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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

26. 6. 2011 - 23:00

Journal 2011. Eintrag 124.

Förderantrag fürs digitale Biedermeier. Eine Geschichte, die im Park beginnt und im Mikro-Umfeld endet.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit dem Park und den Jungen und den Alten und dem Biedermeier und dem Privaten und dem Politischen und der Vision und dem neuen Bürger und der Verpflichtung. Ja, und wessen Problem das alles eigentlich ist, darum geht's auch.

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Die Jungen lassen völlig aus, erzählt mir der Sonntags-Kolumnist, mit dem ich just sonntags manchmal meinen Park teile. Er erzählt es mir nicht auf einer Bank oder einem Spielplatz, ich habe den Park heute nur gequert, er erzählt es mir in seiner Kolumne. Privat wäre das ein wenig vermessen. Ich weiß, dass er wüßte, dass ich weiß, dass man es sich nicht so einfach machen kann - auch weil wir um die ganz konkreten Biografien seiner, fast durchgehend jungen - MitarbeiterInnen wissen, genauso wie die meiner; und die gläserne Decke, die da eingezogen ist; und das Wissen der Jungen um die Unmöglichkeit anders als nach den Regeln der Alten tanzend irgendwo hin zu kommen.
Das weiß er, der Kolumnist, so wie ich einer, der irgendwie irgendwo dazwischensteckt zwischen den Jungen und den alten, und trotzdem sagt er's. Dass die Jungen völlig auslassen.

2

Gut er sagt auch andere Dinge, in der Seite 1-Kolumne, die im Gratis-Hartplastikbeutel verstaut wurde. Etwas über die Nervigkeit der Old-Boys-Networks und ihrer Waldorf/Statler-Logen-Keiferei, über Androsch und Sorger, Raidl und den ewigen Bacher. Dass ihre Besserwisserei und Empörung deshalb so anstrengend ist, weil es Null Selbstkritik enthält, weil es keine Entschuldigungen dafür gibt, dass sie, zu ihrer Zeit, als sie an der Spitze der Macht waren, keinerlei Vorkehrungen getroffen haben, sich um nichts Künftiges geschert, sich mit allen und allem arrangiert haben, nur um jetzt herumzumaulen.

Ja eh, drei Viertel der aktuelle ORF-Probleme hat der ewige Bacher selber ausgelöst, durch politische Winkelzüge mitverbockt und später dann durch aktive Nichtbehandlung verschlimmert, durchaus.

Und mich, lieber Park-Kollege, mich nerven die Schnutenbürger Androsch und Raidl schon viel länger. Ihm sind die Old Boys aber nur Anlass um das Fehlen einer politischen U30 anzuprangern. Der rare Unmut würde nur privat kanalisiert, und so blieben die Kurz/Rudase die einzigen, die durch die Institutionen marschieren wollten, um dann keine Visionen umsetzen zu können, weil sie nie welche hatten, was immer noch besser wäre als das digitale Biedermeier, dem es genügt sich's per Facebook zu sagen.

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Das ist alles richtig, denke ich, und alles falsch. Richtig im Einzelnen und falsch zusammengedacht.
Die Institutions-Marschierer, die dann am Ziel angelangt keine Idee haben, außer der der Macht halt und der Machterhaltung, die haben wir doch seit immer. Die letzten heißen Faymann und so. Auch Strache funktioniert so; und die ÖVP ist eigentlich exakt entlang dieses Musters grundaufgestellt.
Das wäre also kein neues, gar digitales Phänomen. Dieses "die besten für die Politik!" klappt seit wann nicht mehr? Kreisky? Frühe 80er? Hat es, streng genommen, jemals geklappt in der 2. Republik? Hm.

Dass man die wenigen, die sich zumindest trauen und in den Polit-Wahnsinn ergeben, nicht sofort desavouieren sollte, das ist wohl eh klar, ich könnte jetzt wieder sagen, dass ich das schon viel länger sage, wenn das nicht so kindisch wäre.

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Es ist vor allem die Sache mit dem "nur privat", nur auf Facebook, Biedermeier-digital, wo der Mann aus dem Park stolpert.
Das schätzt er, ebenso wie viele andere, ganz seltsam verkehrt ein. Als ob es nichts bedeuten würde, wenn Menschen anderen Menschen sagen, was sie denken und meinen, auch wenn manches davon nur Pose-Denken und Pose-Meinen ist. Das bedeutet - im Gegenteil - eine Menge.

