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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

28. 6. 2011 - 06:00

Der Downtown-Diva

New York State Of Mind. Eine lose FM4-Homebase Serie über Persönlichkeiten, die dem Big Apple ein Krönchen aufsetzen. Vierter Gast: Justin Vivian Bond – Cabaret Singer, Transgender Künstler, Downtown-Diva.

Letzten Freitag wurde im Parlament des Bundesstaates New York das Gesetz zur Legalisierung gleichgeschlechtlicher Ehen beschlossen. Die ganze Geschichte hier.

"Once we realized it wasn't a terrorist attack we took off all our clothes and just ran around naked in the streets and listened to music. We all came together and had a rare, beautiful night under the stars in Manhattan." - JVB über den New Yorker Stromausfall im Sommer 2003.

Von Blüten und Blumen

Richtig gelesen: "Der Downtown-Diva". Die Überschrift stimmt. Auch wenn sie grammatikalisch falsch ist. Die deutsche Sprache tut sich eben schwer mit Transgender-Menschen. Selbst das geschlechtsneutralere Englisch ist (noch?) in der Dualität von Männlein/Weiblein gefangen. Deshalb hat Justin Vivian Bond für sich das Gender Pronoun „v“ statt „he“ oder „she“ gewählt. Justins Mittelpunkt liegt im Zwischenreich der Geschlechter. Dort fühlt sich v wohl, dort will v bleiben. Wir werden es respektieren.

Justin Vivian Bond

loulex

Justin kann man getrost als Ikone des zeitgenösssischen Downtown New York bezeichnen. V ist Transgender-Performance-Artist, Radical Faerie, Singer-Songwriter, „the best cabaret artist of his generation“, wie das angesehene Magazin The New Yorker jubelte. Bond verknüpft Traditionen des queeren Theaters, Caberet und Vaudeville mit Pop, Jazz und Singer-Songwriter-Liedgut. Eben war man noch bei Joni Mitchell, der nächste Song stammt aus der Feder von Thom Yorke.

Trans as in Transcendence

Beim Gespräch strahlt Bond eine Gelassenheit aus, die im starken Kontrast zu den bis zur Ohnmacht rasenden, hochemotionalen Darbietungen der Shows steht. Ein bisschen Kajal, ein simples Shirt und Jeans, trotz Mode-Understatment ist Justin an diesem Tag die personifizierte Grazie „as in Kelly“. Fotos sind aber nicht erlaubt. Nicht so. Nicht als Blume ohne Blüten.

Justin Vivian Bond

WhimsyMusic

Aufgewachsen nahe der Mason-Dixon-Line in Maryland entdeckte Bond relativ spät, dass das „sich anders“ fühlen mit Geschlechteridentität zu tun hatte. Die christlich-konservative Familie war mit der Festlegung fixer und qualifizierte die weichen Wesenszüge des Jünglings als „schwul“ noch ehe Justin überhaupt wusste, was das Wort bedeutet. Schließlich erwachte das Bewusstsein. Justin war weder Frau noch Mann, verfügte über einen männlichen Körper und fand Mädchen und Jungs gleichermaßen attraktiv. Dann beschloss v, Maryland so schnell wie möglich zu verlassen.

Justin Vivian Bond

Christian Lehner

Justin Vivian Bond live @ Joe's Pub, May 2011

Jetzt, mit 48, sitzt Bond in einem Apartment im East Village von Manhattan. Es ist ein heißer und einer der letzten Tage in der herrlich an alte Künstler-Lofts erinnernden Bleibe. Welch Zufall! Justins Wohnung befindet sich oberhalb der MARS-Bar, der ich eine Woche zuvor die letzte Ehre erwiesen hatte. Mitte Juli wird das schwer ächzende Gebäude einem modernen Wohnsilo weichen. Doch so wie die Barfliegen einen Stock tiefer, erweist sich auch Justin als „typisch New York“ und fängt gar nicht erst großartig an, sich zu beschweren: „I love this place, but I also embrace change. I’ll find another one“.

Justin Vivian Bond

Christian Lehner

Justin Vivian Bond

Christian Lehner

Justin Vivian Bond

Christian Lehner

Talk On The Wild Side

Unser New York State Of Mind-Host hat sich als schmächlich behandelter Gaststar mit Madonna auf deren Geburtstagsparty angelegt, in John Cameron Mitchells sexy Film Shortbus mitgespielt, mit dem Drag-Cabaret Stück Kiki & Herb zuerst die queeren Clubs in San Francisco und später die Carnegie-Hall in New York gerockt und zahllose Theater- und Cabaret-Aufführungen mit Torch Songs und wunderbaren Geschichten bereichert.

Diese Kunst zwischen Rotlicht und großer Bühne, zwischen verrucht und erhaben kommt in v’s Residency im Club Joe’s Pub im East Village zusammen, wo Justin an Sonntagen zu Cabaret-Abenden mit verschiedenen Gästen lädt. Bond brilliert mit Eigenkompositionen sowie Interpretationen von Klassikern von The Carpenters bis Gil Scott Heron. Die Besucher erwartet ein Anektoden-Bombardement aus einem unsteten Leben. V nimmt gekonnt Gender-Politics, sich selbst, aber auch Klischees innerhalb der queeren Community auf die Schaufel und wandert stets auf einem schmalen Grat zwischen grandios und ruinös, derb und charmant, depressiv und triumphal.

Die Bühnendiva gewährt intime und dramatische Einblicke in eine Identität, die den meisten von uns für immer verborgen bleiben wird. Es gilt der Jahrhunderte alte Grundsatz: erst mit Lippenstift, Pathos und jede Menge Timbre gelingt der Blick aufs nackte Leben.

Lasst euch nicht vom rustikalen Namen der Örtlichkeit abschrecken, it’s the best show in town.

Im Frühjahr ist Bonds spätes Album-Debüt Dendrophile erschienen. Am Dienstag öffnet Justin in der FM4-Homebase eine Stunde lang den Vorhang für euch. Ihr werdet erfahren, was es mit dem Begriff „Dendrophile“auf sich hat, warum bei Gender-Identitäten die Sprache das größte Problem ist, Justin neuerdings weibliche Hormon-Pillen nimmt und sich v’s Styling-Ideal an „privilleged women of the 1960ies“ orientiert. Mixed euch einen Cocktail, It’s going to be fabulous. Bleibt noch eine Frage: wann wird Justin Vivian Bond endlich seine Live-Premiere in Österreich geben?

New York State Of Mind in der FM4-Homebase am Dienstag, den 28. Juni ab 19 Uhr.

artist song  
Rufus Wainwright Who are you New York?  
Justin Vivian Bond The New Economy  
Judy Collins Tomorrow Is A Long Time  
Justin Bond The Golden Age Of Hustlers  
Pulp This Is Hardcore  
Joni Mitchell Edith And The Kingpin  
Justin Vivian Bond In The End  

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