnehmend gut geschult und ein gutes Lehrbeispiel.
Das zweite Match fand in der Nacht von Samstag auf Sonntag (Beginn 3.00) statt und war vom Anregungs-Faktor her der lustvollste Leckerbissen: das Finalspiel der Copa Oro, der Nord/Mittelamerika-Meisterschaft zwischen USA und Mexico, um den Concacaf-Kontinental-Titel. Auch hier haben beide Teams interessante Varianten geliefert
Beispiel drei: der erste Auftritt der DFB-Damen bei der Heim-WM, gegen Kanada. Wobei ich mich da auf die Deutschen konzentrieren möchte, auch weil die strategisch so weit vorne sind.
Wir sind ballverliebt
Zu den beiden ersten Spielen gibt es Skizzen des ungemein (und nicht nur für den Experten, auch für den umherstreunenden Laien) empfehlendeswerten Taktik-Blogs Ballverliebt, zu den deutschen Damen hab ich derlei nicht gefunden - was aber nix macht, weil sich ihr Style auch anhand einer klassischen Tafel aufzeigen lässt.
So let's talk about the Sechser.
Samstag abend: U21-EM-Finale, Spanien vs Schweiz
Die jungen Spanier spielen eher ein 4-1-4-1, wie beim EM-Titel, nicht so sehr das 4-3-3 der WM. Die Unterschiede sind aber nur graduell. Juan Mata und Jungstar Iker Munain sind keine klassischen Flügel, wie sie Pedro oder Villa bei Barca interpretieren, Thiago Alcantara (der Sohn des brasilianischen Weltmeisters Mazinho, der zum besten Spieler des Finales gewählt wurde) und Andres Herrera sind nicht Xavi oder Iniesta, sondern haben ihre Qualitäten in anderen Bereichen.
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Luis Milla, der U21-Coach, lässt seinen offensiven Vier hinter der Powerspitze Adrian Lopez also recht freie Hand. Auch weil er weiß, dass dahinter sein Kapitän seine ordnende Hand drüberhält: Javi Martinez, der 2010 bereits im WM-Kader war. Martinez ist ein spielerischerer Typ als Sergio Busquets oder Marcos Senna, hält sich aber hinter dieser Offensive merklich zurück. Die meisten weiten Bälle laufen nicht über ihn, sondern über die Seitenspieler, vor allem Linksverteidiger Didac.
Javi Martinez ist also ein Beruhiger, ein dezenter Umschakter, ein Solo-Sechser, der aufgrund der Disposition seines Teams keine Lizenz zu Offensiv-Aktionen hat.
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Interessanter ist das, was die Schweiz dem im Finale entgegenstellte - vor allem im Vergleich zu dem, was man davor spielte. Die SFV-Auswahl hatte da nämlich mit Fabian Lustenberger einen Solo-Sechser vor einer ebenso aufgefächerten Offensive, also einem Vierer-Mittelfeld und der Spitze Mehmedi. In diesem Fächer fiel die große Schwäche der Schweizer, die unklare Rolle von Shaqiri auf der rechten Offensiv-Seite, nicht so sehr auf.
Im Finalspiel nun zog Pierluigi Tami, der Schweizer Coach seine Offensivkraft Granit Xhaka neben Lustenberger zurück, um so mit der Doppel-Sechs im Zentrum der breiten Vierer-Mittelfeld-Offense der Spanier etwas entgegenzusetzen.
Das ging nach hinten los: Xhaka trieb sich halblinks in einem undefinierten Raum zwischen Defense und Offense herum, war aber auch als Sechser nicht präsent - letztlich nahm er nicht am Spiel teil.
Das besserte sich erst als Tami in der 54. Minute auf 4-3-3 umstellte - mit den beiden bis dorthin ohne Anspruch herumschwirrenden Xhaka und Shaqiri vor dem nunmehr wieder als Solo-Sechser installiertem Lustenberger und einem Dreier-Sturm.
Damit sah das Schweizer Team wieder deutlich besser aus. Dass es trotzdem nicht reichte, hat mit der Qualität des spanischen Spiels, auch seiner Defensive zu tun.
Sechser-Fazit: Javi Martinez hatte als Solo-Sechser deutlich weniger Probleme als die unrund laufende Doppel-Sechs von Lustenberger und Xhaka. Das hat auch damit zu tun, dass das umgestellte Schweizer System die offensive Zentrale unbesetzt liess, weswegen sich die, die das normalerweise tun, berufen fühlten einzugreifen, was die taktische Ordnung komplett durcheinanderbrachte.
Letztlich hatte die übergroße Vorsicht des Schweizer Camps dem spanischen Gegner gegenüber nicht zu einer Verbesserung, sondern zur entscheidenden Verunsicherung geführt.
Die Rechnung "Zwei Sechser sind besser und sicherer als nur einer" geht also nicht auf.
Samstag Nacht: Gold Cup-Finale, USA vs Mexico
In dieses aufsehenerregende Match gingen beide Teams nominell mit einer Doppel-Sechs.
Allerdings mit höchst unterschiedlicher Interpretation.
Bei Mexiko war Gerardo Torrado, nach Rafa Marquez Verletzung auch Kapitän, zu Beginn ein zentraler Sechser. Der neben ihm platzierte Israel Castro orientierte sich auf die rechte Seite, und überrumpelte dort mit Juarez, Barrera und Giovani die USA bis hin zur Schockstarre.