Der Onkel von dem Freundeskreisvorsteher, der aussieht wie der Kurz, aber zur Rudas-Partie gehört, der ist Politikwissenschafter, ein angesehener. Und in irgendeinem Interview mit ihm aus Anlaß eines "OmeingottderORF!"-Schwerpunkt ins irgendeinem Printmedium (ich habs nur im hausinternen Pressespiegel gesehen; nachgeschaut: es war das Branchenblatt "der österreichische Journalist") hat er folgenden Satz gesagt: "Es gibt einen wunderbaren Satz von Tom Friedman: Alle meinen, wir brauchen neue Politiker. Was wir aber brauchen, das sind neue Bürger!"

5

Ich weiß zwar nicht welchen Tom oder Thomas Friedmann er da meint, und das Zitat konnte ich auch nicht finden, aber das Prinzip dahinter zieht sich ja heuer durch einige Journale: die Politiker-Verdrossenheit ist nur ein Spiegel der Selbst-Verdrossenheit. Und die Bequemlichkeit des Outsourcen von Verantwortung des Österreichers Lieblingsspiel.

Und natürlich muss der Impuls für Veränderung aus der Gesellschaft kommen und keiner braucht darauf zu warten, dass der gute König kommt und das Leiwande und Lässige ausruft. Auch die Kreisky-Ära kam auf gesellschaftlichen Druck zustande, nicht weil sich ein paar Mächtige das so ausgedacht hatten.

Soll heißen: genau das vom Park-Nachbarn verachtete Private und Facebooklerische und Vereinzelte ist das, was nötig ist und woraufs ankommt. Und anstatt es als Biedermeier madig zu machen, wäre es des für die Verbesserung der Gesellschaft arbeitenden Journalisten Pflicht, es zu beobachten und dort, wo es sinnhaft erscheint, durch Berichterstattung zu verstärken. Anstatt den Old Boys oder den Visionslosen noch mehr Raum zum Jammern zu geben.

6

Und, schau, in einer ein wenig dubiosen Beilage der Salzburger Nachrichten kommt mir Philip Ikrath zu Hilfe, ein guter Typ, obwohl er Jugendkulturforscher ist - wir kennen uns, von ein, zwei Podien. Ikrath sagt dort nicht nur, was jetzt eh schon abgehandelt wurde (dass die Jungen keine Chance gegen das System oder dessen Veränderung sehen), sondern auch wohin es genau führt: auf die anderen Ebenen, die digitalen, die, so Ikrath, drei Kriterien erfüllen: außerhalb der politischen Systeme, kein verpflichtender Charakter, schnelle Ergebnisse - weil man auch ein ganz konkretes Anliegen hatte.

So funktioniert das digitale Biedermeier.
Konkretes Anliegen, Motivierung anderer, Zusammenschluß Gleichgesinnter, Aktionismus und Resultat.
Und alles ohne Verpflichtung bei jedem Schritt dabei zu sein; oder fürderhin für immer dasselbe machen zu müssen.

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Das ist alles deutlich effektiver als jegliche politische Handlung junger Menschen in der 2. Republik. Die in den Parteien organisierten hatten nix zu plauschen, ehe sie 40 waren, und die anderen, dieUnorganisierten steckten in ihren Mikro-Umfelden fest, isoliert und vereinzelt.

Das digitale Biedermeier hat so gesehen in den zwei, drei Jahren seiner Existenz deutlich mehr erreicht als das analoge politische Engagement in den Jahrzehnten davor.

Nur passt es nicht in Nowaks Kolumnen-Kastl; und in den aktuell gepflegten Journalismus auch nicht.
Und in die Politik schon gar nicht.
Das ist aber nicht das Problem der Mikro-Enegagements in den Social Networks.
Das ist das Problem des Journalismus.
Es ist das Problem der Politik.

Die müssens schaun, dass sie das implementieren, irgendeine App bauen, die das kann.
Sonst sind sie schneller Teil des Old-Boys-Networks der Suderanten, als sie schauen können. Mit oder ohne Parkbank.