Die hatten nominell Michael Bradley und Jermaine Jones in der Zentrale, weil sich aber der eigentlich links aufgestellte Clint Dempsey recht zentral orientierte, kam es meist zu einem zentralen Drei-Gestirn, mit Bradley in der defensivsten Rolle in der Mitte und Jones/Dempsey in den Halbpositionen. dadurch hing Bedoya rechts durch und Donovan wurde oft auf die linke Seite gedrängt.
Dass den USA ein 2-Tore-Vorsprung gelang hatte mit zwei Einzelaktionen zu tun. Ihr Rückfall noch in der ersten Halbzeit jedoch mit der unkonkreten Aufgaben-Verteilung in der Mittelfeld-Zentrale, die Coach Bob Bradley erst in der 2. Hälfte korrigierte.
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Jose Manuel de la Torre zog Castro erst Anfang der 2. Hälfte, als sein Team erstmals in Führung ging, in die Sechser-Position zurück. Und in der Schluphase, als er Zavala brachte und auf eine Art 4-3-3 umstellte, war dann sogar Torrado der vorderste der drei Mittelfeldspieler (sein Idealpaß zum grandiosen 4:2 auf Giovani belegt das schön).
Die letzte Umstellung beim US-Team brachte Dempsey in eine Art Co-Mittelstürmer-Rolle und führte zur klarsten Doppel-Sechs-Formation (Bradley/Jones) des ganzen Spiels - das allerdings in einer Phase, wo deren Auflösung und das reinholen einer echten zweiten Spitze Not getan hätte.
Sechser-Fazit: Mexico liess den an sich für diese Rolle vorgesehenen zweiten Sechser von vornherein als Freigeist mit Offensivauftrag los - ein strategischer Überraschungs-Effekt. Im Verlauf des Spiels variierte man nach Belieben, ein Sechser, zwei Sechser, Dreier-Kette im Mittelfeld - alles was möglich, je nach Situation.
Die USA wurde zwar in erster Linie durch die wilde Hetzjagd der mexikanischen Offensive mürbe gemacht, die undeutliche und unstrukturierte Anlage ihrer Sechser trugen aber zur strategischen Unterlegenheit entscheidend bei.
Sonntag nachmittag: Frauen-WM, Deutschland vs Canada
Es ist nicht abgesprochen, aber: die DFB-Damen von Silvia Neid spielen wie die DFB-Herren von Jogi Löw.
4-2-3-1.
Das hat auch damit zu tun, dass die große Birgit Prinz, Weltfußballerin und Torjägerin im Winter ihrer Karriere nicht mehr vorderste Spitze spielt, sondern dahinter agiert.
Sie ist dort kein Özil, sondern eher ein Thomas Müller, also kein Zehner, sondern ein Co-Stürmer.
dfb
Aber das System mit den vier Offensiven funktioniert trotzdem prächtig. Das geht sich deshalb für einen Anfgriffs-wirbel aus, weil Bresonik (die nicht zufällig mit der Nummer 10 spielt, die könnte auch anders) rechts und Peter links aus der Abwehr dauervorstoßen.
Und es geht sich aus, weil die deutschen Damen zwei Sechser haben, die Khedira/Schweinsteiger bei den Herren um Nichts nachstehen. Beide sind Spieleröffnerinnen und Tempovorgeberinnen, beide verfügen über Luft genug für Power-Vorstöße, beide sind torgefährlich, per Kopf und aus der zweiten Reihe.
Letztlich sind Kim Kuhlig und Simone Laudehr vielleicht sogar die Sechser des Wochenendes, die Redondo am nächsten kommen. Laudehr auch stilistisch, Kuhligs Laufstil wirkt rustikal, aber ihre raumgreifenden Schritte machen den großen argentinischen Vorbildern alle Ehre.
Gegen Kanada mussten sie, wie ihre Kolleginnen, in der Schlußphase als es, einzig wegen des zähen Willens von Christine Sinclair, noch eng wurde, ans Limit gehen. Und zeigten da auch ihre Schwächen. Andererseits sind sie 21 (Kuhlig) und 25 (Laudehr) und im Vergleich zur hoffnungslos nerverlnden Bajramaj schaukelten sie das Ding dann noch.
Sechser-Fazit: Die stabile Doppel-Sechs erlaubt es nahezu ständig, dass sich mindestens eine der beiden in jede Offensiv-Aktion einmischt und so für die Überzahl-Gefahren-Situationen sorgt. Die scheinbar defensive Doppel-Sechs-Variante ist also der Garant für Angriffs-Fußball. Auch weil die offensive Zentrale davor meist besetzt ist.
Sechser-Fazit des Wochenendes
Die Klasse-Teams dieser Fußball-Welt stricken ihre Strategien rund um diese Position. Wer, wie fast alle Mannschaften, mit einer Vierer-Abwehr antritt (wiewohl sich auch Teams mit Dreier-Abwehr über ihrenm stabilen Sechser definieren - die SV Ried mit Mader ist da ein schönes Beispiel) kann gar nicht anders. Die Art des Sechser-Spiels definiert die Taktik.
Und: wer sich seiner Sache sicher ist (Deutschland, Spanien, Mexico) hat dem, der herumeiert gegenüber klare Vorteile.
Vielleich nehme ich einmal eine Bundesliga-Sommer-Runde her und schau mir fünf Matches nur auf ihr Sechser-Spiel hinauf an. Wird interessant sein zu erkennen, wer sich wie und woran orientiert.